Sind Künstlerinnen und Künstler besonders kreativ wenn es ums Kochen geht? Ein Blick auf das legendäre Künstlerpaar Krasner & Pollock und seine kulinarischen Verstrickungen.

Alice Waters, Köchin und Mitgrün­de­rin des berühm­ten kali­for­ni­schen Slow-Food-Restau­rants Chez Panisse, beschreibt die Bezie­hung zwischen Kochen und Kunst folgen­der­ma­ßen: „Die instink­tivste und buch­stäb­lichste Verbin­dung, die wir herstel­len, ist die mit unse­rem Essen… Der Akt des Kunst­schaf­fens und der des Kochens stim­men in vieler­lei Hinsicht über­ein, sie sind beide reak­tiv und krea­tiv, sie imitie­ren sich gegen­sei­tig und passen sich einan­der an.“ 

Exis­tiert demnach eine Verbin­dung zwischen dem, was in den Ateliers von Künst­le­r*innen passiert, und dem, was in ihren jewei­li­gen Küchen vor sich geht? Finden sich zwischen Töpfen und Tellern Bezüge zu ihrem Werk und ihrer Persön­lich­keit wieder? Sind Künst­ler*innen beson­ders krea­tiv, wenn es um den alltäg­li­chen Akt des Kochens geht? Anhand von Fotos und Bestands­auf­nah­men ihrer Küchen sowie Anek­do­ten rund um ihre Essens­ge­wohn­hei­ten geben wir Einbli­cke in die kuli­na­ri­schen Lebens­wel­ten bekannter Künst­le­r*innen. 

Als das legendäre Künstlerpaar Lee Krasner und Jackson Pollock 1945 gemeinsam beschloss, das frenetische Tempo New York Citys gegen die Langsamkeit des Landlebens im beschaulichen Springs, Long Island, einzutauschen, erhofften sie sich vor allem Ruhe und neue Inspiration für ihre Arbeit. Die beiden Pioniere des Abstrakten Expressionismus hatten sich 1941 bei den Vorbereitungen zur Fifth Annual Exhibition of the American Abstract Artists kennengelernt – zu dem Zeitpunkt war Pollock der einzige Maler der Schau, der Krasner gänzlich unbekannt war. Beeindruckt von seinem Werk, stellte sie ihn daraufhin anderen Künstlern, wie Willem de Kooning, vor. Ein Jahr später waren sie zusammengezogen und heirateten schließlich 1945. Krasner, die schon in jungen Jahren ihren Weg als Künstlerin mit großer Beharrlichkeit bestritten hatte, wurde mit Beginn der Partnerschaft oft auf die Rolle der Ehefrau Pollocks reduziert, wodurch ihre eigene künstlerische Arbeit in den Hintergrund geriet und erst lange nach Pollocks Tod, in den 1970er Jahren, Anerkennung gewann.

In The Kitchen With Krasner & Pollock, 1949 © Photo by Martha Holmes/The LIFE Picture Collection via Getty Images

Krasners Talent fürs Netzwerken spielte eine zentrale Rolle in Pollocks Aufstieg zu einem der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts, da sie ihn mit den wichtigsten Akteuren des Kunstbetriebs in Kontakt setzte. In der ersten gemeinsamen Wohnung im Greenwich Village organisierten Krasner und Pollock gesellige Dinnerparties, zu denen sie Künstlerfreunde, Kuratoren und Kunstkritiker einluden. Bei einem ihrer ersten Abendessen war Howard Putzel zu Gast, Assistent der Sammlerin und Mäzenin Peggy Guggenheim, die Pollock später als Protegé unter ihre Fittiche nehmen würde.

Die Künstlerin, 1908 als Lena Krasner in Brooklyn, New York, geboren, war dort als Kind jüdisch-orthodoxer Eltern aufgewachsen, die wiederum vor den russischen Pogromen aus ihrer Heimatsstadt nahe Odessa, Russland (heute Ukraine) geflüchtet waren. Nach ihrer Ankunft in Amerika betrieben Anna und Joseph Krasner einen Marktstand im Blake Avenue Markt in Brooklyn, wo sie Fisch, Obst und Gemüse verkauften. Obwohl frische Lebensmittel im Alltag der Familie eine zentrale Rolle spielten, zeigte Krasner selbst lange kein Interesse am Kochen. Darüber hinaus lehnte sie die starren Geschlechterrollen der orthodoxen Gemeinschaft ab: Als 1928 ihre Schwester Rose unerwartet an einer Blinddarumentzündung starb, weigerte sich Krasner mit dem hinterlassenen Ehemann William Stein nach traditionellem jüdischen Brauch verheiratet zu werden.

Das Zusammenleben mit Pollock motivierte die Künstlerin, in der Küche aktiv zu werden, doch die Speisen ihrer Kindheit kamen in diesem neuen Kapitel nicht vor. Stattdessen orientierte sie sich an den Familienrezepten der Pollocks und lernte die Zubereitung klassischer Gerichte des Mittleren Westens, Neuenglands und der Südstaaten. Sie experimentierte auch mit der damals in New York höchst angesagten französischen Küche und gewann schnell an kulinarischer Versiertheit.

Krasners und Pollocks Küche, Image via www.kdhamptons.com

Stella Mae McClure Pollock, Jackson Pollocks Mutter, war eine talentierte und leidenschaftliche Köchin und Bäckerin, die nicht davor zurückscheute, nach einem langen Arbeitstag ein aufwendiges, mehrgängiges Menü aufzutischen. Sie vererbte ihren fünf Söhnen nicht nur die Leidenschaft für das gute Essen, sondern auch ihr gesamtes kulinarisches Wissen in Form eines handgeschriebenen Kochbuchs mit über hundert Rezepten, auf das Krasner und Pollock im Laufe ihres Zusammenlebens sehr oft zurückgriffen. Ihr Mann Lee Roy Pollock war Farmer, und auf der familieneigenen Ranch in Phoenix, Arizona, wuchsen unter anderem Mais, Tomaten, Kürbisse, Bohnen, Erdbeeren, Aprikosen und riesige Wassermelonen. Die Familie Pollock lebte vom Verkauf der Erträge, und Pollocks Mutter wählte das Beste aus dem Gemüsegarten für die heimische Küche aus. 

Als Krasner und Pollock nach Long Island übersiedelten und am südlichen Ausläufer der Halbinsel ein Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert kauften, war der Anbau eines Gemüsegartens eines ihrer ersten Projekte, noch bevor sie eine Innentoilette oder eine Heizung installierten. Der Zugang zu frisch geerntetem Obst und Gemüse war für Jackson als Kind eine Selbstverständlichkeit gewesen, und mit der gleichen Motivation baute er auf seinem Grundstück Auberginen, Rote Beete, Spinat, Kartoffeln und viele andere Gemüsesorten an, gärtnerte und weckte ein. Gepaart mit der Vielfalt an wilden Kräutern und Früchten, die auf der Insel wuchsen, der fast unbegrenzten Menge an Fisch und Meeresfrüchten in unmittelbarer Nähe und der Möglichkeit, von umliegenden Bauernhöfen Fleisch, frische Eier und Milchprodukte zu günstigen Preisen zu kaufen, ermöglichte es dem Paar trotz extremer finanzieller Engpässe und den zum Teil inflationären Lebensmittelpreisen nach Ende des Zweiten Weltkriegs gesund und vielfältig zu essen.

Der Umzug nach Springs, weit weg vom Epizentrum der zeitgenössischen Kunstszene, bedeutete keinesfalls ein Bruch mit Krasners Tradition, den Esstisch regelmäßig mit Freunden und potenziellen Geschäftspartnern zu teilen. Das idyllisch gelegene Haus mit Blick über die sich zum Accabonac Creek erstreckenden Salzwiesen bot die ideale Kulisse für gesellige Abendessen und ungestörte Gespräche, und ein Wochenendtrip nach Springs war für viele „Manhattanites“ eine willkommene Erholung. So besuchten Peggy Guggenheim, Elaine und Willem de Kooning, Le Corbusier, Clement Greenberg und seine Freundin Helen Frankenthaler, Robert Motherwell und viele andere Figuren der Kunstwelt das Paar in Springs, begleiteten Pollock zum Muschelsammeln und aßen die Ausbeute gemeinsam in Form von Muschel-Kartoffelsuppe, von Krasner zubereitet. Das Brot, das dazu serviert wurde, trug wiederum Pollocks Handschrift, genauso wie das Dessert.

Während Krasner sich eher salzigen Speisen widmete, hatte Pollock von seiner Mutter ein Faible fürs Backen und die Zubereitung von Süßspeisen geerbt – eine Kunst, der er mit großer Ernsthaftigkeit und Präzision nachging. Er buk, wenn auch oft erst nach mehrfachem Bitten, regelmäßig Roggenbrot, Pancakes und Torten, und sein Apfelkuchen gewann wiederholt den ersten Preis beim lokalen Kuchenbackwettbewerb. Das Rezept für den Teig stammte von Pollocks Mutter Stella, die Füllung hingegen hatte er in einem Kochbuch gefunden. Kochbücher bildeten eine wichtige Referenzquelle für das Künstlerpaar, und ein Blick auf die Titel, die man heute noch in ihrem Küchenregal in Springs findet – mittlerweile ist das Haus als Museum öffentlich zugänglich – verraten einiges über ihre kulinarischen Vorlieben: Schokoladenflecken auf dem Rezept für Schoko-Karamell-Kuchen in „The Pocket Cookbook“ von Elizabeth Woody lassen vermuten, dass der Kuchen ein Favorit gewesen sein muss; Reste von Mehl und Butter in „The Art of Fish Cookery“ zeugen von einem Faible für panierten Fisch.

Handgeschriebene Rezepte von Pollock, Image via www.npr.org

Handgeschriebene Rezepte von Jackson Pollock, Image via www.theguardian.com

Manche Bücher weisen sogar über das rein Geschmackliche hinaus und ermöglichen es, Verbindungen zur persönlichen Geschichte ihrer Besitzer herzustellen: Ein neunseitiger Diätplan, mit einer verrosteten Büroklammer in das Buch „The Boston Cooking-School Cook Book“ geheftet, war Jackson in den 1950ern wohl vom Apotheker Grant Mark verschrieben worden, um seine Alkoholsucht zu heilen. Der Plan beinhaltete eine lange Liste verbotener Zutaten, tägliche Mineralstoffspritzen und Proteinshakes. Auch das Buch „Raw Vegetable Juices: What’s Missing in Your Body“ von Norman W. Walker erzählt vom Versuch, durch eine gesunde Ernährung das eigene körperliche Wohlbefinden zu verbessern. Mithilfe eines Blenders der Marke Waring bereiteten Krasner und Pollock Gemüsesäfte und Smoothies aus rohen, saisonalen Zutaten zu, darunter Löwenzahn und Blumenkohl.

Auf Anregung ihres engen Freundes Alfonso Ossorio, Sammler, Künstler und passionierter Koch, kauften die beiden hochwertige Gusseisentöpfe der Marke Le Creuset und Geschirr der Designerin Eva Zeisel, das in den 40ern als hochmodern galt. Mit Ossorio und seinem Partner Ted Dragon sowie mit einer Vielzahl anderer Freunde aus Springs teilten Pollock und Krasner ihre Leidenschaft für liebevoll zubereitetes Essen in guter Gesellschaft. Sie luden einander häufig ein und tauschten ihre besten Rezepte aus: In der Dekade ihres Zusammenlebens häuften Pollock und Krasner Dutzende davon an, per Hand auf abgerissene Papierstücke oder umfunktionierte Briefumschläge notiert. Von James und Charlotte Brooks kam das Rezept für Maisbrot, von Krasners enger Freundin Perle Fine das für Bouillabaisse, John Little war Spezialist für „New England Clam Chowder“, Alfonso Ossorio war bekannt für seine Pilzquiche, und Lucia Wilcox brachte Krasner die Geheimnisse der syrischen Küche bei. Die über die Jahre gesammelten Rezepte wirken wie ein Tagebuch der gemeinsamen kulinarischen Erlebnisse des Künstlerpaars und sind Zeuge einer Facette ihres Lebens, der sie sich mit einer ähnlichen Leidenschaft widmeten wie ihrer künstlerischen Praxis.

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