Sind Künstlerinnen und Künstler besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der Kunstwelt. Dieses Mal mit Andy Warhol und seinem Leben zwischen Kunst und Konfekt.

Alice Waters, Köchin und Mitgrün­de­rin des berühm­ten kali­for­ni­schen Slow-Food-Restau­rants Chez Panisse, beschreibt die Bezie­hung zwischen Kochen und Kunst folgen­der­ma­ßen: „Die instink­tivste und buch­stäb­lichste Verbin­dung, die wir herstel­len, ist die mit unse­rem Essen… Der Akt des Kunst­schaf­fens und der des Kochens stim­men in vieler­lei Hinsicht über­ein, sie sind beide reak­tiv und krea­tiv, sie imitie­ren sich gegen­sei­tig und passen sich einan­der an.“ 

Exis­tiert eine Verbin­dung zwischen dem, was in den Ateliers von Künst­ler*innen passiert, und dem, was in ihren jewei­li­gen Küchen vor sich geht? Finden sich zwischen Töpfen und Tellern Bezüge zu ihrem Werk und ihrer Persön­lich­keit wieder? Sind Künst­ler*innen beson­ders krea­tiv, wenn es um den alltäg­li­chen Akt des Kochens geht? Anhand von Fotos und Bestands­auf­nah­men ihrer Küchen sowie Anek­do­ten rund um ihre Essens­ge­wohn­hei­ten geben wir Einbli­cke in die kuli­na­ri­schen Lebens­wel­ten berühm­ter Künst­ler*innen. 

Dieses Mal blicken wir auf Andy Warhols Leben zwischen Kunst und Konfekt. Überall nur Dosensuppe, Ketchup, Coca-Cola und Hamburger – Anhänger der Vollwertkost werden die Bilderwelt von Andy Warhol nicht gerade appetitanregend finden. Höchstens die Banane, die der Vorzeigekünstler der amerikanischen Pop Art 1967 für das Debütalbum von The Velvet Underground illustrierte, könnte als gesundes Essen durchgehen, wobei das pinkfarbene Fruchtfleisch, das sich unter der abziehbaren Schale versteckte, eher künstlich erscheint. 

Andy Warhol, Campbell's Soup Cans, 1962© 2020 Andy Warhol Foundation / ARS, NY / TM, Licensed by Campbell's Soup Co. All rights reserved, Image via www.moma.org

The Velvet Underground, The Velvet Underground and Nico, Album Cover, Image via medium.com

Andy Warhol, Brillo Box, Campbell's Tomato Juice Box, Heinz Tomato Ketchup Box, Del Monte Peach Halves Box, 1964, Image via www.christies.com

Das Phänomen Fast Food faszinierte Warhol, und Fertiggerichte bildeten einen festen Bestandteil seiner Diät. Über zwanzig Jahre lang aß er nach eigenen Angaben nichts als Kellogg’s Cornflakes zum Frühstück und Fertigsuppe von Campbell’s zu Mittag, dazu ein Sandwich. Industriell hergestellte Produkte ernährten Warhol auch im übertragenen Sinne: Mit seinen großformatigen Siebdrucken und Holznachbildungen diverser Lebensmittelverpackungen prägte er in den 1960er-Jahren maßgeblich die Entwicklung einer neuen, modernen Bildsprache, die ihm zu künstlerischem Durchbruch und finanziellem Erfolg verhalf. Die in seinem Atelier, der berühmten Factory, entstandenen Kunstwerke imitieren die Mechanismen der seriellen Warenproduktion und bedienen sich Strategien der Mode- und Werbebranche. Indem er die Idee des Werks als nicht reproduzierbares Unikat kurzerhand aushebelte, revolutionierte Warhol das traditionelle Kunstverständnis.

Mit der Darstellung von alltäglichen Konsumgütern kommentierte er den Wohlstand und Überfluss der Nachkriegszeit, in der prall gefüllte Supermarktregale die amerikanische Mittelschicht dazu verleiteten, sich dem Kaufrausch hinzugeben. Seine eigene Kindheit hingegen war geprägt von der Lebensmittelknappheit und Rationierung der Weltwirtschaftskrise. Er wuchs als Kind von Einwanderern aus der heutigen Slowakei in Pittsburg, Pennsylvania auf, und die zeitweise prekäre wirtschaftliche Situation der Familie beeinflusste seine Beziehung zum Essen nachhaltig. Als Kind träumte er sehnsüchtig von Kuchen und Gebäck, und dieses latente Verlangen nach Süßem würde ihn sein Leben lang begleiten. Nach Warhols Umzug nach New York im Jahr 1949 und seinen ersten beruflichen Erfolgen, fing er an, regelmäßig die teuersten Konditoreien der Stadt zu besuchen. Er kaufte dort alles, was sein Herz begehrte, von feinen Petit Fours über ganze Geburtstagskuchen. Das Café „Serendipity 3“ in der East 58th Street, noch heute bekannt für seinen „Frrrozen Hot Chocolate“-Nachtisch aus gefrorener heisser Schokolade, besuchte Warhol so oft, dass er den Laden zeitweise als sein inoffizielles Büro deklarierte.

Suzie Frankfurt und Andy Warhol, Wild Raspberies, 1959, Image via www.brainpickings.org

Suzie Frankfurt und Andy Warhol, Wild Raspberies, 1959, Image via www.brainpickings.org

Bevor er zum „King of Pop-Art“ wurde, verfolgte Warhol eine Karriere als Werbegrafiker, zunächst in der Modebranche und später als Illustrator diverser Werbekampagnen, Plattencover und Kinderbücher. Eine Ausstellung seiner Zeichnungen im „Serendipity 3“ führten ihn und die Designerin Suzie Frankfurt zusammen, mit der er 1959 in Eigenregie und kleinster Auflage das Buch „Wild Raspberries“ herausbrachte, „ein Kochbuch für Leute, die nicht kochen“, wie sie es nannten. Mit humorvollen, teils unmöglich zu realisierenden Rezepten, von Frankfurt geschrieben und von Warhol illustriert, war das Buch als satirischer Kommentar zu den damals äußerst populären Kochbüchern französischer Haute Cuisine gemeint, in denen komplexe Anleitungen Hobbyköche zu Höchstleistungen anspornen sollten.

Warhol selbst befand sich zeitlebens in einem Spannungsfeld zwischen der bescheidenen, unkomplizierten amerikanischen Küche seiner Kindheit und den dekadenten, exotischen Speisen, die im Kreis der New Yorker High Society angesagt waren, von der er sich angezogen fühlte. Ein simples Frischkäse-Walnuss-Sandwich, an der Theke einer Schnellimbisskette mit Blick auf einen Fernsehbildschirm verspiesen, entsprach seiner Vorstellung einer perfekten Mahlzeit. Gleichzeitig besuchte er immer wieder vornehme Lokale wie „La Grenouille“ oder „Lutèce“. Er bestellte dort angeblich quer durch die Karte Dinge, die er eigentlich gar nicht mochte, um das Essen dann unangetastet mitzunehmen und an Bedürftige zu verschenken. Diese Angewohnheit nannte er in einer klassischen Geste der Selbstinszenierung „The Andy Warhol New York City Diet“, weil sie ihm dabei half, schlank zu bleiben, und er gleichzeitig seinem Anspruch gerecht wurde, keine Lebensmittel zu verschwenden.

Andy Warhol isst einen Burger, Image via guim.co.uk

Dass er durch den Konsum exklusiver Waren einen bestimmten Status signalisierte, war Warhol bewusst, und so landeten Dinge wie Kaviar oder Gänseleberpastete immer wieder in seinem Einkaufskorb, obwohl er an ihnen keinen wirklichen Gefallen fand. Warhol gab offen zu, mehrmals die Woche teure Pastete an die Katze seines Friseurs zu verfüttern und Fleisch nur zu kaufen, um andere zu beeindrucken. Durch diese Erzählung wirkte Warhol natürlich umso extravaganter, was seiner eigenen Mythenbildung zugute kam.

Ein Ort, an dem Warhol niemanden etwas vormachen musste, war seine eigene Küche. Während die Türen der Factory praktisch jedem offenstanden, der an ihnen vorbeispazierte, war sein Domizil in der East 66th Street der Upper East Side von Manhattan ein strikt privater Rückzugsort, zu dem kaum jemand Zutritt bekam. Nur seine engsten Mitarbeiter kannten das Innere des neoklassischen, fünfstöckigen Wohnhauses, in dem er von 1974 bis zu seinem Tod 1987 lebte. Gäste empfing der Künstler dort prinzipiell nicht, und die ersten Bilder seiner Wohnung, veröffentlicht nach 1987, lassen erahnen warum: Warhol hatte ein Zimmer nach dem anderen, inklusive des Esszimmers mit seiner langen Holztafel, in ein Lager für seine ausufernde Sammlung von Kunstwerken, Antiquitäten, Memorabilien und Gebrauchsgegenständen verwandelt. Nur sein Schlafzimmer und die Küche im Untergeschoss waren nicht gänzlich von den Objekten seiner Kauf- und Sammelwut überflutet – wohl, weil er diese Räume tatsächlich nutze.

Andy Warhol’s cookie jars. Image courtesy of Movado Group, Image via guim.co.uk

Andy Warhol, Image via pinimg.com

In der Küche waren die Wände, der Boden und die Spüle in hellen Tönen gehalten, vor denen die ausgestellten Objekte in satten Pop-Art-Farben besonders zur Geltung kamen. Auf den Bildern erkennt man eine Campbell-Suppendose, mehrere mit bunten Logos bedruckte Waschmittelpackungen, Geschirr in Rot, Blau, Grün und Gelb der Marken „Fiesta“ und „Russel Wright“, die Warhol leidenschaftlich sammelte, und eine mit der Union Flag bedruckte Mülltonne. Warhol besaß 175 verschiedene Keksdosenmodelle aus den 50er- und 60er Jahren, gekauft in Geschäften für Haushaltswaren und auf seinen unermüdlichen Streifzügen durch Flohmärkte und Secondhandläden. 

Die kitschigen Dosen in Form von Schweinchen, Clowns, Schafen oder Disney-Charakteren, die andere Einkäufer wohl als wertlosen Krimskrams unbeachtet hätten liegen lassen, faszinierten ihn. Warum genau, bleibt unklar. Vielleicht verkörperte die Keksdose, die weit oben im Regal stehend ein klassisches Objekt der kindlichen Begierde darstellt, sein tief sitzendes Verlangen nach Süßem? 

Die Keramikdosen wurden jedenfalls im Nachhinein zum Symbolbild des außergewöhnlichen Talents Andy Warhols, aus Alltagsgegenständen begehrte Sammlerobjekte zu machen: Als das Auktionshaus Sotheby’s 1988 mit der Versteigerung seines Nachlasses beauftragt wurde, lag der Schätzpreis für die Keksdosen, die in Losen von zwei, drei oder vier Exemplaren angeboten wurden, bei ca. 7.000 US-Dollar. Am Ende wurden die Dosen für knapp 250.000 US-Dollar versteigert – fast eine halbe Million Dollar nach heutigem Wert. Damit könnte sich Warhol in seinem Lieblingscafé „Serendipity 3“ , das immer noch geöffnet hat, über 35.000 Portionen „Frrrozen Hot Chocolate“ in der Geschmacksrichtung Erdnussbutter kaufen.

So sehen die Küchen der Kunstwelt aus

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