Ulrich Rasche sorgt als Theaterregisseur gerade für viel Furore. Im Bockenheimer Depot hat er aus zwei antiken Klassikern einen bildgewaltigen Abend gemacht.
Ganz am Anfang ist da noch eine Spur von Leichtigkeit, ein Gefühl des Spielerischen. Man hört das Holz, man hört das Knarren, das die sich beharrlich gegen den Uhrzeigersinn bewegende Drehbühne hervorruft, man hört den dumpfen Ton des Schlagzeugs. Alexander Fehling tänzelt wie ein Samurai Krieger über die rotierende Bühne, bewegt sich immerfort, nur um auf dem Fleck zu bleiben. Fehling stand lange nicht mehr auf einer Theaterbühne, der 1981 in Ostberlin geborene Schauspieler machte Karriere in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“, er spielte an Claire Danes’ Seite in der US-Serie „Homeland“, er begeisterte in der Rolle eines Journalisten im ARD-Zweiteiler „Der Fall Uwe Barschel“. Für die SCHIRN hat er den Audio-Guide zur bald startenden Magritte-Ausstellung gesprochen.
Sobald Fehling zu sprechen beginnt, ist die Anspannung da, ist die Beklemmung präsent. Er betont Silbe für Silbe, es scheint, als finde jedes einzelne Wort nur unter Mühen einen Weg aus seinem Körper, aus seinem Kopf. Er brütet über die Schlacht, er motiviert seine Boten, er versucht, die Angst einfach weg zu reden. Eteokles kämpft einen Krieg, weil er die Macht nicht teilen will. Er kämpft gegen Polyneikes, seinen eigenen Bruder.
Aus dem Inneren der belagerten Stadt
Eteokles und Polyneikes sind die Söhne des Ödipus. Nach dem Tod des Vaters sollen sie sich die Herrschaft über Theben teilen. Doch als Eteokles nach einem Jahr Regentschaft nicht bereit ist, die Macht zu übergeben, geht Polyneikes nach Argos, wo er die Tochter des Königs Adrastos heiratet. Und er sucht sich sechs Verbündete, um in die Schlacht gegen seine eigene Heimat zu ziehen, um sich den Herrschertitel, den der Bruder ihm verweigert, mit Gewalt zu holen.
Aischylos’ „Sieben gegen Theben“ erzählt von dieser Schlacht aus dem Inneren der belagerten Stadt. Es sind Boten, die Eteokles und seinen Schwestern Antigone und Ismene vom Kriegsgeschehen berichten. Pechbeschmiert, in kurzen Hosen, bewegen sich diese Männer auf der sich drehenden Bühne. Wenn sie etwas berichten, dass ihm nicht passt, packt Eteokles sie am Nacken, beschimpft sie. Doch die Angst der Männer schafft er damit nicht aus der Welt. Die Menschen in Theben sind nah am Wahnsinn, alles ist hier Schrecken.
Schauspieler gegen Laufbänder
„Sieben gegen Theben“ läuft im Bockenheimer Depot als Doppelabend, ergänzt um Sophokles’ „Antigone“. Regisseur der Inszenierung ist Ulrich Rasche. Auch er hat, wie Alexander Fehling, eine Verbindung zur SCHIRN – bei der Ausstellung Kunst für Alle war Rasche für die Ausstellungsarchitektur verantwortlich. Für die antiken Stoffe findet er drastische, starke, ja: bombastische Bildern. Rasches Inszenierungen sind streng, düster, musikalisch, haben die Wucht eines Einstürzende-Neubauten-Konzerts. Dass er seine Schauspieler gegen Laufbänder an- oder auf riesigen Walzen laufen lässt, ist sein Markenzeichen.
Zitternd bewegen sich die Frauen, der Chor der thebanischen Jungfrauen, über die Bühne, in Nachthemden, mit weißer Farbe beschmiert. Schwarzweiße Video-Projektionen zeigen die muskulösen Körper von marschierenden Männern, die sich hinterm Vorhang auf Laufbändern abrackern. Die Musik von Ari Benjamin Meyers, mit dem Rasche schon häufig zusammengearbeitet hat, wird immer bestimmender. Es ist ein dröhnend-monotoner Klangteppich aus Bass, Schlagzeug und Posaune.
Von Vögeln und Hunden zerfressen
„Sieben gegen Theben“ endet damit, dass die rivalisierenden Brüder sich im Zweikampf gegenseitig töten. „Antigone“ erzählt nach der Pause davon, dass Kreon, der neue-alte Herrscher in Theben, verbietet, die Leiche von Polyneikes zu begraben. Es ist eine grausame Rache für die Rebellion gegen die eigene Heimat: Vögel und Hunde sollen den Leib des Kriegstreibenden zerfressen, so befiehlt es Kreon.
Antigone, die Schwester von Eteokles und Polyneikes, rebelliert dagegen. Weil sie den Körper des Verstorbenen mit Sand überdeckt und somit bestattet, weil sie diese Tat weder leugnet noch bereut, soll auch sie sterben. Bettina Hoppe spielt die Antigone trotzig, stoisch, kraftvoll wütend – ihre Figur wirkt dabei starrsinnig und heldenhaft zugleich. War „Sieben gegen Theben“ von der Wucht, von der Gewalt durchzogen, so herrscht in „Antigone“ ein Gefühl der Melancholie. Die Drastik ist nicht verschwunden, aber weniger bestimmend. Auf eine bessere Welt hofft hier niemand mehr.
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