Ehemalige Mitglieder Frankfurter Jugendbanden sind die Protagonisten eines Dokumentarfilms, der am 24. Februar im Metropolis Kino Premiere feiert.
Andrea Stevens und Cornelia Schendel wollen beim Publikum keine falschen Erwartungen wecken. Bei unserem Treffen an ihrem Arbeitsplatz im Atelierfranfurt stellen sie deshalb erst einmal klar, was ihr Dokumentarfilm „Tokat – Das Leben schlägt zurück“, alles nicht ist: Kein reißerischer Gangsterstreifen voller Ghetto-Kitsch, in dem die Fäuste fliegen, nämlich. Und auch nicht der ultimative Beitrag zur Integrationsdebatte, auf den alle gewartet haben.
„Es ist ein ruhiger, ein unaufgeregter Film geworden“, sagt Andrea Stevens. „Sonst würde er auch gar nicht zu uns passen“. Die ersten ein, zwei Minuten bestehen aus alten TV-Beiträgen und führen den Zuschauer kurz auf eine falsche Fährte: Man sieht schnell geschnittene Szenen, in denen türkische Jugendliche mit Springmessern fuchteln und Polizisten mit ernster Miene beschlagnahmte Waffenarsenale präsentieren. Der eigentliche Dokumentarfilm, der dann folgt, ist gewissermaßen das Gegenprogramm zu dieser Art von Alarmismus.
Ohne Schuhe in die Schule
„Es geht um drei Freunde, die in den Neunzigerjahren Jacken geklaut, Drogen vertickt und auch konsumiert haben“, erzählt Andrea Stevens. „Tokat“ ist das türkische Wort für Ohrfeige, bedeutet umgangssprachlich aber auch so viel wie „abrippen". „Das Phänomen kannte damals jeder: Jugendliche, die ohne Walkmen, ohne Jacke oder gar ohne Schuhe in die Schule kamen, weil sie von Bandenmitgliedern abgerippt wurden.“
Kerem, Dönmez und Hakan waren Mitglied in berüchtigten Frankfurter Jugendbanden wie den „Türkish Power Boys“. Ihre Familien stammen ursprünglich aus Bayat, einem 400-Seelen-Dorf in Ostanatolien. Die Eltern waren das, was man damals Gastarbeiter nannte. „Ein Wort, das man heute zum Glück nicht mehr verwendet“, sagt Andrea Stevens.
Eine gewaltige Herausforderung liegt vor Hakan
„Wir waren fixiert auf Schlägereien, wir wollten cool sein und es jedem beweisen“, sagt Kerem in einer Szene des Films. Während die Kamera den heute Anfang 40jährigen zu Gelegenheitsjobs als Anstreicher, zu Arztterminen und auf eine Reise nach Bayat begleitet, spricht er angenehm beiläufig über seine kriminelle Vergangenheit. Ohne falschen Stolz. Aber auch ohne sich mit zur Schau gestellter Reue medienwirksam als abschreckendes Beispiel zu inszenieren.
Dönmez wurde inzwischen wegen einer Reihe von Straftaten in die Türkei abgeschoben. Die Abschiebung begrüßte er anfangs auch als Chance, um von den Drogen loszukommen und einen Neuanfang zu wagen. Allerdings leidet er darunter, dass er noch nicht einmal besuchsweise zurück nach Deutschland kann. Seine alte Wohnung in der Uhlandstraße kann er nur noch via Google-Maps betrachten. Auch Hakan lebt inzwischen wieder in Bayat. Er ist überzeugt davon, dass er erst dann eine Frau findet, wenn er ein Haus gebaut hat. In einer der berührendsten Szenen des Films steht er alleine zwischen den nur kärglichen Grundmauern. Man ahnt, dass eine gewaltige Herausforderung vor ihm liegt.
Türkische Behörden waren misstrauisch
„Tokat“ ist nicht zuletzt auch ein Film über drei Männer in der Midlife-Crisis, die auf jenen Teil ihres Lebens zurückblicken, der sie besonders geprägt hat. Männer, mit denen man sich streckenweise überraschend gut identifizieren kann. „Es war uns wichtig zu zeigen, dass unsere Protagonisten bei allem was sie getan haben auch sehr liebenswerte Seiten haben“, sagt Andrea Stevens.
Die Idee zu ihrem Filmprojekt hatten Stevens und Schendel schon 2011. Damals studierten sie noch an der Darmstädter Hochschule am Fachbereich Media. Ein befreundeter Künstler, der früher ebenfalls Bandenmitglied war, brachte die beiden auf das Thema. Er stellte den Kontakt zu den Protagonisten her und begleitete Stevens und Schendel auf eine erste Recherchereise nach Bayat. Insgesamt drei Mal reisten die Dokumentarfilmerinnen dort hin. „Wir drehten mit wenig Equipment, weil wir nicht groß auffallen wollten“, erzählt Cornelia Schendel. Einige Behörden haben Angst vor kurdischen Spionen und sind deshalb misstrauisch. Hin und wieder saßen wir in Amtsstuben und mussten uns erklären. Dabei wurde dann immer viel Tee getrunken.“