Zwischen Utopie und Wirklichkeit: Das Festival „Poesie des Wohnens“ stellt experimentelle Wohnkonzepte zur Diskussion.
Frankfurt wächst. Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt. „Und was machen wir? Wir bauen am Stadtrand Wohnsiedlungen mit einem weißen Gartenzaum herum – obwohl das vielleicht gar nicht den Anforderungen der Leute entspricht“, sagt Felix Kosok. Er ist Grafikdesigner, Frankfurter, Doktorand an der HfG Offenbach und Teil des Projekts „Poesie des Wohnens“. Außer ihm gehören die Architekten Jon Prengel, Andrea Schwappach und Sonja Moers, die Künstlerin und Kuratorin Aileen Treusch und der Stadtplaner Torsten Becker zu der interdisziplinären Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat „experimentelle Zonen der Nutzungsmischung“ auszuloten.
Die Idee zu „Poesie des Wohnens“ wurde beim Kultursommer 2014 in Darmstadt geboren. Bei einer Podiumsdiskussion warf Jon Prengel die Frage auf: „Warum kann man eigentlich nicht am Flughafen wohnen?“. Das wäre schließlich der perfekte Ort für junge Kreative, die ständig reisen und mehrere Wohnsitze gleichzeitig haben. Für Menschen, die gern mittendrin sind, aber auch schnell woanders.
Everybody can be present
Menschen wie Jagoda Szmytka. Die Medienkünstlerin und Komponistin für Neue Musik lebt in Frankfurt, ist aber selten mehr als drei Tage am Stück in einer Stadt. Für „Poesie des Wohnens“ macht sie eine Ausnahme. Zwei Wochen lang lädt das Projekt zu einem Festival in und um den Zukunftspavillon in der Frankfurter Innenstadt ein. Und in den gesamten zwei Wochen wird Jagoda Szmytka in einer 2,5 x 6 Meter großen mobilen Holzwohnbox mit Spitzdach leben und arbeiten – mitten auf dem Goetheplatz nur ein paar Schritte von Zukunftspavillon entfernt. Durch ein Fenster kann man Szmytka beobachten. Es wird sich öffnen und schließen, Passanten werden eingeladen, an ihrem Alltag teilzuhaben – oder durch einen Vorhang ausgeschlossen.
An den ersten sieben Festivaltagen wird Jagoda Szmytka zudem einmal am Tag ihre Real-Life-Performance „Everybody can be present“ zeigen zu der sie verschiedene Künstler eingeladen hat. Mit ihren Gästen rückt sie täglich ein anderes Phänomen des modernen Lebens in den Blick: Nomadentum, Diversität, Unmittelbarkeit, Intensität des Moments, Nicht-Linearität der Erfahrungen, Diffusität zwischen Realität und Schein.
Nutzungsmischungen
Ist so eine mobile Holzwohnbox die Zukunft des Wohnens? Vielleicht. Der Wunsch neue Lösungen für die Idee vom Wohnen und Arbeiten an einem Ort zu finden, der mitten in der Stadt liegt und bezahlbar ist und der außerdem zur Lebenssituation von jungen Stadtnomaden passt, treibt „Poesie des Wohnens“ an. „Wir gehen an das Thema sehr experimentell heran. Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Mit welchen Tatsachen haben wir zu tun? Und wie können wir möglichst flexible Wohnlösungen für die Millennial-Generation entwickeln? Uns ist es wichtig mit dem Festival eine Diskussionsplattform für diese Fragen zu schaffen“, sagt Aileen Treusch.
Beim Festival wird das Thema „experimentelle Zonen der Nutzungsmischung“ aus den Blickwinkeln Architektur, Kunst und Design beleuchtet. Auf dem Programm stehen neben Jagoda Szmytkas Real-Life-Performance auch ein Symposium, ein Pecha Kucha-Abend, ein Konzert – und eine Ausstellung über das Hunziker-Areal in Zürich. Das Projekt gilt als „Best Practice“-Beispiel für eine Nutzungsmischung: Mehrere Genossenschaften haben sich dafür zusammengeschlossen und auf einem ehemaligen Industriegelände 13 Häuser entwickelt. In ihnen leben 1200 Menschen unterschiedlichen Alters mit den unterschiedlichsten Lebensentwürfen und Wohnbedürfnissen. 150 Menschen arbeiten in den Gastronomiebetrieben, Werkstätten, Kinderbetreuungseinrichtungen und Büros des Projekts. Es wird von Stiftungen unterstützt und von der Wohnbauförderung bezuschusst, sodass die Wohnungen auch für Mieter erschwinglich bleiben, die keine Top-Verdiener sind. Ein Projekt, das zeigt: Neuer Wohnraum muss nicht auf einer neuen, grünen Fläche entstehen. Es ist oft viel spannender, wenn eine vorhandene Industriefläche mitten in der Stadt umgestaltet wird. Und wer weiß? Vielleicht trägt das „Poesie des Wohnens“-Festival dazu bei, dass in Frankfurt ein ähnliches Projekt wie in Zürich entstehen kann.