Die Ausstellung der jungen Künstlergruppe „Neue Ratio“ in Frankfurt zeugt von frischem Wind innerhalb der ehrwürdigen Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst.
Einen Titel für die Ausstellung zu finden, war nicht schwer, weiß Anna Nero: „Wenn man Leipziger fragt, was ihnen zu Frankfurt einfällt, lautet die erste Antwort: Bank.“ Mit vier weiteren Künstlerinnen und Künstlern, die sich an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) kennengelernt haben, bildet Nero seit 2013 die Künstlergruppe „Neue Ratio“. Anna Nero, die ihr Studium 2015 als Meisterschülerin von Heribert Ottersbach abschloss, ist in Frankfurt aufgewachsen. Seit kurzem lebt und arbeitet sie wieder hier. Neros Atelier bildet nun die Bühne für „BANK BANK BANK“, eine dreitägige Ausstellung, die „unterschiedliche Positionen zum Thema Zeit als künstlerisches Kapital“ zusammenführt.
Die Projekte der Gruppe um Olga Monina, Anna Nero, Florian Hesselbarth, Fidschi Fischer und Silas Mücke haben für gewöhnlich einen Event-Charakter. Auf der Zahnarztmesse „Fachdental 2015“ in Leipzig richtete „Neue Ratio“ eine Ausstellung ein, die eine Wartezimmersituation simulierte. In Frankfurt zeigt die Künstlergruppe eine Schau, die mit performativen Elementen angereichert ist. „Wir spielen Ausstellung“, sagt Olga Monina. Als Gäste wurden Oliver Kossack, Tom Król und Carsten Tabel eingeladen. Król, eigentlich Maler, baut eine Bar, die zugleich ein Tisch und eine Skulptur ist. In der von Kossack geleiteten, offenen Klasse an der HGB Leipzig fand sich „Neue Ratio“ zusammen.
Der Aufwand hinter scheinbar Selbstverständlichem
Nach eigener Auskunft setzt sich die Gruppe mitunter ironisch mit „Problematiken des Kunstmarktes, der Selbstvermarktung und der ökonomischen Realität junger Künstler“ auseinander. Olga Monina präsentiert unter anderem eine Arbeit, die von einem unglücklich verlaufenen Atelierbesuch erzählt. Zwei potenzielle Kunstkäufer kamen in Anna Neros Atelier, der Abend zog sich immer mehr in die Länge und führte dennoch zu keinem Ergebnis. Nun präsentiert Monina eine fiktive Rechnung, die die an jenem Abend von den Künstlern geleistete Arbeit erfasst und protokolliert. Der Aufwand hinter scheinbar Selbstverständlichem wird nachvollziehbar. Die mehrseitige Rechnung ist von einer digitalen Zeichnung unterlegt.
„Diese Ausstellung soll wie eine Interieur aufgebaut sein, wie eine Bühne, auf der etwas passiert“, sagt Olga Monina. Noch im Aufbauprozess drehen die beteiligten Künstlerinnen und Künstler einen Videotrailer zur Ausstellung, „eine Inszenierung verschiedener Charaktere“. Zur Eröffnung hält Florian Hesselbarth eine Rede über seine Erfahrungen als junger, freischaffender Künstler in Berlin. Am zweiten Abend der Ausstellung findet Carsten Tabels Performance „Stuck on Earth“ statt. Tabel widmet sich dem Phänomen Alf – anlässlich des Todes des Schauspielers Michu Meszaros, der jahrelang das kultige Wesen spielte. Anhand von Spoken Word, Videoeinspielungen und Liedern wird Alf die letzte Ehre erwiesen.
Refugium für figurative Malerei
Anna Nero zeigt zwei großformatige Arbeiten sowie mehrere kleine Leinwände. Ihr Malprozess baut auf mehreren, festgelegten Schritten auf. Zuerst legt Nero auf der Leinwand ein Raster oder eine strenge Setzung an. Im zweiten Schritt malt sie eine große Geste, einen Pinselstrich, die die Komposition „zersetzt“. Ihre kontrastreichen und klaren Bilder entstehen Schicht für Schicht. Bisweilen werden die wilden Gesten wieder „gebändigt“, in einen schon fast erzählerischen Zusammenhang gebracht. „Ich bin nach Leipzig gegangen, weil ich dachte, dort malen alle figürlich“, erinnert sich Nero. „Dort habe ich angefangen, Gitter zu malen“, fügt sie hinzu. Auch sonst setzt sie auf Strenge: Nero verwendet zumeist nur zwei Bildformate.
Anna Nero und Olga Monina studierten bei Ingo Meller, der an der HGB „Malerei mit medienübergreifender Ausrichtung“ lehrt. Von seiner konzeptuellen Arbeitsweise wurden beide beeinflusst. Die Hochschule für Grafik und Buchkunst, die oftmals als Refugium für figurative Malerei gesehen wird, befindet sich indes im Wandel. „Wir sind ein Teil davon“, sagen Monina und Nero. Die Studenten identifizierten sich immer weniger mit der Malerei der „Neuen Leipziger Schule“, berichten sie. Von Wandel künde beispielsweise Clemens von Wedemeyers seit 2013 bestehende Klasse für „Expanded Cinema“. So weht ein frischer Wind in Leipzig. Mit ihrem unorthodoxen Blick auf die Kunstwelt und deren Mechanismen fügt sich die Gruppe „Neue Ratio“ in das Bild des Aufbruchs. Man darf gespannt sein, ob auch Frankfurt davon profitieren kann.