Alle Jahre wieder: Der Rundgang der Städelschule hat sich längst als zeitgenössisches Kunsthighlight in Frankfurt etabliert. Vom 9.-11. Februar zeigen Studierende ihre Arbeiten in der Dürer- und Daimlerstraße. Hier sind erste Einblicke.
Jedes Jahr aufs Neue pilgern Anfang des Jahres Kunstliebende aus ganz Frankfurt in die Hallen der Städelschule, um aufstrebende Talente sowie neueste Tendenzen und Trends in der zeitgenössischen Kunst zu entdecken. Der Weg zwischen den beiden Locations in der Dürer- und Daimlerstraße wird dank eines kostenlosen Shuttles, der ab 11 Uhr stündlich fährt, leicht zurückgelegt. Das Deutsche Filmmuseum dient als große Leinwand für die Videoarbeiten. Ergänzt wird der Rundgang durch Lectures, Performances, Theaterstücke, Koch-Performances, Workshops, Lesungen, Live-Musik und eine Party.
Nicholas Stewens
Von der klassischen Malerei bis zur Skulptur bahnt sich Nicholas Stewens seinen Weg zu einer künstlerischen Praxis, die er selbst als „work in progress” beschreibt. Dabei interessieren ihn Logiken, die man nicht in ihrer Gänze entschlüsseln kann. Das Werk „Sticks” zeigt Schmetterlinge als fragile Körper auf der einen, ein Miniatur-Gerichtshof aus Holz auf der anderen Seite. Die Dialektik seiner ausgestellten Werke verweist auf eine Unmöglichkeit: Schmetterlinge kann man nicht verklagen. Die eskapistische Geste aus dem herrschenden System wird dabei zu einer Suche nach Gerechtigkeit für all jene, die nicht in eine genormte Welt passen (wollen).
Tornike Gognadze
Die Mini-Retrospektive des Künstlers Tornike Gognadze ist der „zweite Akt” zu seiner Soloausstellung „The Dream”, die vor fast genau einem Jahr im Frankfurter fffriedrich gezeigt wurde. Seine Arbeiten zitieren in ihrer Präsentation die Oper und das Schauspiel. Sie teilen den Raum entzwei, wobei ein monumentaler schwarzer Vorhang als divers aufgeladenes Stilmittel dient: Er verdeckt und offenbart, zieht Grenzen zwischen Realität und Fiktion und fordert das Verhältnis von Künstler und Publikum hinaus. Die kleinformatigen Gemälde zeigen tagebuchartige Szenen und Gedanken aus seinem Leben, die auf subversive Art und Weise eine politische Ebene in seiner Praxis ergänzen.
Lulu Leika Ravn Liep
Die zwei ortsspezifischen Arbeiten der Künstlerin Lulu Leika Ravn Liep kratzen an der Substanz der Städelschule. Dabei sind es subtile und intime Gesten, die die zarten Arbeiten der Künstlerin auszeichnen. In der Halle vor dem Studio hat sie weiße Farbe von der Fußbodenleiste abgekratzt und ein Porträt an die Wand gezeichnet, das Steckdose, Lichtschalter und Fußleiste nachahmt. Im Atelier hat sie wiederum die Dielen des Holz-Fischgräten-Parketts durch passgenaue, intransparente Papier-Elemente ausgetauscht. Während die eine Arbeit unaufgeregt, unaufdringlich und fast unmerklich viel Platz einnimmt, fügt sich die andere direkt in die Architektur ein. Diese introvertierte Praxis der Künstlerin wird auch in der dritten Arbeit deutlich: eine Fotogravur, die das Innere eines Lochs im Stoff zeigt.
Linus Berg
Seit einem Jahr ist Jonglieren das zentrale Forschungsthema des Künstlers Linus Berg, der mittels Skulptur und Text Theoretisches wie Biografisches verhandelt. In seiner künstlerischen Praxis geht er der Frage nach, ob der Wert der Kunst darin liegt, die investierte Arbeit und Zeit zu kaschieren oder aber gerade für die Betrachter*innen merklich zu machen. An seinem aktuellen Forschungsgegenstand interessiert ihn sowohl die Abhängigkeiten zwischen Kunst und Unternehmerschaft, als auch die Ästhetik des Ulkigen, die Autor*innenschaft der Magie und zahlreichen sonstigen Konnotationen von Jongleur*innen. Galten sie früher als Künstler*innen oder Trickser, bespaßen sie heute meist nur noch Autofahrer*innen auf dem Weg zur Arbeit an einer roten Ampel. Den Künstler beschäftigen Momente des Scheiterns und der Gleichzeitigkeit: Das zerbrochene Porzellan, der Crash aus Metall, die Geste „Naja was solls” der Hände.
Rahel Goetsch
Die Preisträgerin des 26. Bundespreis für Kunststudierende 2023 Rahel Goetsch verortet ihre Praxis seit Beginn des Studiums im Medium der Zeichnung, auch wenn sie gleichzeitig an Holzschnitten und Skulpturen arbeitet. In ihren figurativen und farblichen Werken verwendet sie diverse Materialien, die wie Öl- und Kohlestift Gegensätze bilden. Das eine Material ist präzise, starr und unbeweglich, das andere verwischt und verteilt sich auf dem Zeichenpapier. In ihrer Arbeitsweise bedingt die Größe des Studios die Größe der Kunstwerke. Je großzügiger der Raum, desto raumgreifender die Arbeiten und vice versa. In ihrer Serie von ca. fünfzehn Zeichnungen ist das Ohr ein Symbol der Kommunikation beziehungsweise des Zuhörens. Die Hosentaschen wiederum verweisen symbolisch auf intime Gegenstände. Die Künstlerin ist eine genaue Beobachterin ihrer Umwelt, des Alltags und des Unaufgeregten. Die leisen Zeichnungen halten die (un)wache Welt bildlich fest.
Aerin Hong
Die Praxis der Künstlerin Aerin Hong entfaltet sich in konzeptuellen wie intuitiven Ansätzen. Dabei fungieren die sechs Holzpfeiler, die an das japanische Videospiel „Princess Maker" erinnern, als zentrales Element. Das Spiel zeigt, wie eine Tochter durch ihren Vater zur Prinzessin erzogen wird. Die Holzpfähle in Hongs Studio bilden eine direkte Verbindung dazu und symbolisieren gleichzeitig verschiedene Lebensabschnitte, die durch unterschiedlich große Betten repräsentiert werden: Queen-, King- oder Twinsize-Betten. In dieser Arbeit setzt Hong sich mit Themen wie Gender und Kolonialismus auseinander. Die Verbindung zum Werk „Untitled” erfolgt durch die Referenz zur Marke „Perfect Whip", welche eine inhaltliche Verknüpfung zur asiatischen Beauty-Industrie herstellt. Hierbei erweitert und transformiert die Künstlerin den Raum um eine neue Ebene und ermöglicht eine alternative Interpretation.
Charlotte Berg
Die Malerei von Charlotte Berg ist so figurativ wie abstrakt, dabei ist ihr Verhältnis zu Farbe sparsam und sanft. Ihre Werke sind oft von einer Art Schleier überzogen, der die Sicht auf die abgebildeten Dinge trübt und somit eine Distanz erzeugt. Das DIN-A4 große Diptychon zeigt eine graue Landschaft, wobei die beiden Bildträger visuell durch einen Gartenbogen zusammengehalten werden. Die Farbe ist an vielen Stellen sichtbar abgekratzt und hinterlässt einzelne, weiße Leerstellen, die von einer gewollten Imperfektion zeugen. Das Motiv der Rose und des Tors auf dem weißen Untergrund bilden ebenfalls ein Paar. Die Linien der Gehäuse, des Metallrahmens und Reagenzglases sind stark und scheinen dem Saum und der Blüte Halt zu geben. Eine weitere Arbeit von Berg hängt im Zoll in Kutaisi, Georgien, fest, wo die Arbeit zuletzt ausgestellt wurde. Emmilou Rössling gibt in diesem Jahr Führungen in Audiodeskription für hör- und sehbehinderte Menschen. Hierbei wird dieses Werk auf auditive Weise zugänglich gemacht.
Arnaud Ferron
Arnaud Ferrons Skulpturen thematisieren die Verführungskraft materieller Dinge, der kapitalistische Gesellschaften erliegen. Der Künstler hinterfragt die Interpretationsebene von Objekten, die durch den Akt des Kaufens den Ausgangspunkt seiner Kunstwerke bilden. Seine drei Werke stehen in Korrespondenz mit einer Solo-Ausstellung auf der anderen Seite des Mains. Eine fotografierte Pfeife, eine Katze aus Keramik in einem Stahlkäfig und ein Stahlrohr des renommierten Design-Herstellers USM reflektieren westliche Konsum- und Geschmackslogiken. Die Pfeife offenbart die inhärente Macht dynamischer Objekte: Befehle werden erteilt, Kommunikation wird verschlüsselt, vereinfacht und anerzogen. Die Katze im Käfig bleibt den Besucher*innen aufgrund ihrer erhöhten Platzierung im Raum unzugänglich. Genau wie die restlichen Objekte, entzieht sie sich der direkten Betrachtung durch die Besucher*innen – das Begehren, sie mit dem Blick zu durchdringen, bleibt analog zum Konsumbegehren kapitalistischer Gesellschaften wohl für immer ungestillt.