Neven Allgeiers Fotografien im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden scheinen Personen einer ganz spezifischen Jugendkultur der Generation Z abzubilden. Seine Einzelausstellung versammelt Porträt-, Natur- und Landschaftsaufnahmen, die zusammen einen intimen Einblick in das Verhältnis einer jungen Generation zu ihrer krisengeprägten Umgebung geben.
Mit der Ausstellung „Neven Allgeier / Drown in Dreams” im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden kehrt der in Wien lebende Künstler Neven Allgeier in seine Geburtsstadt zurück. Aufnahmen junger Menschen und vielfältige Landschafts- und Naturfotografien füllen die zwei Etagen der Altbauvilla in der Wilhelmstraße 15. Die Ausstellung zeigt neben Allgeiers Fotoserie „Fading Temples”, die 2022 in der gleichnamigen Publikation im Distanz Verlag erschienen ist, bisher unveröffentlichte Arbeiten und neue Werkkombinationen.
Wir blicken in die Gesichter junger Menschen, die in teils bunten, teils gedeckten Outfits unterschiedlichster Modestile und in selbstbestimmten Posen abgelichtet wurden – Allgeiers Fotografien scheinen Personen einer ganz spezifischen Jugendkultur der Generation Z darzustellen. Der Künstler lässt die Porträtierten selbst entscheiden, in welcher Kleidung, mit welchen Accessoires und an welchen Orten sie fotografiert werden. Die Aufnahmen vermitteln so eine intime, selbstbewusste Authentizität, in der die eigene Persönlichkeit und Ausdrucksweise mit dem Künstler und den Betrachter*innen geteilt wird. Beim Rundgang durch die Räume des Kunstvereins scheint es, als würden die Einzelporträts in der Gesamtschau eine Art jugendliche Gruppe bilden. Es entsteht ein kommunikativer Austausch zwischen den fotografierten Individuen und den Betrachtenden – ein Austausch, der zu einer gewissen Selbstbefragung anregt. Bin ich Teil der Geschichten, die die Porträtierten, diese Gruppe an Menschen, erzählen? Welche gemeinsamen Gedanken und Gefühle, welche Hoffnungen teile ich mit ihnen?
Was die Fotografien erzählen, erschließt sich nicht unbedingt auf den ersten Blick. Denn die Gesichtsausdrücke der Porträtierten sind von einem unbestimmten Charakter geprägt und vermitteln eine Gleichzeitigkeit unterschiedlichster Gefühle und Eigenschaften – von Nostalgie über Melancholie bis hin zu spielerischem Humor. Ein leichtes Lächeln trifft auf einen sorgenvollen, aber auch selbstbestimmten Blick. Scheinbar zwiespältige Stimmungen entstehen, die im Einführungstext zur Ausstellung kontextualisiert werden: Die jugendliche Hoffnung und Lebensfreude dieser (oder vielleicht jeder jungen) Generation wird von den immensen gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart durchkreuzt. Der jugendliche Charakter mündet in einen Zustand, in dem verschiedenste, eigentlich widersprüchliche Gefühle und Eindrücke simultan existieren.
Zwischen utopischer Sehnsucht und dystopischer Vorsehung
Die Fotografien geben einen Einblick in dieses spezifische Verhältnis einer Jugendgeneration zu ihrer von Krisen geprägten Umgebung. Geradezu paradigmatisch fügt sich die Formen- und Bildsprache von Allgeiers Fotografien darin ein – denn auch sie zeichnet sich durch eine dynamische Unbestimmtheit aus. In den Aufnahmen, von denen man nicht genau weiß, zu welcher Tages- oder Jahreszeit sie entstanden sind, ist ein atmosphärisches, pastellfarbenes Leuchten allgegenwärtig, das die Motive der Fotografien in einen fast geheimnisvollen, verträumten Schein hüllt. Es verleiht den Sehnsüchten der Abgebildeten Ausdruck, verweist jedoch zugleich auf die Unerreichbarkeit manch träumerischer Hoffnungen in der krisengeprägten Gegenwart.
Durch die Kombination von Landschaftsmotiven und Porträts, die neben- und miteinander gehängt wurden, werden assoziative Erzählungen angestoßen. Detailaufnahmen von Flora und Fauna sind ähnlich wie die abgebildeten Individuen von einem pastellfarbenen Schimmer umgeben. Die erhabene Wirkung einiger Landschaftsaufnahmen drückt den Moment einer utopischen Hoffnung aus – während einzelne, in Rot getauchte Aufnahmen einen Einblick in mögliche dystopische Vorsehungen geben. Durch die Verknüpfung unterschiedlichster Motive und Stimmungen entstehen so vielfältige Narrative, die je nach Anordnung offen, variabel und keinesfalls abgeschlossen sind. In diesen mehrdeutigen Interpretationsansätzen verraten die Natur- und Landschaftsaufnahmen nicht nur etwas über den Charakter der porträtierten Personen, sondern sie versinnbildlichen auch den Zustand einer Jugendgeneration, die sich in der widersprüchlichen Gleichzeitigkeit verschiedenster Gefühle und Eindrücken wiederfindet.
Nassauischer Kunstverein Wiesbaden
Neven Allgeier / Drown in Dreams
Bis zum 10. November 2024