Das Künstler*innen- und Kurator*innen-Kollektiv Magma Maria bringt im gleichnamigen Off-Space seit 2020 Kunst nach Offenbach. Ihre Ausstellung „Floor Plan” zeigt noch bis zum 7. April fünf künstlerische Positionen, die den Blick gen Himmel lenken.
Es ist ein wechselhafter Frühlingstag im März. In dem rundum verglasten Raum von Magma Maria strahlt die Sonne, nachdem kurz vorher noch ein Unwetter an den Scheiben vorbeigezogen ist. Durch die Innenräume schlängelt sich ein dichtes Gewirr von Rohren, aus denen es knackt, rauscht und zischt. An den schwindelerregend hohen Glasfronten perlt der Regen des vergangenen Schauers ab.
Mit Brezeln und Leberkäse in der Hand, verteilt der Künstler Jakob Francisco Kinder-Happy Hippos, die einen mit ihren kleinen Kulleraugen erwartungsvoll anschauen. Künstlerin Lena Stewens und ich sehen die Süßigkeiten an und lachen. In diesem Moment rast auch der Künstler Malte Möller mit seinem Fahrrad vor die Tür. Für den Moment ist das Kollektiv damit komplett. Nicht alle können immer vor Ort sein, so fehlen heute die weiteren Mitglieder Lea Klemisch, Marina Köstel, Johannes Schwalm und Timon Sioulvegas. Doch auch in kleinerer Besetzung kommen wir schnell ins Gespräch über Magma Maria und die Ausstellung „Floor Plan”.
Mit dem Großbauprojekt „Hafen Offenbach”, das die Urbanisierung des Hafengeländes in Offenbach vorantrieb, entstanden bis 2020 zahlreiche Wohn-, Büro-, Hochschul-, Schul- und Einzelhandelsflächen. Es ist auch das Entstehungsjahr des neuen Kunstraumes, der unter dem Namen Magma Maria bis heute besteht und zum Ausstellungs-Juwel in besagtem Hafenviertel Offenbachs geworden ist.
Raus in die Welt!
Der Künstler Mike Bouchet, der seit dem Wintersemester 2019/20 auch Professor für Bildhauerei an der HfG in Offenbach ist, hat den Raum entdeckt und an 20 Studierende mit der Idee vermittelt, sich darin künstlerisch zu verwirklichen. Schnell haben sich die Studierenden zusammengefunden und die Vision geschärft. Ab sofort lautete die Matrix aus Offenbach „Raus in die Welt”, erinnern sich Francisco, Möller und Stewens.
Die Programmatik von Magma Maria ist nicht linear, vielmehr folgt das Kollektiv einer ephemeren Logik, die sich mit jeder Ausstellung und mit jedem Treffen neu formiert. Es gehört zur Stärke des Off-Spaces, der so viele junge (inter-)nationale Positionen versammelt.
Nichts ist sicher, nicht mal die nächste Ausstellung
Es ist der Raum selbst, der Magma Maria dazu veranlasst, spontan und agil zu denken – als Kollektiv, aber auch als Ausstellungsfläche. Der Off-Space, der im nun vier Jahre alten Hafen-Stadtteil gelegen ist, hat sich fest etabliert und fungiert als verlängerter Arm nach Frankfurt, mit direkter Main-Verbindung zur EZB. Neben Magma Maria sind ein Rewe, DM, Kiosk und eine Eisdiele, darüber sind Wohnungen. Es ist der einzige Raum, der in dem Neubaukomplex noch nicht vermietet wurde.
Das ist Glück und Crux zugleich. Glück, weil der Raum so kostengünstig über die Jahre hinweg genutzt werden konnte. Crux, weil es jederzeit sein kann, dass der Raum vermietet wird. Nichts ist sicher, nicht mal die nächste Ausstellung. So erzählt Möller davon, dass Interessent*innen oft den Raum während des Ausstellungsaufbaus besichtigen und begutachten. Ob die geplante Ausstellung überhaupt stattfinden kann, stellt sich dann immer erst später heraus. Magma Maria ist ein Ausstellungsort, der in einem kontinuierlichen Schwebezustand verweilt. Dieser Zustand wirkt sich nicht nur auf die physische Präsenz des Raums aus, sondern auch auf die Inhalte und Ideen, die in ihm präsentiert werden.
All diesen Widrigkeiten zum Trotz stehen wir heute in der neuesten Ausstellung „Floor Plan". Der Titel allein stellt bereits das erste Rätsel dar, ein geschicktes Pokerface der gesamten Präsentation: Ein Blick gen Himmel, und somit gen Decke, offenbart unmittelbar die Richtung des Spiels. Hier setzen die Kurator*innen Malte Möller und Lena Stewens an, indem sie bewusst gegen unsere Sehgewohnheiten arbeiten. Sie zwingen uns freundlich dazu, unsere Perspektive zu ändern, unsere Köpfe in den Nacken zu legen und uns auf ungewohnte Weise mit dem Raum auseinanderzusetzen.
Alexander Gdanietz
Schon vor dem Betreten der Ausstellung strahlen die hängenden Arbeiten des Düsseldorfer Künstlers Alexander Gdanietz durch die Fenster. „Aktion” steht auf den grell-rot-gelben Schildern, die an das aufmerksamkeitsheischende Design eines Discounters erinnern. Was als Teil eines Leitsystems im Supermarkt zum besten Schnäppchen führt, weist bei Magma Maria zu einer Leerstelle und zu uns selbst: Der Super-Deal, der keiner ist. Der Künstler stellt mittels der Ready-Made-Attrappen den kommerzialisierten Raum infrage, in dem bestimmte Verhaltensmuster konditioniert werden und die Architektur der Logik der Konsum-Maximierung folgt. „Viel Lärm um nichts”, so hätte William Shakespeare die Arbeiten beschrieben, mit dem Zusatz: „ist alles, was es braucht.”
Daewoong Kim
Anders als die Signalfarben von Gdanietz, reiht sich die Skulptur „die Säule” des Künstlers Daewoong Kim in die Architektur und Farbpalette von Magma Maria ein. Mit aufeinander gestapelten Kartons verbindet die Arbeit als einzige in der Ausstellung Boden und Decke. Während im Ausstellungsraum drei massive Beton-Säulen eine zentrale tragende Funktion für das ganze Gebäude haben, ist die Arbeit Kims funktionslos für die Architektur. Dennoch ist auf den Kartons mit Kohle und Bleistift eine antike Säule skizziert, die einst in der altpersischen Residenzstadt Persepolis stand, bevor sie 330 v. Chr. durch Alexander den Großen zerstört wurde. Einige Überreste dieser Säule stehen noch heute, jedoch ohne jegliche architektonische Funktion. Sie dienen als Relikt, das als Verbindung zur Vergangenheit fungiert. Mit der federleichten und nutzlose Säule verweist der Künstler auf die skulpturalen Elemente der Säulen, den sogenannten künstlerischen Stellenwert, der oft mit der Architektur verschmilzt. Der Fokus auf die Motivik anstelle der Statik verhandelt gleichermaßen die Beziehung zwischen Skulptur und Architektur.
Swinda Oelke
Die Künstlerin Swinda Oelke nimmt ebenfalls Bezug auf die Statik des Gebäudes. Inmitten des Raumes hängt ein Beamer von der Decke, der sie von unten nach oben anstrahlt. Für die Arbeit „Ruheposition" projiziert Oelke ein Video, das sie in schwingenden Pendelbewegungen von einer Decke gemacht hat, auf genau dieselbe Decke. Dabei wird die Beton-Decke optisch in Bewegung gesetzt. Oelke reagiert in dieser Arbeit unmittelbar auf Magma Maria – sie zeigt eine Momentaufnahme des vergangenen Raumes, die mit dem aktuellen Raum kommuniziert. Das formale Spiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart wirft Fragen der Zeitlichkeit auf. Es entsteht ein selbstreferentieller Loop aus Licht, Architektur und Film. Die Künstlerin nutzt das schwingende mechanische Auge, um unsere Wahrnehmung zu irritieren und zu hinterfragen.
Nina Nadig
Das Spiel mit und Austricksen der Betrachter*innen findet sich im metaphorischen Sinne in der Arbeit „“LOVE, LUCK, LUST, LOSE” von Ninda Nadig wieder. Die Installation macht die Decke zum Brettspiel. Es braucht nicht mehr als Seile, LKW-Planen und die Spannung zwischen den beiden Elementen, um zu verstehen, dass hier mehr auf dem Spiel steht, als ein Spiel. Ein deutsches Sprichwort lautet: „Im Spiel zeigt sich der wahre Charakter", und so werden Gesellschaftsspiele auch in Assessment Centern bei Job-Bewerbungen eingesetzt, um die Fähigkeiten und Eigenschaften von Bewerber*innen zu evaluieren. Spiele haben eine transformative Kraft; sie können uns in Gewinnerinnen und Verlierer*innen aufteilen, aber der Moment des Triumphs ist oft flüchtig. Die Fragilität dieses „Glücksmoments" zieht uns an und verführt uns dazu, weiterzumachen, in der Hoffnung auf den großen Gewinn. Dabei erinnert die Installation an Backgammon, eine Mischung aus Strategie- und Glücksspiel. Es symbolisiert eine Art Illusion, die uns dazu verleitet, in einem Zustand der Unsicherheit zu verweilen. Hier und jetzt folgt das Spiel keinen Regeln und endet nicht. Die Künstlerin hinterlässt uns mit einer Leerstelle. Gleichermaßen kann es metaphorisch gelesen werden: Das Leben und die Liebe sind (k)ein ewiges Spiel.
Celia Zehetgrubers
Die hohe Decke macht die Videoarbeit von Celia Zehetgrubers „solo, tutti“ unantastbar. Zugleich gibt die Positionierung der Arbeit der Poledancerin, die auf einem Zwei-Kanal-Video im Loop an der Metallstange performt, einen geschützten Raum. Kein Blick kann sie wirklich durchdringen, kein Blick kann ihr zu nahe kommen. Die Distanz zum Screen verstärkt den Abstand zum Körper, der sich entlang der Stange hoch und runter schmiegt. Doch ihr Körper ist nicht alleine in dem Video. Immer wieder blitzen andere Personen hervor, die den Sound oder den Film aufnehmen. Zehetgrubers erklärt den performenden Körper in ihrer Arbeit zum Mittelpunkt. Dabei entstehen Momente der Spannung, die durch den oszillierenden Ton zwischen den Boxen ergänzt wird. Das Pfeifen in einer Flasche erklingt, Schritte äußern sich akustisch und Stangen quietschen. Die Klänge spiegeln die Szenen wider: Eine Spannung zwischen Zeigen und Verdecken, Entblößen und Beschützen. Die Intimität durchdringt den kleinen Raum. Dabei kommen wir der Poledancerin so nah, wie die Zeigefinger von Gott und Adam in Michelangelos Deckenfresko „Die Erschaffung Adams” – eine Geste, die am Ende des Videos angedeutet wird.
Die Ausstellung von Magma Maria bricht mit unseren Sehgewohnheiten und mit dem Bezugssystem einer klassischen Ausstellungsarchitektur. Dabei tritt der an einen White Cube anmutende Raum, in einen Dialog mit den Arbeiten, der Kopf steht. Den Kopf gen Decke richtend, eröffnet sich ein Tor zum Himmel.