Performances, Podiumsdiskussion und Partizipation: Am Osterwochenende lädt die Künstlerin Daria Nazarenko die Urban Dance-Szene in den Neuen Kunstraum Düsseldorf. Das Publikum darf mittanzen.
Das kollektive Miteinander steht seit jeher im Zentrum des Urban Dance – einer Kulturpraxis, die ihren Ursprung in der Bronx der 1970er Jahre nimmt. Damals entwickelte sich der urbane Tanz innerhalb der “Black community”, um sich bald darauf genauso wie Hip Hop und Graffiti weit über die Grenzen New Yorks auszubreiten. Mittlerweile ist der Urban Dance mit seinen unzähligen stilistischen Ausprägungen – vom Breakdance bis zum sogenannten Waving – aus den Metropolen dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Seine Geschichte verzeichnet sich als eine der Aneignungen von “Black Excellence” unter weißer Vorherrschaft und bedarf daher einer kritischen Betrachtung.
Das reflektiert auch die in Düsseldorf lebende Künstlerin und Tänzerin Daria Nazarenko in dem von ihr initiierten Projekt “i sneezed on the beat and the beat got sicker”. In einem dreitägigen Programm vereint die Ausstellung inmitten einer mehrteiligen Videoinstallation im Neuen Kunstraum Düsseldorf Workshops, Tanz-Sessions und ein Expert*innen-Gespräch. Unter anderem sollen Fragen nach kultureller Aneignung selbstkritisch zum Thema gemacht werden. Die Idee entstand nach einjähriger Recherche im Rahmen des Projekts Pumps&Hammers zusammen mit Lina Thöne Mustafa Fuzer und Erika Knauer.
Das Paradigma des Gemeinschaftlichen
Zahlreiche weitere Akteur*innen sind in die Realisierung des Projekts involviert. Damit entspricht es dem Paradigma des Gemeinschaftlichen innerhalb der urbanen Tanzpraxis selbst. So ist etwa die Düsseldorfer Dance-Crew HoS vertreten, der sich die Künstlerin zu Beginn der Corona-Pandemie anschloss. “Ich lernte in den vergangenen zwei Jahren sehr viele Akteur*innen dieser Szene kennen, die ich für extrem innovativ halte. Das möchte ich mit der Kunstszene teilen.” Damit meint Daria Nazarenko weitaus mehr als das lokale Kunstgeschehen. “Es geht nicht nur um urbanen Tanz, sondern auch um Strategien von Subkulturen, die sich immer wieder bilden und sich ganz flexibel an unterschiedlichen Orten Bühnen schaffen – ob institutionell oder nicht.”
Es geht nicht nur um urbanen Tanz, sondern auch um Strategien von Subkulturen, die sich immer wieder bilden
Nazarenko ist 2019 für das Kunststudium an die Düsseldorfer Akademie gekommen. Im “House of DGF”, der Performance-Klasse von Dominique Gonzalez-Foerster, absolviert sie nächstes Jahr. In den gegenwärtigen Kunstdiskursen, die auch das Studium der freien Kunst prägen, wird sich gerne auf Kollektivität und Solidarität berufen. Die Vorstellung des singulär schaffenden Individuums ist längst überholt, kollektive Arbeitsprozesse werden allseits proklamiert. Doch oftmals bleiben diese Ansätze eine Vorstellung, die in den verhärteten Strukturen des Kunstbetriebs geradezu utopisch wirken. Die Künstlerin richtet sich vor diesem Hintergrund mit “i sneezed on the beat and the beat got sicker” auch an die Kunstwelt, die Machtstrukturen dekonstruieren und Hierarchien abbauen will. Was kann diese vom Urban Dance lernen?
Laut Nazarenko basiert der Lernprozess im Urban Dance auf dem Motto “each one teach one”: In gemeinsamen Tanz-Sessions können sich alle Beteiligten untereinander etwas beibringen und somit in gleichem Maße selbst Neues erlernen. Dieses Prinzip findet in Form von bewegungsbasierten Dialogen statt. Die Tänzer*innen bilden einen Kreis und öffnen in dessen Zentrum eine Bühne, die zum Austausch tänzerischer Gesten, sogenannten “Cyphern”, dient. “Call and response” heißt der Vorgang, der eine Kettenreaktion in Gang setzt und auf der Idee von Kommunikation auf Augenhöhe beruht. Wieso nicht diese Methode übertragen und eine Plattform kreieren, auf der die beiden Szenen ebenbürtig voneinander profitieren können?
Mehr als eine Tanzaufführung
Durch die Implementierung des Themas in den Neuen Kunstraum Düsseldorf verlässt der urbane Tanz für ein Wochenende die Straßen und schafft zugleich Sichtbarkeit dieser Subkultur. Kann ein Ausstellungsraum die Freiheiten bieten, die sich die Tänzer*innen auf dem Asphalt nehmen? Die Akteur*innen sind es jedenfalls gewohnt, Orte für sich zu erobern. Der öffentliche Raum gilt als Treffpunkt aller und ermöglicht ihnen freie Ausdrucksweisen. In dem selbstermächtigenden Vorgang steckt weitaus mehr als eine Tanzaufführung. Es entsteht vielmehr ein Netzwerk, das sich selbst erhält und von gegenseitiger Unterstützung lebt. Indem die Akteur*innen im urbanen wie im digitalen Raum, und nun auch in der Kunstinstitution “representen”, werden sie Vorbild und Anlaufstelle für Interessierte.
Wer also am Feiertagswochenende – anstelle von klassischen Ausstellungsbesuchen – erleben möchte, was auf den Straßen Nordrhein-Westfalens und darüber hinaus vor sich geht und trotzdem nur selten Beachtung findet, wird hier nicht enttäuscht. Die Partizipation selbst versteht sich dabei bloß als Angebot. Vor allem geht es darum, sich im eigenen Körper wohlzufühlen, wie die Initiatorin betont.