Sehnsuchtsort, Hoffnungsträger, umkämpftes Gebiet. Eine Ausstellung in München zeigt den Wald als sozialen Raum und eröffnet damit neue Perspektiven.
Im Wald wird gefällt, gepflanzt, gerodet, gelebt, kultiviert, sich erholt, gewandert, regeneriert, gefressen, zerstört, wiederbelebt, beschützt und ausgeliefert. Da gibt es das Unterholz, das Dickicht, den Urwald, die Monokultur, die Lücken, die Verstecke, die Geräusche und die Sprache, die wir nicht kennen. Der Wald ist ein aufgeladener Ort, der in den unterschiedlichsten Formen daherkommt, sich einer konkreten Definition entzieht und doch immer für etwas großes steht. Die absolute Bedrohung oder der schönste Schutzraum. Je nachdem. Und nicht zuletzt, pragmatisch festgestellt, ist der Wald CO2- und Wasserspeicher und Sauerstoffproduzent.
Im Wald geht einiges vor sich. Da stehen die Hexenhäuschen, da gehen Jäger und Förster mit Pfeifen in Mündern hindurch oder brausen mit ihren grünen Autos daher, da liegen die brutalen Wilderer auf der Lauer, da findet sich all der Kitsch der Heimatfilme mit schöner Musik, da gibt es die Romantik der einsamen Natur, der wilden Tiere. Die Mythen, Sagen und Märchen, voller Tapferkeit, Schmerz und Mut – mit Räubern, verloren gegangenen Kindern und Einzelgänger*innen, die sich der Zivilisation entziehen.
Die ERES-Stiftung, die sich dem Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft verschrieben hat, schuf nun einen ganz eigenen Wald in der Münchner Innenstadt. Ein Wald ohne Bäume und ohne Tiere, in dem es aber duftet und zwitschert. Der Wald als Projektionsfläche. Der Wald als sozialer Raum. Der Wald als Gegenentwurf. Dieses Thema ist akut. Ganze Wälder werden schließlich von Käfern zerfressen, für Bewirtschaftung benötigt und dafür aufgegeben oder auch den ganzen Tag von staunenden Touristen zertrampelt. Der Klimawandel ist zu spüren, die Umwelt verändert sich, es ist heiß.
Das Thema ist zeitgemäß. Die Covid-19 Pandemie und die daraus resultierenden Einschränkungen haben sicherlich bei einigen die Sehnsucht nach der (unberührten) Natur neu entfacht. Blieb doch der heilbringende Ausflug eine der wenigen Möglichkeiten aus der misslichen Lage zumindest für kurze Zeit zu entkommen. Die Betrachtung der Natur eine dankbare, vielleicht sogar heilsame Abwechslung.
Handelt es sich um Schutz oder Bedrohung?
Doch zurück zur Ausstellung: Im Vorgarten trällern die Vögel seltsam vor sich hin und ziehen einen schier automatisch an. Die Eingangstür aufgemacht, steht man prompt in einer Hütte. Und da geht es ja schon los. Handelt es sich hierbei um einen Schutzraum, oder doch um eine verwunschene, vielleicht sogar bedrohliche Baracke? Durch die Fenster der Hütte wird der Wald noch aus sicherer Entfernung betrachtet. Da sieht man direkt hinein in die Natur: einerseits wie sich die Äste im Wind wiegen und andererseits wie als Tiere verkleidete Menschen durch den Wald spazieren, in einem Bergsee planschen und vor sich hin philosophieren.
Aber um wirklich in den Wald zu gelangen, muss man die Hütte verlassen. Dann geschieht alles gleichzeitig. Es gibt keinen festgelegten Parcours, keinen Start- und Zielpunkt der Ausstellung. Den Besucher*innen steht es frei, in jede Richtung zu wandern. Aber dieser Wald ist nicht unbedingt Erholungsort. Er kommt nicht harmlos daher. Vielmehr bietet er eine Auswahl an Möglichkeiten, an Zugängen an, um ihm näher auf die Spur zu kommen. Hier können sowohl eingewachsene Hirschgeweihe, Pilze, Waldböden und Moorproben betrachtet werden. Aber auch Bambis Wald wird erfahrbar, CO2 wird hörbar gemacht und die Waldliteratur neu aufgelegt. Ein Birkenwald und Schmerzmittel, ein Rotfuchs, Goldkäfer, ein bewaldetes Stadion, ein Schwan im Dreck und der Versuch, einer Topfpflanze das Alphabet beizubringen.
Dieser Wald ist nicht unbedingt Erholungsort
Doch dem ist nicht genug. Die ERES-Stiftung bietet zudem begleitend naturwissenschaftliche Vorträge, eine Exkursion und ein Symposium an. Außerdem einen Podcast zum Internet des Waldes. Die Vortragsreihe beginnt am 6. Juli 2020 mit „Waldsterben - Rückblick auf einen Ausnahmezustand“ und wird ab dem 8. Juli 2020 als Video auf der Webseite zu sehen sein. Also: raus in die Natur – Mit John Baldessari, Luisa Baldhuber, James Benning, Persijn Broersen & Margit Lukács, John Cage, Miriam Ferstl, Fischli / Weiss, Tue Greenfort, Wolfgang Kaiser, Martin Kippenberger, Marcellvs L. & Munan Øvrelid, Klaus Littmann, Marcus Maeder, Antje Majewski, Albert Oehlen, Daniel Roth, Michael Sailstorfer, Hans Schabus.
Wald ohne Bäume in Kunst + Wissenschaft
And the FORESTs will echo with laughter…
27. Juni 2020 – 27. März 2021