Die Klangkunst des finnischen Künstlerduos Amnesia Scanner ist ganz nah an der Zukunft. Wie auch ihre neue Installation mit künstlicher Intelligenz.
Wer hätte gedacht, dass die Musik von Maschinen so schön klingt? Als „Another Life“ von Amnesia Scanner im vergangenen Jahr erschien, war die Welt vielleicht noch nicht bereit für diese Art von Euphorie, aber da war das Album nun mal. Der Computer singt, genauer ein Sprachprogramm namens Oracle, das enorme Tonfrequenzen abdecken kann. Die digitale Harmonie wird genüsslich zersägt von verzerrten Gitarren. Die Songs im Pop-Format von drei bis vier Minuten werden zusammengehalten von einem synkopierten Reggaeton-Rhythmus, der unwiderstehlich nach vorne stolpert.
Die Veröffentlichung des Debüts fällt in eine günstige Zeit, denn in den letzten Jahren bekommt Clubmusik immer häufiger das Attribut „deconstructed“. Das heißt, irgendwie polyrhythmisch, irgendwie nicht ganz tanzbar, aber auf jeden Fall sehr zeitgenössisch klingend. Die Finnen machen seit 2008 zusammen Musik, zunächst noch als Renaissance Man recht konventionellen Techno. Dann benannten sie sich um in Amnesia Scanner (ein Anagramm des vorherigen Namens), und veröffentlichten 2015 eine etwa viertelstündige Soundcollage unter dem Titel „AS Angels Right Hook“. Darin war alles schon angelegt: das Interesse an Digitalkultur, eine Vorliebe für harsche Samples, die klingen wie hundertfach komprimierte mp3-Dateien, und die große Verwirrung:
Wer sind diese geheimnisvollen Produzenten eigentlich?
Martti Kalliala stammt aus Helsinki, studierte Architektur, arbeitete für Rem Koolhaas und AMO, das Forschungsinstitut des niederländischen Architekten. Später war er beteiligt an Projekten mit Künstlern, gründete mit der Trendforscherin Emily Segal die Agentur Nemesis Global. Bei all dem bewegte er sich stets in der Nähe zur Kunstwelt, ebenso wie Kallialas Mitmusiker Ville Haimala, der für den Videokünstler Oliver Laric impressionistisch dahingetupfte Pianomusik komponierte.
Beide trafen sich vor mehr als zehn Jahren in Helsinki, als sie am Entwurf eines Nachtclubs beteiligt waren. Die Musik der beiden Finnen, deren Leben und Werk sich mittlerweile um Berlin bewegt, klingt nach Zukunft, findet das Feuilleton. Aber Haimala und Kalliala würden widersprechen: Es ist ja auf keinen Fall so, dass die beiden sich eine Science-Fiction-Welt ausdenken. Die Technologie, die sie benutzen, ist ganz aus der Gegenwart.
Klingt nach Zukunft, findet das Feuilleton
Oracle, die Software, der die Produzenten das Singen beigebracht haben, funktioniert nicht deutlich anders, als die körperlosen Sprachassistenten, die in mobilen Geräten oder im sogenannten Smart-Home stecken. Und die Liste der Kollaborationen der Finnen liest sich wie ein Personenverzeichnis der gegenwärtigen Kunst- und Musikszene: für den queeren Rapper Mykki Blanco produzierten sie, die Sängerin Pan Daijing singt im Duett mit der Computerstimme, zu einem Album der Klangkünstlerin Holly Herndon trugen Amnesia Scanner ein Stück bei. Ihre Musik, erklärt Kalliala, sei eine Reaktion auf die Zersplitterung des modernen Lebens durch die Onlinewelt.
In den frühen 2010ern herrschte noch Optimismus, dass das Internet eine künstlerische Befreiung mit sich bringt. Musiker dachten, Dienste wie Soundcloud würden Plattenfirmen überflüssig machen, so wie Post-Internet-Künstler dachten, mit Blogs und Social Media bräuchte man keine Galerien mehr. Stattdessen sorgten die Sozialen Medien dafür, dass Musik und Bilder ohne Kontext verfügbar wurden, sich wie ein Virus – viral – verbreiten und in ihrer Bedeutung ambivalent werden und, wie im US-Wahlkampf 2016, für politische Zwecke benutzt werden.
Genau solche Mechanismen interessieren das Duo, deshalb erinnert ihre oft kryptische Art, online zu kommunizieren an Memes, Bilder also, die vom Kontext gelöst im Internet geteilt und verändert werden. Ville Haimala erklärt, die frühen Releases seien bewusst so gestaltet, dass unklar ist, ob es sich dabei um eine billige Imitation oder um das Original handelt. Die Freude an der anarchischen Kreativität des Internets führt zu einer dunklen Euphorie, die man der Musik von Amnesia Scanner anhört: „There’s this life, and there’s another life“, singt die Maschine. Ein anderes Leben ist möglich.
There’s this life, and there’s another life.
Beim letzten Album haben sie sich dem Pop genähert. Man kann sich fast vorstellen, dass ihr neuester Song „AS Acá“ im Radio läuft: Die peruanische Sängerin Lalita singt auf Spanisch zu einem schleppenden Hip-Hop-Beat, das Stück ist eingängig und avantgardistisch zugleich. Nun realisieren die Finnen ein Projekt an einem Ort, der eigentlich all ihre Interessen vereint, nämlich am neugegründeten Berliner Light Art Space (LAS). Wobei, das Wort „space“ noch etwas viel verspricht, denn das Projekt hat noch keinen festen Raum. Deshalb gastiert der LAS zunächst im Kraftwerk Berlin, einem ehemaligen Heizkraftwerk in Berlin-Kreuzberg, unweit der Spree.
Nun realisieren sie ein Projekt an einem Ort, der all ihre Interessen vereint
Das Gebäude beherbergt außerdem den Technoclub Tresor, und die leeren Maschinenhallen mit ihren kahlen Betonwänden scheinen wie gemacht für den Gesang von Maschinen. Die Hauptrolle bei Amnesia Scanners Performance „Anesthesia Scammer“ spielt Oracle: Zunächst soll das Programm automatisch generierte Lyrik verlesen, dann wird sie, verkörpert durch eine animatronische Skulptur, gemeinsam mit den Musikern auftreten. Der dritte Akt, so teilten die Künstler mit, werde ein geisterhaftes Echo des Auftritts sein. Geisterhaft, so wie Musik wohl klingt, wenn sie ohne Menschen gespielt wird.