Mit „Rückbindung an Welt: Über das Poetische in Elementen und Materialien“ präsentiert der Frankfurter Kunstverein eine atmosphärische Ausstellung zum Thema Naturerfahrung und Selbstverortung.
Im Foyer des Frankfurter Kunstvereins empfängt die Besucher dieser Tage eine Art Laboratorium. In großen Kästen aus dunklem Glas, diffus beleuchtet, wachsen hier Pflanzen dicht an dicht. Doch fällt das genaue Betrachten schwer, so hermetisch sind die Pflanzen von unserer Außenwelt abgeschirmt. Es handelt sich dabei um Nachtjasmin, eine Sorte, die nachts erblüht und einen intensiven Duft verströmt.
Der Künstler Hicham Berrada hat hier die natürlichen Gegebenheiten auf den Kopf gestellt und kreiert seinen eigenen Kosmos: Über die Kontrolle der Licht- und Wärmeverhältnisse kann er den Tages- und Nachtrhythmus der Pflanzen umkehren, sodass diese jetzt tagsüber blühen und nachts ruhen.
Hicham Berrada kreiert seinen eigenen Kosmos
Die Installationen und Videoarbeiten des in Marokko geborenen Künstlers Hicham Berrada, dessen Arbeit „Ghost #1“ aktuell auch in der SCHIRN zu sehen ist, entführen uns oft in scheinbar fremde Welten und unerforschte Gefilde – auf den Boden des Meeres oder in die Tiefe des Alls. Tatsächlich aber macht Berrada naturwissenschaftliche Experimente, die er in höchst poetischer Weise in künstlerische Arbeiten übersetzt. Unter Anwendung der Gesetze der Physik, Biologie und Chemie kreiert er Reaktionen und Gebilde, die abstrakten Landschaften gleichen, doch von ihm minutiös geplant sind. Die rätselhaften Erscheinungen spüren Entstehungsmomenten nach und erforschen dabei die Qualitäten unterschiedlicher Materialien und Organismen.
Dem gegenüber stehen die Arbeiten der 1981 geborenen US-amerikanischen Künstlerin Lucy Dodd. Sie hat für den Frankfurter Kunstverein eine raumfüllende Installation aus ihren Werken der letzten Jahre geschaffen. Großformatige Leinwände verbinden sich mit einer 45-teiligen Serie von Zeichnungen, sowie einer Textilarbeit, die die Mitte des Raumes einnimmt. Hier scheint das Zentrum zu sein, von dem aus die Arbeiten den Raum erschließen. Das bestimmende Element ist dabei das Quadrat, welches auch das Format der Bilder vorgibt. Diese mythologisch aufgeladene Form symbolisiert für die Künstlerin das weibliche Prinzip, welches dem Ursprung des Lebens gleichkommt.
Dodd betrachtet Leben und Kunst als Einheit. So verwundert es nicht, dass sie für die Ausführung ihrer Arbeiten sowohl auf persönliche Gegenstände als auch auf natürliche Substanzen zurückgreift. Ihre Materialien umfassen Pigmente wie Kristalle und Tintenfischfarbe, pflanzliche Stoffe wie Avocado-Schalen und Matchatee, bis hin zu tierischen und menschlichen Körperflüssigkeiten. Die Künstlerin tritt so in einen ganz eigenen Kreislauf mit der Natur und den Elementen.
Hier laufen Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ in Echtzeit
Im obersten Stockwerk umgibt die Besucher wiederum eine seltsame Geräuschkulisse. Ein dauerhaft anhaltender Klang mit minimalen Variationen ertönt hier aus einem Installationsaufbau, der erst durch den begleitenden Text verständlich wird. Der amerikanische Künstler Sam Falls hat dieses Werk 2015 geschaffen und in der Ausstellung neu arrangiert. In „Untitled (Vivaldi's Four Seasons for the four seasons)“ wurde die Komposition der „Vier Jahreszeiten“ von Antonio Vivaldi über die Dauer eines Jahres gestreckt, wobei sich die vier Einzelkonzerte – Frühling, Sommer, Herbst und Winter – an der realen Dauer der entsprechenden Jahreszeiten ausrichten. Während der Laufzeit der Ausstellung im Kunstverein wird das Werk pausenlos erklingen und die Etappe zwischen Herbst und Winter, in der wir uns gerade befinden, abspielen.
Komplementiert wird dieses Klangerlebnis durch zwölf Stoffarbeiten, die entlang der Wände aufgespannt sind. Auf verschiedenen monochromen Farben finden sich darauf die immer gleichen Formen: ein Kreis und ein Quadrat. Es sind Abdrücke von je einer Schallplatte und ihrem Cover, die sich über den Zeitraum von einem Jahr, in dem die Stoffe pausenlos der Sonne ausgesetzt waren, auf den Oberflächen abgezeichnet haben. Die Schallplatten sind dem Künstler dabei zufällig in die Hände gefallen, die Auswahl erfolgte intuitiv.
Falls beschäftigt sich mit den Einflüssen der Gezeiten auf präparierte Materialien
Sam Falls beschäftigt sich in seinen Arbeiten häufig mit den Einflüssen der Gezeiten auf zuvor präparierte Materialien. Er setzt diese über längere Zeiträume Wind und Wetter aus und zielt auf den schöpferischen Prozess, den die Natur erwirkt. Dabei spielt Zufall eine große Rolle wie auch die Überwindung der Autorenschaft, da Falls den genauen Ausgang seiner Aufbauten nicht vorhersehen kann.
Eine Rückbesinnung auf die Natur, im wörtlichen Sinne eine „Rückbindung an Welt“ fordert der Frankfurter Kunstverein in dieser Ausstellung und präsentiert mit Hicham Berrada, Lucy Dodd und Sam Falls drei sehr unterschiedliche künstlerische Positionen, die sich mit verschiedenen Materialien und natürlichen Prozessen auseinandersetzen. Wie verhalten sich bestimmte Elemente zueinander? Welche Grundstoffe kann ich aus der Erde ziehen? Und welche schöpferische Kraft steckt in Naturereignissen? So einige Fragen stellen sie dem Betrachter – fest steht, dass dem Ganzen eine große Poetik innewohnt.