Der österreichische Künstler Thomas Draschan wurde mit Found-Footage-Filmen bekannt. Im Kunstverein Familie Montez zeigt er nun vor allem großflächige Collagen.
Manchmal kommt Thomas Draschan mit zwei Sporttaschen voller Fotos vom Flohmarkt oder aus einem Antiquariat nach Hause. „Davon scanne ich dann ungefähr die Hälfte in mein digitales Bildarchiv“, erzählt er. „Viele Bilder sammele ich ganz einfach, weil sie mich anrühren und ich sie vor der Vergänglichkeit retten möchte. Rund ein Prozent des Ausgangsmaterials benutze ich später für meine Collagen. Jedes einzelne Motiv, das es in mein Archiv geschafft hat, besitzt für mich einen Wert an sich – unabhängig von der Rolle, die es später in meiner Kunst spielt."
In den Neunzigerjahren studierte der gebürtige Österreicher an der Städelschule bei Peter Kubelka und Ken Jacobs. Bekannt wurde er mit sogenannten Found-Footage-Filmen, deren Kompositionsprinzip er später auch auf großflächige Collagen übertrug: Schnell hintereinander geschnittene Filmschnipsel (bei den Collagen ist es dagegen ein dichtes nebeneinander von Fotomotiven) aus gefundenem Material, das in einen völlig neuen, oft atemberaubenden, Zusammenhang gebracht wird. Für „Metropolen der Leidenschaft“ heimste Draschan 2001 den Hessischen Filmpreis ein. Musikfans kennen vielleicht seinen Videoclip zur Single „Turn“ der Band New Order, für die er ein wunderbar anmutiges Spiel aus Blicken und Gesten montierte.
Picasso im Bademantel
Der Kunstverein Familie Montez unter der Frankfurter Honsellbrücke zeigt seit 17. Juni die Ausstellung „Draschan Loves You“, die einen tollen Überblick über das vielseitige Werk des Künstlers bietet. Draschans frühste Collagen sind rund zehn Jahre alt. „Sie wurden vom Partykellerambiente der Siebzigerjahre inspiriert. Aber auch ein bisschen von Sammelleidenschaft meiner Tante Rosi. Sie arbeitete im Büro einer Versicherung. Dort gehörte es zu ihren Aufgaben, Postkarten an die Wand zu pinnen, die ihr Mitarbeiter von Reisen aus aller Welt schickten. Diese Fotowand hat meine Bildästhetik stark geprägt,“ erzählt Draschan und lacht. Auf zehn Kartonpappen hat er Papierschnipsel aus Zeitschriften, Postern oder anderem Zivilisationsmüll geklebt und zu einem ausufernden Geflecht anwachsen lassen. Zwischen Retro-Pornos, floraler Hasch-Ästhetik und Comicstrips prangt dann zum Beispiel ein Foto vom alten Picasso im orangenen Bademantel.
Die mit Abstand größte Collage der Ausstellung ist mit einer Fläche von 5,40 auf 11 Metern so riesig, dass sie mangels geeigneter Räumlichkeiten schon lange nicht mehr gezeigt werden konnte. Es handelt es sich um eine Auftragsarbeit anlässlich des österreichischen Nationalfeiertags, der am 26. Oktober 2011 in der Wiener Hofburg begangen wurde – dem Sitz des Bundespräsidenten. „Ich wollte mich natürlich nicht anbiedern, aber bei Kunst im öffentlichen Raum lege ich schon Wert darauf, niemanden zu verstören, indem ich ihn mit meinen Horrorvisionen, Kindheitstraumata oder Sexphantasien konfrontiere,“ erklärt Draschan mit Blick auf jene bedruckte LKW-Plane, auf der unzählige Fotos zu einem riesigen Wimmelbild zusammengesetzt wurden.
Hier und da niedliche Alpentiere
Das Ergebnis ist eine Art nostalgisches Heile-Welt-Österreich: ein Hochzeitspaar schwebt mit der Seilbahn himmelwärts, eine Trachtenkapelle posiert in einem Gebirgsbach, ein Staatsopernsänger tritt mit verzücktem Blick hinter einem Wasserfall hervor. Hier und da sieht man niedliche Alpentiere. „Natürlich habe ich hier einige Klischees auf die Spitze getrieben, aber ohne sie dabei zu brechen oder ins Lächerliche zu ziehen“, sagt Draschan. Die unschuldige Idylle auf seinem Bild ist dennoch bedroht: „Sollte der Rechtspopulist Norbert Hofer tatsächlich Österreichs nächster Bundespräsident werden und in die Hofburg einziehen, zerstöre ich das Werk mit schwarzem Lack“, sagt Draschan, der sich nebenbei im Bezirksrat des Wiener Stadtteils Margareten für grüne Politik engagiert.
Vergleichsweise unheimlich und verstörend wirkt jene Schwarz-Weiß-Collage, in deren Mittelpunkt zwei Kinder stehen, die einer leichtbekleideten Frau mit Bart begegnen. Die Szene spielt sich in der Mitte eines exotischen Zeltes ab, an dessen Außenwänden es logenartige Öffnungen gibt, aus denen die unterschiedlichsten Figuren herausgucken: ein Pharao ohne Auge, eine lockende Eva mit Apfel in der Hand zum Beispiel. „Mich faszinieren Blickachsen in der Kunstgeschichte, etwa in der niederländischen Malerei“, sagt Thomas Draschan. „Es geht immer um die Frage, wer guckt wen an und warum. Die Blicke erzählen eine Geschichte, die etwas über die Beziehung der Figuren zueinander verrät.“
Wilde Tiere und Bikini-Schönheiten
Die dreiteilige Serie „Überwachen und Strafen“ zeigt vermeintliche heile retrofuturistische Bilderwelten, in die sich Vertreter bedrohlicher Mächte einschleichen, die man erst bei näherem Hingucken bemerkt: Ein Agent, der sich hinter Hut und Zeitung verbirgt, eine Frau mit Schnellfeuerwaffe im Anschlag, eine am Bildrand einschwebende Drohne. Die NSA lässt grüßen. „Ich bin niemand, der die aktuelle Politik aufgreift und eins zu eins in Kunst übersetzt“, kommentiert Draschan. „Trotzdem fließen gewisse Themen ganz zwanglos in meine Werke ein.“
Mit urbanen Utopien beschäftigt sich Draschan, der mittlerweile regelmäßig zwischen seinen beiden Wohnorten Wien und Berlin hin und her pendelt, in seiner Collagereihe „Utopia“. Scheue, wilde Tiere, antike Statuen und Bikini-Schönheiten bevölkern die Städte. Hochhäuser werden von Meerwasser umspült, die Menschen bewegen sich durch die Landschaft wie durch einen stilvollen Freizeitpark. „Unsere Städte könnten Paradiese sein, wenn man die technischen und finanziellen Möglichkeiten richtig nutzt“, sagt Thomas Draschan. „Mitten auf der Zeil könnte zum Beispiel ein riesiger Swimmingpool stehen. Stattdessen stellt man Glaspaläste und Parkplätze in unsere Innenstädte, produziert Lärm und schlechte Luft“.
Langzeitstudie auf dem Friedhof
Immer wieder begegnet man auf Draschans Bildern wilden Tieren, Pin-up-Girls und Phallussymbolen. „Ich bin jemand, der gerne mal das Repertoire von Symbolismus und Surrealismus upcycelt“, bekennt er. Neben Bildern auf Acryl, Leinwand und Büttenpapier gibt es in der Ausstellung auch Collagen, bei denen Draschan die Umrisse der einzelnen Fotomotive in einem aufwendigen Prozess durch Flicken aus Anzugsstoff ersetzt hat.
Auch einige neuere Architekturfilme gehören zur Ausstellung. Zum Beispiel eine auf drei Minuten Film kondensierte Langzeitstudie über die Restaurierung von Grabsteinen auf einem jüdischen Friedhof in Wien. „Dort setze ich mich mit modernen Mitteln mit dem Hier und Heute auseinander“, sagt Draschan. „Das ist mir auch wichtig. Ich will mich schließlich nicht nur in Archivmaterial verlieren.“