Das Architekturmuseum feiert Ferdinand Kramer, der dem Frankfurter Universitätscampus in den 1950er-Jahren sein Gesicht verliehen hat.

Was heißt schon nüchtern? Was heißt schon Funktionalist? Dass Ferdinand Kramer ein Architekt war, dem das Schöne, das Besondere, das Repräsentative nicht behagte, ist ein weit verbreiteter Vorwurf. Es gibt viele Kritiker seiner Bauten – und seiner Haltung. Dass er den neobarocken Stuck am Jügelhaus, am Haupteingang zur Frankfurter Universität, 1953 abschlagen ließ, um einen modernen, sachlichen Einlass in das Gebäude zu erschaffen, das hat empörte Reaktionen hervorgerufen. Aber unschön, das ist sein neuer Universitätseingang ganz bestimmt nicht geworden. Die gläserne Eingangstür, die von schmalen Metallbändern zusammengehalten wird, das Licht, das ins Gebäude fällt, die schlichte Offenheit, das alles hat Wirkung, geht über spröde Sachlichkeit weit hinaus. Statt nüchtern könnte man also auch elegant sagen. Kramer schuf keine plumpen Kästen, sondern Gebäude, die bis ins kleinste Detail durchdacht waren, damit sie besonders gut funktionieren. Denen, die diese Häuser nutzen sollten, fühlte sich der Architekt verpflichtet. Als „Zaubermeister der Moderne“ lobte ihn der Filmregisseur und Essayist Alexander Kluge.

Es war lange ruhig um Ferdinand Kramer. Ins Bewusstsein kam er erst wieder, als darüber diskutiert wurde, was mit seinen Bauten am Bockenheimer Campus passieren soll, wenn die Frankfurter Goethe-Universität ins Westend gezogen ist. Im Museum Angewandte Kunst widmete man dem Designer Ferdinand Kramer, der neben seiner Arbeit als Baumeister eben auch Möbel und Fertigteile wie Türklinken entwarf, bereits im vergangenen Jahr eine Retrospektive. Nun zieht das Architekturmuseum nach und zeigt in einer groß angelegten Schau das architektonische Werk des Frankfurters. „Linie Form Funktion“ heißt sie.

In den 1920er-Jahren war Kramer einer der Mitstreiter von Ernst May. Als Stadtbaurat hatte May das „Neue Frankfurt“ erfunden. Er war es, der den Weg für die Moderne in der Mainmetropole ebnete. Günstiger Wohnraum für die Massen der Arbeiter sollte entstehen, es war die Hochphase des Frankfurter Siedlungsbaus. Kramer war für einige Gebäude in der neuen Siedlung Westhausen zuständig – und er arbeitete am Programm für die Inneneinrichtung der neuen Häuser, in der Abteilung „Typisierung“. 1938 emigrierte er nach New York. Die Nazis hatten von Kramer gefordert, dass er seine jüdische Frau verlassen solle. Als er sich weigerte, wurde er mit einem Berufsverbot bestraft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es der Soziologe Max Horkheimer, der neue Rektor der Universität, der ihn zurück nach Frankfurt holte. Kramer sollte die architektonische Neuerfindung der Universität schaffen. Wer in Frankfurt studiert hat, dürfte die meisten seiner Gebäude gut kennen: die Stadt- und Universitätsbibliothek, das Philosophicum, das monumental geratene Juridicum, der Pharmaziebau, das seit Jahren leerstehende Amerikanistik-Institut, in dem das autonome Kulturzentrum „Ivi“ lange zu Hause war.

In der Ausstellung wird Kramers Werk in drei Schaffensphasen geteilt: sein Beitrag am „Neuen Frankfurt“, seine Zeit im amerikanischen Exil, während der er nur wenige Bauten, vor allem Einfamilienhäuser für die Mittelschicht, realisieren konnte, und in den Wiederaufbau der Frankfurter Universität. Jedes Kapitel hat eine eigene Pastellfarbe bekommen, Grau-, Gelb- und Grüntöne machen die einzelnen Phasen deutlich. Der Aufbau der Ausstellung ist wie Kramers Architektur auch: sachlich, konzentriert, auf den Punkt. Man sieht historische und aktuelle Fotografien der Gebäude, einige Pläne, Bücher, Zeitschriften. Ein neues Modell zeigt das Jügelhaus vor und nach Kramers Umbau. An der Rückseite liegt in einer Vitrine der Fuß einer der abgeschlagen Neobarock-Figuren. Kramer hatte sie einem seiner Kritik zugeschickt. Auf ihr klebt ein Zettel mit der Aufschrift: „Dem Empörten zum Trost! vom Barbar. Dieser Stein fiel mir vom Herzen am 17.5.53 um 17 Uhr nachmittags“. Darunter handschriftlich: Kramer. Humor hatte er, der Architekt.

Besonders im kleinen Format erweist sich Kramer als detailversessener Perfektionist. Vor allem am Ende seiner Schaffensphase hat er einige spektakuläre Privathäuser und Villen entworfen, darunter ein Ferienhaus im Tessin für Karl Gerold, den Herausgeber und Chefredakteur der „Frankfurter Rundschau“. Zukunftsweisend ist Kramer aber natürlich auch – wieder mal – für den Wohnungsbau. In Metropolen wie Frankfurt wird der Wohnraum bekanntlich immer knapper. Bauten, die auf wenig Raum viel Komfort bieten, sind wieder schwer gefragt. Die sogenannten Mehrfamilienganghäuser, abgekürzt: MEFAGANG, die Kramer für Frankfurt-Westhausen entwarf, wirken da plötzlich wieder sehr zeitgeistig. Auf 50 Quadratmetern hat Kramer drei Zimmer untergebracht, die Küche war klitzeklein, in den Schlafzimmern gab es eingebaute Kleiderschränke, dafür blieb viel Platz zum Leben. 51 Reichsmark hat die Miete betragen. Das war schon damals ein Schnäppchen.