So hat man Georg Büchners „Dantons Tod“ noch nicht gesehen: Am Frankfurter Schauspiel lässt Ulrich Rasche seine Schauspieler auf sich drehenden Rollen spielen.
Sie laufen, sie laufen, sie marschieren. Ohne Pause. Es sind riesige Rollen, die sich dort auf der dunklen Bühne beharrlich drehen, die höchstens einmal für einen kurzen Moment still stehen. Die Schauspieler bewegen sich auf diesen Rollen, ohne Stillstand. Die E-Gitarre setzt ein, die Musik wird immer lauter, immer dringlicher. Die Darsteller sprechen – nein, besser: skandieren – im Chor. „Totgeschlagen, totgeschlagen, totgeschlagen, totgeschlagen.“
„Danton Tods“ spielt nach der Euphorie, in der Zeit, in der aus der Französischen Revolution eine Schreckensherrschaft geworden ist. Das Volk darbt, es fehlt am Einfachsten und Wichtigsten, die Menschen hungern. Die Revolutionäre glauben, dass sie die Bevölkerung nur bei Laune halten können, wenn sie die Spirale der Gewalt weiter drehen. Dass das Volk ein Minotaurus ist, süchtig nach Leichen, heißt es im Stück. Die Guillotinen stehen nicht mehr still. „Ihr wollt Brot und sie werfen euch Köpfe hin“, sagt Danton.
Furcht vor dem Furor
Robespierre ist der Mann, der das Morden vorantreibt. Danton ist der, der zaudert, der zweifelt. Gemeinsam mit ein paar Getreuen plädiert er für Nachsicht, für ein Ende des Tötens, für Menschlichkeit. Georg Büchner, der das Stück in wenigen Wochen des Jahres 1835 niederschrieb, verpasste der Hauptfigur seinen eigenen Vornamen. Es steckt viel von seinem eigenen Denken in diesem Georg Danton. In seiner Flugschrift „Der Hessische Landbote“ hatte der Arztsohn Büchner 1834 selbst zu Umbrüchen aufgerufen, doch auch er hatte Furcht vor dem gewalttätigen Furor der Revolution.
Die sich drehenden Rollen sind ein starkes Bild. Sie stehen für den oft unheilvollen Lauf der Geschichte, der sich nicht bremsen lässt. Sie stehen dafür, wie der Aufbruch zum Mahlwerk wird. Und während man auf sie blickt, hat man eines immer im Kopf: Wer jetzt aus der Reihe tanzt, der kommt unter die Räder. Es ist beachtlich, wie den Darstellern das wackelige Spiel auf den Rollen glückt, man malt sich aus, wie erschöpft sie nach dieser Tortur sein müssen. Nico Holonics spielt einen diabolischen Robespierre, eine Gruselfigur. Torben Kessler gibt den Danton erst hadernd, dann mutig. Vier Musiker sind mit auf der Bühne, sie spielen Cello, Gitarre und Bass. Drei Sänger bewegen sich mit auf den Rollen. Die Musik von Ari Benjamin Meyers pendelt zwischen Minimalismus und wuchtigem Postrock. Sie ist in dieser beeindruckenden Inszenierung ein wichtiges, bestimmendes Element.
Robert Wilson hat Rasche geprägt
Für Bühne und Regie ist Ulrich Rasche zuständig. Er ist bekannt für seine streng-formalistischen, chorischen Inszenierungen. Rasche, Jahrgang 1969, hat ein Studium der Kunstgeschichte absolviert, bevor er anfing, im Theater zu arbeiten. Er hat zunächst mit Jürgen Kruse in Bochum und mit Robert Wilson an der Berliner Schaubühne gearbeitet. An Wilsons Watermill Center in Long Island war er auch Stipendiat. Der Einfluss des Theatermagiers auf Rasches Werk ist unübersehbar. Eine – ganz andere – Inszenierung schafft Ulrich Rasche nun auch für die Schirn. Für die Ausstellung „Kunst für alle“, die nun eröffnet, hat er die Ausstellungsarchitektur entworfen. Wer seine außergewöhnliche Büchner-Inszenierung sehen will, muss sich sputen. Bereits am kommenden Wochenende läuft die Inszenierung zum letzten Mal.
Etwas mehr als zwei Stunden drehen sich die Räder auf der großen Bühne des Frankfurter Schauspiels. In immer neuen Konstellationen agieren die Darsteller, die eingängige, monotone Musik spiegelt die Drehungen der Walzen. Die Wut und der Hass bestimmen das Tribunal an Danton und seinen Mitstreitern. „Nieder mit Danton, nieder mit dem Verräter, es lebe Robespierre“, ruft der Chor. Die rotierenden Rollen werden hinauf gefahren, nähern sich der Bühnendecke. Dann fahren sie wieder hinab. Die Darsteller bleiben in der Luft hängen, an Seilen. Die leblosen Körper baumeln durch die Luft. Die Revolution frisst ihre Kinder.