Seit Januar 2024 gibt es den neuen, von Künstler*innen geleiteten Offspace „Temple” in Offenbach. Hier ist alles erfrischend anders. In einer privaten Wohnung im siebten Stock werden junge Positionen gezeigt – darunter noch bis zum 27. Juni die Ausstellung von Muyeong Kim.
Vor mir erhebt sich ein unscheinbares Mehrparteienhaus in der Nähe des Marktplatzes in Offenbach. Menschen gehen ein und aus, manche mit vollen Einkaufstaschen, andere in angeregter Unterhaltung mit Freund*innen oder Familie. Es ist ein sommerlicher Samstag im Juni und ich schaue auf mein Handy, um mir zu versichern, dass ich wirklich bei der richtigen Adresse bin. Der Alltag pulsiert vor der Haustür, während ich auf den Einlass in die Ausstellung im neuen It-Offspace warte, auf den nichts hinweist. Mit zwei Dosen Cola Zero in den Händen stehe ich vor einem Schild und drücke die Klingel. Eine freundliche Stimme ertönt aus dem Off: „Siebter Stock, bitte”.
„Temple" lautet der Name des von Künstler*innen geleiteten Offspace, der seit Januar 2024 bereits fünf Ausstellungen realisiert hat. Im Fokus stehen junge Künstler*innen, von denen die meisten noch an Kunsthochschulen studieren. „Es fehlt an Räumen, in denen Künstler*innen einfach ausstellen können – ohne große Barrieren, ohne viele Anträge”, so die Initiator*innen. In kürzester Zeit sei das Programm für 2024 voll gewesen. „I just wanted to have fun in the first place” ist der Leitsatz, unter dem alles entsteht. Gleichzeitig fordern die weißen Wände, der cleane Boden, die Küche aus Edelstahl und die Fensterfront dazu auf, etwas an die Wände zu hängen. Bisher wurden Solo-Ausstellungen von Charlotte Berg, Lulu Leika Ravn Liep, Jones Hall und Antone Liu realisiert. Bis zum 27. Juni sind aktuell die Arbeiten des in Seoul und Berlin lebenden Künstlers Muyeong Kim zu sehen.
Wohnen, Arbeiten, Kunstschaffen
Temple folgt einer simplen wie erfrischenden Logik: Es gibt kein kuratorisches Konzept, keinen Titel, keine ästhetischen oder inhaltlichen Vorgaben. Der Fokus liegt auf den Künstler*innen. Der Name ist Programm. Dabei sind die Künstler*innen dazu angehalten, darüber nachzudenken, dass ihre Arbeiten in einem Raum ausgestellt werden, in dem die Organisator*innen des Temples leben. Die Koexistenz von Wohnen und Arbeiten sollte während der Realisierung der Show mitgedacht werden, aber in keinster Weise die Ausstellungsideen leiten.
Dabei gehen die Künstler*innen auf unterschiedliche Weise mit diesen Gegebenheiten um. Manche denken „on top of it" und fügen ihre Werke harmonisch in die bestehenden Raumbegebenheiten ein, andere agieren aktiv und fordern mit ihrer Kunst neuen Raum und neue Handlungen ein. Zum Beispiel hat Charlotte Berg sechs kleinformatige Gemälde in die Wohnung gehangen. Was nicht auf dem Raumplan zu sehen war: Ein einziges großes Gemälde verweilte im normalerweise verschlossenen Schlafzimmer. Einzig die Organisator*innen von Temple wussten, dass es dort hing und öffneten diesen privaten Raum nur gelegentlich. Der Künstler Antone Liu hingegen hat seine Arbeit „Offenair” den Wohnenden zur praktischen Verfügung angeboten. Dabei sollte das Objekt, das aus alten Rahmen gebaut ist und wie ein Wäscheständer anmutet, als solcher auch funktionieren und genutzt werden.
Doch zurück zum Besuch der aktuellen Ausstellung: Während ich ein Stockwerk nach dem anderen hinaufgehe, bläst mir ein erfrischender Wind durch meine Haare. Im siebten Stock angekommen, sehe ich eine Arbeit im Treppenhaus hängen. Es ist eine Halbkugel aus Glas wie eine Lupe, darunter Fell. Blickt man in die Halbkugel, sieht man die Treppen unter sich, ändert man den Blickwinkel, sieht man sich selbst oder nur das Fell. Die kleine Installation hängt dort ganz unscheinbar. Doch mutet sie an wie eine unaufgeregte Kamera im öffentlichen Raum. Sie zeichnet uns jedoch nicht auf, sondern wird nur aktiviert durch die direkte Interaktion mit selbigem Objekt.
Mittendrin in der Intimität
Ein langer Gang erstreckt sich vor der Wohnung. An einem Gitter hängt ein kleines Schwarzweißfoto. Zu sehen ist die Wohnung des Künstlers Muyeong Kim in Seoul, in der ein großes leuchtendes viereckiges Objekt steht. Auf der Tür dahinter wird eine Szene aus einem Pornofilm projiziert. Man steht mittendrin in einem Zuhause, mitten in Intimität. Der Künstler reagiert auf die Wohnung des Ausstellungsraums mit Fotos seiner eigenen Wohnung. Es ist wie das Echo eines multiplen Zuhauses und wird zu einem Loop. Dabei ist das Häusliche und sein Heim ein Thema, das er immer wieder in seiner Praxis verhandelt.
Betritt man die Wohnung, steht man direkt in der Küche und somit direkt in der Ausstellung. Sie ist ein Ort des Zusammenkommens, der Unterhaltung, des Kochens. Jede*r weiß, dass die besten Hauspartys in der Küche stattfinden – und genau dieses Prinzip greift der Offspace auf.
Die Lamellen der Außenjalousien sind heruntergelassen, an dem Fenster hängen zwei großformatige Fotografien. Sie zeigen wieder, jetzt aber in Farbe, die Wohnung des Künstlers. Dabei ist der weiße Leuchtkasten das verbindende Element der Fotografie. Es erinnert an ein „cinema marquee”, das in früheren Zeiten oft als Ankündigungstafel von Filmen über dem Eingang von alten Kinos hing. „Das Cinema Marquee ist wie ein Fenster in einem Zuhause, was für mich einen romantischen Moment hinzufügt”, so der Künstler. „Gleichzeitig, wie die Abbildung der pornografischen Szene, dringen diese beiden Elemente für mich in das Zuhause ein und die Ausstellung in Offenbach ist der finale Eingriff in ein für mich fremdes Zuhause”.
Inmitten des Raumes liegen vier alte Kamerahüllen. Sie sind das verbindende Glied zur Überwachung des Heimlichen, des Privaten. Während der Eröffnung hat der Künstler Fotos mit einer Camera Obscura gemacht. Diese besteht aus einem lichtdichten Kasten oder Raum, in dem durch ein schmales Loch das Licht einer beleuchteten Szene auf die gegenüberliegende Rückwand trifft. Auf der Rückwand entsteht dabei ein auf dem Kopf stehendes und seitenverkehrtes Bild dieser Szene.
Die Ausstellung ist, wie man im Englischen sagen würde, „A home away from home”. Die Arbeiten von Kim spielen gleichzeitig mit Vertrauen und Heimeligkeit, mit Überwachen und Präsentieren. Die Werke werden erstmals ausgestellt und bewegen sich weg von der sonstigen Praxis des Künstlers, die meist Performance oder Video umfasst. Vielleicht ist es der Safe Space des Ausstellungsraums, das heimelige Gefühl des eigentlich fremden Zuhauses, das Kim dazu bewegt hat, seine privatesten Arbeiten erstmals auszustellen.
Muyeong Kim 07.06.2024 – 27.06.2024
TEMPLE
Besuch nach Vereinbarung via Nachricht auf Instagram @temple.am.main