Wie gelingt es innerhalb der Fotografie, den Blick über die Oberfläche der Darstellung hinaus zu lenken und Einsicht in den Charakter von Orten und Personen zu geben? Das Fotografie Forum Frankfurt weist mit der Retrospektive „ABE FRAJNDLICH. CHAMELEON“ den Weg.
Fotografie bietet nicht nur die Möglichkeit, vergangene Augenblicke wiederzubeleben und auf diese Weise den Wandel verschiedenster Orte zu erkennen, sie kann auch dazu dienen, an Personen zu erinnern und ihren Charakter zu verbildlichen. Beides beherrscht Abe Frajndlich. Es sind die Facetten der Stadt und das Wesen inspirierender Menschen, mit denen sich der 1946 in einem Displaced Person Lager in Frankfurt am Main geborene Fotograf beschäftigt. In thematischer Anordnung beherbergt die Ausstellung im Fotografie Forum Frankfurt rund 160 seiner Werke, darunter eine Sammlung seiner Streetphotography, die Frajndlich auf seinem Lebensweg begleiteten sowie Porträts verschiedenster Kreative aus der Musik-, Showbiz- und Kunstbranche. Auch Fotos aus seinem Buch „Eros Eterna“ sind vorzufinden und befassen sich mit dem Thema Sinnlichkeit, aber auch der Leidenschaft, die Frajndlich für seine eigene Arbeit als Fotograf empfindet.
Als Künstler greift er Themen wie Freiheit und die Suche nach Identität auf, die prägende Momente seiner eigenen Biografie darstellen. Seine Eltern überlebten die Shoah, während andere Familienmitglieder in Vernichtungslagern ihr Leben lassen mussten. Nach dem frühen Tod seines Vaters führte die Suche nach einer neuen Heimat ihn und seine Mutter über Israel, Deutschland und Frankreich nach Brasilien. Als auch seine Mutter verstarb, kam der zehnjährige Frajndlich in die USA, wo er von der Schwester seines Stiefvaters adoptiert wurde. Ab 1970 widmete er sich der Fotografie, die ab den 1980er-Jahren u.a. im Magazin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, im Spiegel oder New York Times Magazine abgebildet wurde. Heute lebt und arbeitet Frajndlich in Cleveland. Seine Arbeiten füllten in Europa und den USA mehrfach Ausstellungen und sind in vielen Sammlungen vertreten.
Der Blick auf die Fassade
Vor allem die Straßen New Yorks, in denen er von 1984 bis 2016 lebte, wurden wichtige Motive vor seiner Kamera. Seine Bilder zeigen das Leben in der Großstadt und ihre vielfältigen Möglichkeiten. Es sind Zeitzeugnisse bestimmter Umgebungen, die Rückschlüsse über den Wandel eines Orts zulassen. In seiner Streetphotography experimentiert Frajndlich immer wieder mit Lichtverhältnissen. Mit starken Hell- und Dunkelkontrasten fotografiert er die öffentlichen Räume, die er im Laufe seines Lebens durchstreift und erzielt damit eine besondere Wirkung, die trotz der dokumentarischen Qualität mal nostalgische, mal mysteriöse Atmosphären erschafft.
Seine Stadtszenen halten allerdings nicht nur den Ort selbst fest, mit seinen Straßen und Bauten, sondern auch die Menschen, die sich in ihm bewegen – Frajndlich selbst eingeschlossen. Betrachtet man seine Arbeit „Self“, so sieht man den Künstler auf einer Treppe, mit dem Rücken zu den Betrachtenden gedreht. Er richtet seinen Blick auf eine Gebäudefassade, während er in einem festen Stand direkt vor einer geschlossenen Tür steht, auf die sein eigener Schatten fällt. Diese Tür könnte ein Sinnbild für die Herausforderungen sein, die er bereits früh in seinem Leben erfahren musste. Sein Schatten könnte seine Identität symbolisieren. Es wirkt, als stehe Frajndlich im Dialog mit sich selbst.
Der Blick hinter die Fassade
In seinen Portraits fotografiert Frajndlich vor allem Personen, die auf sein eigenes fotografisches Werk, aber auch persönliches Leben einen starken Einfluss haben, darunter etwa die Performerin Rosebud Conway oder der Gründer des Aperture-Magazins, Minor White. Auch seine erste große Serie in Farbe „Masters of Light“ zeigt einflussreiche Personen des 20. Jahrhunderts, wie Louise Dahl-Wolfe, Gordon Parks, Berenice Abbott oder Ilse Bing. Besonders die Mehrdeutigkeit der Portraits und ihre Vielfalt, die sich sogleich mit dem Begriff der Identität verbinden lässt, werden deutlich.
Denn Frajndlich spielt mit dem Blick der Betrachtenden und thematisiert die Fassade des Menschen ebenso wie das, was sich dahinter verbirgt. In seinem 1987 entstandenen Porträt der Fotografin Cindy Sherman wird das Geheimnisvolle ihrer Persönlichkeit deutlich: Frontal fotografiert sehen ihr die Betrachtenden direkt ins Gesicht, doch verspüren sie auch die Unnahbarkeit, die Sherman mit ihren geschlossenen Augen vermittelt. Ihr Blick ist nach innen gerichtet, unserem bleibt er verwehrt. Ein mehrdeutiger, fast schon undurchschaubarer Eindruck geht von ihr aus.
Cindy Sherman ist selbst dafür bekannt, sich mit Fragen der weiblichen Identität zu beschäftigen und gesellschaftliche Stereotype zu kritisieren. Dafür schlüpft sie immer wieder in verschiedene Rollen, verkleidet sich und inszeniert ihre Selbstporträts. Auf diese Weise lenkt sie ihre Aufmerksamkeit nach innen und hinterfragt ihre eigene Identität sowie ein von der Gesellschaft auferlegtes Bild. Frajndlich setzt mit seiner Darstellung Shermans also auch einen unmittelbaren Bezug zu ihrer eigenen Arbeit. Die geschlossenen Augen in der Fotografie verdeutlichen nicht nur ihre Auseinandersetzung mit sich selbst, sondern könnten auch symbolisch dafür stehen, dass sie sich einer fremden Zuschreibung widersetzt.
Mit seinen Porträts gibt er folglich das Wesen der fotografierten Personen wieder. Ihre Verschiedenheit ist es, die auch seine Fotografien authentisch wirken lassen. Das wird besonders deutlich bei seiner ironischen Darstellung von Jack Lemmon. Er spielt hier auf einen Wortwitz an, der sich auf den Namen des Schauspielers bezieht. Im Versuch, besser in die Weite zu schauen, hält dieser zwei Zitronen wie ein Fernglas vor seine Augen. Auf diese Weise erzählt Frajndlich Geschichten mit seinen Bildern und schafft eine besondere Form, die teils Nähe, teils Distanz zu den dargestellten Persönlichkeiten vermittelt.
Es sind Arbeiten wie diese, die nicht nur etwas über die fotografierten Personen verraten, sondern auch einen Blick in Frajndlichs eigenes Wesen ermöglichen, der humorvoll Situationen und Utensilien zu nutzen weiß und verschiedene Szenarien kreiert, um in den Betrachtenden unterschiedliche Arten von Emotionen hervorzurufen. Er entwirft damit eine Form der Fotografie, die sich zwischen Wirklichkeit und Illusion bewegt. Ein Porträt der Vielseitigkeit entsteht, das den Wandel von Städten ebenso wie facettenreiche Identitäten einzufangen versteht. Der Titel der Ausstellung „ABE FRAJNDLICH. CHAMALEON“ spiegelt dieses vielfältige Spektrum seiner Werke wider.
Fotografie Forum Frankfurt
ABE FRAJDNLICH. CHAMELEON
Bis zum 17. September 2023