Die Wiener Secessionisten wollten zwei Dinge: ein Ausstellungshaus und eine Zeitschrift. Beides haben sie bekommen. In ihrer Zeitschrift “Ver Sacrum” ging es um nicht weniger als die Erneuerung der Kunst in Österreich.
Es gibt ein Foto, auf dem elf Männer in Anzügen zu sehen sind. Die meisten sitzen, einige liegen, als würden sie lässig für das Foto posieren. Alle tragen Anzüge, Hüte und Bärte. Nur einer, hinten links auf einer Art Thron, trägt ein wallendes Reformkleid. Das Bild zeigt die Künstler der Wiener Secession. Der Mann hinten links ist Gustav Klimt. Er hat zwei Ziele für seine Künstlergruppe: ein eigenes Ausstellungshaus und eine eigene Zeitschrift.
Schon bevor das 20. Jahrhundert richtig losging, gab es Gruppen, die fanden, man müsse nun alles neu machen. In der Kunst mehr als anderswo. Die Initialzündung kam aus Großbritannien. Arts and Crafts nannte sich die Bewegung, denn Kunst und Handwerk sollten gemeinsam zur Kunst für Alle werden. Die Idee, das ganze Leben zu reformieren, war attraktiv. Nachahmer auf dem Kontinent gründeten Künstlerbünde und Künstlerkolonien, um das neue Leben auszuprobieren.
Dem Ungeschmack den Krieg erklären
“Halb Strike, halb Neugründung”, schrieb Ludwig Hevesi, als sich die Künstler um Gustav Klimt vom Wiener Künstlerhaus lossagten. Anfang 1897 bewilligte die Stadt Wien den Künstlern einen Baugrund, und unbezahlte Arbeiter errichteten dort das Secessionsgebäue nach Entwürfen des Architekten Joseph Maria Olbrich. Als das Gebäude am 18. November 1898 eingeweiht wurde, standen über dem Eingang zwei Zeilen von Hevesi: “Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit”. Der Jugendbuchautor, Kunstkritiker und Nietzsche-Verehrer aus Ungarn wurde zum eifrigsten Chronisten der Wiener Reformbewegung.
Die Secession bekommt auch eine eigene Zeitschrift, den “Ver Sacrum”. Schon im ersten Heft gibt es ein Editorial, in dem es heißt: “Wir wollen dem tatenlosen Schlendrian, dem starren Byzantinismus und allem Ungeschmack den Krieg erklären.” Das ist gegen die akademische Malerei gerichtet, gegen den Historismus in der Architektur und vor allem gegen die vorherrschende Kunstauffassung. “Ver Sacrum” – Weihfrühling – war ein Organ für alle, denen das Kunstleben in der Donaumetropole zu kleinstädtisch und zu konservativ war. Der Titel zitiert ein Gedicht des romantischen Dichters Ludwig Uhland. Vielleicht war das ein wenig dick aufgetragen. Aber die Redakteure wünschten sich genau diese Romantik eines Neuanfangs. Nur gab es im Gegensatz zu anderen Bewegungen noch gar kein Konzept, wie diese Erneuerung aussehen sollte.
Eine Aufholjagd mit der Moderne
Eines war aber klar. Denn die Secession fiel in “einen Augenblick, wo es ans große Auskehren geht”, schrieb Hevesi. Der Erneuerungsgedanke war national, fast nationalistisch geprägt. Was Paris, Berlin oder München vormachten, sollte an der Donau jetzt auch passieren. Die Sezessionisten forderten den Bruch mit dem Historismus des 19. Jahrhunderts und eine Aufholjagd mit den Metropolen der Moderne.
“Es gibt ein Wien mit wirklichen Ereignissen”, schrieb Rainer Maria Rilke 1900 an die Redaktion, als er schon lange nicht mehr in Wien lebte. Und der “Ver Sacrum” berichtete über diese Ereignisse der Kunstwelt. Rilke hätte gerne die literarische Redaktion des “Ver Sacrum” übernommen, aber der Posten war schon besetzt. Bezahlt worden wäre Rilke dafür übrigens nicht, denn die Redakteure arbeiteten unentgeltlich. Die erste Ausgabe erschien im Januar 1898, ohne dass ein Mäzen dahinterstand und ohne Förderung der Behörden.
Trotzdem Luxus
Nicht nur die Redakteure arbeiteten gratis für die Publikation, sondern auch die Künstler stellten ihre Drucke kostenlos zur Verfügung. “Wir kennen keine Unterscheidung zwischen ‘hoher Kunst’ und ‘Kleinkunst’, zwischen Kunst für die Reichen und Kunst für die Armen. Kunst ist ein Allgemeingut”, heißt es in der ersten Ausgabe. Trotzdem blieb der “Ver Sacrum” eine Luxuspublikation, mit Aufsätzen zu Ausstellungen, mit Lyrik und Prosa. Das Heft lag vor allem in den wohlhabenden Salons der Hauptstadt, wo man sich für moderne Kunst interessierte, und wo Gustav Klimt ein oft gesehener Gast war.
In der Zeitschrift kündigt sich schon die nächste Etappe der Moderne an. Der Architekt Adolf Loos schreibt eine Polemik gegen die historistischen Bausünden der Wiener Ringstraße. Später zerstreitet er sich mit dem Mitherausgeber Josef Hoffmann über das Ornament. Loos hätte gerne einen Raum im Ausstellungshaus der Secession gestaltet – Hoffmann ließ ihn aber nicht. Und nur ein paar Jahre später, nämlich 1908, wird er Verzierung mit Degeneration gleichsetzen: “Kein Ornament kann heute mehr geschaffen werden von einem, der auf unserer Kulturstufe lebt”.
Spott und Schimpf
Der Verzierungsdrang des Wiener Jugendstils wird schon bald zum Klischee, Secessionsstil wird zum Schimpfwort. 1899 gab ein Student von Koloman Moser eine Parodie heraus, Titel: “Quer Sacrum. Organ der Vereinigung bildender Künstler Irrlands”. Das quadratische Format wurde imitiert, die Typografie, das Ornament, selbst die Sprache der Secessionisten mit ihrem Hang zu Naturmetaphern. Warum diese Zeitschrift herausgegeben werde, hieß es in dem Spottblatt, wisse man zwar auch nicht. Aber man freue sich über hilfreiche Einsendungen der Leser.
Vielleicht als Reaktion darauf räumten die künstlerischen Redakteure ab 1900 das Layout auf. Die Blumenmuster wichen geometrischen Verzierungen, die sich als Leitmotive durch die Hefte zogen. Spätestens ab 1902 wurde “Ver Sacrum” wichtig für die Renaissance des Holzschnitts. Koloman Moser, Carl Moll, Wilhelm Laage oder Félix Valloton fertigten eigens für die Zeitschrift Grafiken an, die nicht mehr viel mit den blumigen Anfängen zu tun hatten.
Anders als der “Ver Sacrum” begonnen hat, verschwand er 1903 wieder: ganz still. Es fing damit an, dass die Zeitschrift nicht mehr regelmäßig erscheinen sollte. Die Erneuerungen gingen andere Wege, und der Frühling dauerte nicht lange. Klimt trat mit einigen anderen 1905 aus der Sezession aus. Hevesi, der schwermütige Chronist des Kunstfrühlings, nahm sich fünf Jahre später das Leben.