Kann man die künstlerische Entwicklung des Malers Daniel Richter bis zu seinen neuesten Arbeiten in der SCHIRN an seinen Lehrern ableiten und in drei Phasen einteilen? Man kann es zumindest versuchen.
Mit den 22 neuen Gemälden, die in der Ausstellung „Hello, I love you!“ gezeigt werden, ist Daniel Richter in seiner dritter Schaffensphase angekommen. So zumindest ist es in den Feuilletons nachzulesen. Die erste Phase war Abstrakt, die zweite figürlich, die dritte nähert sich nun wieder der Abstraktion. Beschäftig man sich mit solchen Entwicklungslinien im Werk eines Malers, rückt auch die Frage nach Einflüssen, den „malerischen Wurzeln“, in den Blick. Woher also des Wegs Daniel Richter?
Beginnen wir die Spurensuche mit der Lehrergeneration, den Malern der 1980er-Jahre in Deutschland. Diese sogenannten „Neuen Wilden “verbindet eine anarchische Einstellung zu Formen und Inhalten der Malerei sowie ein Hang zu großen Formaten und energiegeladenen Sujets. Ihre Werke werden oft mit Schlagworten wie „Heftige Malerei“ oder „Bad Painting“ beschrieben. Einer ihrer Vertreter ist Werner Büttner, der an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg Daniel Richters Lehrer war. Es war sogar Büttners persönliches Votum, das Richter die Aufnahme an der Akademie ermöglichte. Offenbar konnte er mit Richters zur Aufnahmeprüfung eingereichten Zeichnungen etwas anfangen. Nach Richters Beschreibungen strotzten diese Zeichnungen von Respektlosigkeit gegenüber etablierten Malerkollegen und explizitem Humor.
Weil ihr alle ausseht wie alte beschissene Malerei
Diese Haltung dürfte Büttner sympathisch gewesen sein, denn Ehrfurcht vor der Malereitradition ist auch seine Sache nicht. Davon zeugen Bilderserien wie „Die Probleme des Minigolfs in der europäischen Malerei“, die schnöde Minigolfbahnen zu einem ernst zu nehmenden Sujet erklären, oder „Badende Russen“, die das traditionsreiche Sujet der Badenden ad absurdum führen, denn Badende sind auf diesen Gemälden weit und breit keine zu sehen, nur säuberlich zusammengefaltete Militäruniformen. Auch Richter liebt diese ironisch-kryptischen Bild-Wortspiele."Weil ihr alle ausseht wie alte beschissene Malerei, müssen Wir alle sterben" heißt zum Beispiel ein Gemälde von 2005, auf dem eine zombihafte Malermeute zu sehen ist, die von einer Feuergestalt heimgesucht wird.
Ein zweiter wichtiger Bezugspunkt für den Malereistudenten Daniel Richter war Albert Oehlen. Der beschäftigte Richter als Assistent und es liegt nahe, dass sich Richter durch diese Aufgabe ganz direkt mit Oehlens malerischen Ideen auseinandergesetzt hat. Tatsächlich scheinen insbesondere die frühen Gemälde Richters der Malerei Oehlens ästhetisch verwandt. Amorphe Gestalten und collagenhaft eingefügte Gesichter oder Gliedmaßen lösen sich hier aus Farbknäulen und verlieren sich wieder. Dieses Interesse am Kippen zwischen Figur und Abstraktion verbindet die Werke beider Maler genauso wie eine Vorliebe für organische Formen und kräftige Farben. Auch Oehlens Strategie der Reizüberflutung durch Überladung und Überlagerung findet sich in Richters Malerei. Bei allen Parallelen merkt Daniel Richter jedoch an, er habe Oehlens Kredo des „Hochmalen durch Niedermalen“ versucht zu ersetzen durch ein „Niedermalen durch Hochmalen“.
Irgendwo zwischen schwarzer Romantik und surrealistischer Paranoia
Was damit gemeint sein könnte, ist eine Art gleichzeitige Demonstration und Dekonstruktion malereitechnischer Raffinessen, die in einem Gegensatz steht zu dem zur Schau gestellten „genialischen Dilettantismus“, der für die Malerei der 1980er-Jahre typisch war. So zumindest legt es die Betrachtung der Werke aus Richters zweiter Schaffensphase nahe. Richter beginnt nun das Feld der Historienmalerei zu erkunden, ein Genre mit einer langen und gewichtigen Tradition. Es entstehen die großformatigen, figürlichen Gemälde, irgendwo zwischen schwarzer Romantik und surrealistischer Paranoia, die Richter zum Malerstar machen. Mit diesen Werken weitet sich auch der Kreis seiner malerischen Bezugspunkte aus.
Nach Inspirationsquellen gefragt, nennt Richter keineswegs Vertreter der klassischen Historienmalerei, sondern bevorzugt Maler der Moderne. Eine besondere Referenz für ihn ist die Künstlergruppe der Nabis. Ein Besuch des Musee d’Orsay in Paris habe sein Interesse für ihre Malerei geweckt. Tatsächlich kann man in Richters Werken malerische Parallelen zu den Werken eines Félix Vallotton oder Pierre Bonnard erkennen, insbesondere bei der Auflösung der Bildmotive in ornamentale Strukturen und gegeneinandergesetzte Farbflächen, die sich zu einem flirrenden, bildfüllenden All-Over zusammenfügen. Die geteilte Freude am Überfluss, am Rausch der Formen und Farben, kann jedoch auch hier nicht über einige klare Differenzen hinwegtäuschen. Richter interessiert sich nicht für eine heute nostalgisch wirkende Ästhetisierung der Welt. Im Gegenteil, er entwirft mit dieser Maltechnik düstere und alptraumhafte Szenarien, die vielmehr den Traumwelten der Surrealisten verpflichtet scheinen und die eine monumentale Größe erreichen, wie sie in der modernen Malerei erst seit den abstrakten Expressionisten denkbar war.
Das Kippen zwischen Figur und Abstraktion
Mit den neuen Werken in der Schirn reduziert Richter seinen Bilderkosmos merklich und beschränkt sich auf nur wenige Figuren und Bildelemente vor flächigen Hintergründen. Richter selbst sagt, er habe sich neu orientieren wollen und daher neue Techniken erprobt, zum Beispiel ohne Pinsel zu arbeiten, mit der Spachtel oder mit Kreide. Das Kippen zwischen Figur und Abstraktion bleibt dabei weiterhin ein Interesse, wie auch die Organisation der Bildfläche in Farbflächen. Auch die gewohnte anarchisch-ironische Haltung und das Gespür für ambivalente Bildinhalte scheinen immer wieder durch und lassen keinen Zweifel daran, wer der Autor dieser Gemälde ist. Verstärkt tritt nun aber das Interesse an formalen Fragen der "Malerei als Malerei" in den Vordergrund. Es überrascht also nicht, dass die Maler der abstrakten Nachkriegsmalerei nun zu einer wichtigen Referenz werden. Als direkte Hommage in diese Richtung können seine Gemälde „Asger, Bill und Mark" und „Francis der Fröhliche“ gelten, (gemeint sind vermutlich Asger Jorn, Bill Jensen und Mark Rothko sowie Francis Bacon), wobei Richter deren bisweilen schwer zu ertragenden, existenziellen Malerernst, gekonnt mit seiner Pop-Ästhetik zu brechen weiß.
Was könnte nun das Ergebnis dieser Betrachtungen sein? Zum einen scheint es, dass Richter große Freude am Spiel mit der Malereitradition hat. Zu diesem Spiel gehört, dass er seine Referenzen teils implizit in den Werken versteckt, teils ganz explizit auf sie verweist. Es darf dabei durchaus offen bleiben, wo ihm Werke anderer Maler als Vor-Bild dienten und wo ähnliche Fragestellungen eher zufällig zu ähnlichen Bildlösungen geführt haben. Vermutlich ist, wie so oft, beides der Fall. Zum anderen ist der Versuchen einer Zusammenschau der genannten malerischen "Sparringpartner" Richters vielversprechend. Epochen, Techniken, formale und inhaltliche Anliegen gehen da recht wild durcheinander. Dennoch wird schnell deutlich, dass man hier vergeblich nach leisen Tönen oder verkopftem Konzeptualismus sucht. Es handelt sich durchweg um Positionen, die eine Art "In your face-Malerei" betreiben, eine Malerei, für die gängige Begriffen der Bildbeschreibung wie "vital" oder "aus der Farbe heraus" unangenehm bemüht klingen. Wer sich die Bilder in der SCHIRN ansieht, weiß jedoch sofort, was gemeint ist.