Eine Reise als Schlüsselmoment seiner künstlerischen Entwicklung. In der WILDNIS Ausstellung zeigt die SCHIRN unter anderem Werke des Dänen Per Kirkeby. Wir haben uns auf seine Spuren begeben.
Als sich der geologische Assistent Per Kirkeby 1963 auf seine Expedition mit dem Polarforscher Eigil Knuth nach Pearyland in Grönland vorbereitete, steckte er in seinen Rucksack nicht nur Karten und Notizbücher, sondern nahm auch eine Handvoll Zinkplatten mit. So entstand die erste Serie von Radierungen des Künstlers Per Kirkeby, als den die meisten ihn heute kennen.
1958 hatte der Däne in Kopenhagen begonnen Geologie zu studieren, bald schrieb er sich jedoch auch an der Experimentierenden Kunstschule ein. Die Reise nach Pearyland beschreibt Kirkeby später als einen Schlüsselmoment seiner künstlerischen Entwicklung: „Ich fühlte wirklich, dies waren Erfahrungen, die ihre Spuren hinterlassen würden, so dass man, wenn ich in die Zivilisation zurückkehrte, sehen würde, hier war einer, der bei einer kräftezehrenden Expedition dabei gewesen war. […] Ich glaube, hier fand ich das, was ich brauchte, um Künstler zu werden.”
Dass Kirkeby nicht nur die Natur Grönlands künstlerisch inspirierte, sondern ihn auch die Erfahrung all ihrer Widrigkeiten prägte, ist ein faszinierendes Beispiel für die wechselseitigen Verflechtungen von Kunst und Wildnis. Um mehr darüber zu erfahren, wie sich Kirkebys wissenschaftliche und künstlerische Praxis gegenseitig bedingten, besuche ich das Museum Jorn in Silkeborg, dem Kirkeby sein umfangreiches Archiv vor seinem Tod vermacht hat.
Ich glaube, hier fand ich das, was ich brauchte, um Künstler zu werden.
Schon die Anreise selbst gleicht einer kleinen Expedition: Vom Flughafen in Billund schlängeln sich mehrere Züge quer durch dänische Kleinstädte und Schafsweiden. Das Museum Jorn liegt malerisch auf einer Erhebung mit Blick auf den dahinter fließenden Fluss und beherbergt eine herausragende Sammlung: Neben zahlreichen Arbeiten Asger Jorns ist hier auch die Kunst seiner Weggefährten der europäischen Nachkriegsavantgarde vertreten.
Entdeckungsreise ins Depot
Kurator Lucas Haberkorn führt mich zur Begrüßung durch die große Retrospektive „Machines for Light and Shadow“, die das Museum dem Künstler dieses Jahr anlässlich seines Todes widmet. Bei meinem Besuch sind die Vorbereitungen noch in vollem Gange – zahlreiche seiner bekannten Backsteinskulpturen aus Paris, London und Münster werden vor Ort erneut aufgebaut. Im Anschluss besichtigen wir das Depot, in dem das Museum von jeder druckgrafischen Arbeit Kirkebys ein Exemplar verwahrt – eine beachtliche Menge angesichts seiner häufig unterschätzten grafischen Produktion.
Besonders interessieren mich die Radierungen, die Kirkeby auf seinen Expeditionen angefertigt hat, denn die Serie Pearyland steht nur am Anfang zahlreicher weiterer Serien. Dabei sind Radierungen eher untypisch für Landschaftsskizzen – der Widerstand der Platte stellt für den Griffel beim Ritzen einen Widerstand dar und verlangt konzentrierte Striche.
Feldbücher und Fotoalben
Am nächsten Tag geht es in das Archiv, das nur durch eine Glaswand vom Ausstellungsbetrieb abgetrennt ist und so den Besuchern Einblicke in die Arbeit hinter den Kulissen erlaubt. Von Kirkebys Expeditionen, die er als Geologe unternommen hat, sind zahlreiche Unterlagen erhalten geblieben: Tagebücher und Feldbücher mit Skizzen und Notizen, Korrespondenzen, Fotografien und sogar Filme. Eindrucksvoll ist das Arbeitsbuch, das Kirkeby anlässlich der Pearyland-Exkursion von 1963 führte: Die Beobachtungen jeden Tages werden akkurat in Tusche mit Zeichnungen von Küsten- und Gebirgsformationen begleitet; dabei erhält jedes geologische Merkmal bestimmte Schraffuren und Strichelungen, die in einer beistehenden Legende erläutert werden.
Ein Blick auf diese Skizzen und Zeichnungen genügt, um zu verstehen, woher Kirkebys frühe Radierungen ihre Formen nehmen: Wissenschaftlich geschult, tastet auch der Blick des Künstlers das Gelände auf seine topografische Struktur ab und verwandelt diese in abstrahierte Kompositionen. Alte Dias einer Forschungsreise von 1964, bei der die Mannschaft in Grönland einen Meteoriten bergen sollte, zeigen das Lager und das Schiff der Mannschaft – rauere Bedingungen als heute, wie Kirkeby viele Jahrzehnte später feststellte, als er sich erneut auf Expedition begab. Vor allem nach Grönland zog es ihn immer wieder zurück, an dessen Landschaft er sich als Künstler abarbeitete.
Ich kann mir von der Sonne die Fassungen zeigen lassen. Und Tag für Tag meine Aufmerksamkeit schärfen.
Je nach Saison und Wetterstand konnte sich ihm dieselbe Bergkette stets unterschiedlich präsentieren. Im Gegensatz zu seiner wissenschaftlichen Arbeit, bei der Kirkeby an einem gewissen Punkt ein Bild als verlässliche Information anerkennen musste, fühlte er sich als Künstler davon befreit: „Ich bin nicht bloß für eine Stunde oder zwei mit dem Hubschrauber abgesetzt und darauf verwiesen worden, mit der Wahrheit genau dieser Stunde wieder abzuziehen. Ich kann mir von der Sonne die Fassungen zeigen lassen. Und Tag für Tag meine Aufmerksamkeit schärfen.“