Im zweiten Teil der Serie zum Film der Weimarer Republik stellt das SCHIRN MAG sieben Filme aus dieser Zeit vor, die man gesehen haben sollte.
Nachdem im ersten Teil der Serie über den Film in der Weimarer Republik eine Einführung in das Filmbusiness und die (internationale) Bedeutung des deutschen Films in den 1920er Jahren gegeben wurde, folgt nun eine exemplarische Auswahl an Filmen, die für wichtige Themen und Entwicklungen der Zeit stehen. Dabei sollte man sich nicht allzu sehr in die historische Perspektive des nachträglich Besserwissenden begeben. Auch, wenn es unmöglich ist, allen Ballast abzuwerfen: Filme können wichtige Zeitzeugnisse sein. Aber schade wär’s, wenn man sie allein darauf reduzierte.
1
Das Cabinet des Dr. Caligari (1920)
Am 27. Februar 1920 kam dieser visuelle Stoff ins Kino, aus dem Albträume gemacht sind: Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gilt nicht umsonst als Meilenstein der Kinogeschichte. In dem sechsaktigen Stummfilm wird die Gruselgeschichte um Dr. Caligari erzählt, ein Schaubühnenbetreiber, dessen Attraktion der Somnambule Cesare ist. Zeitgleich mit der Eröffnung von Caligaris Jahrmarktsattraktion kommt es in der Stadt zu einer Reihe von Morden, die der Protagonist Franzis aufzuklären sucht. Mit seinen zauberhaft-grotesken Kulissen, der kontrastreichen Beleuchtung und den gemalten Schatten ist „Das Cabinet des Dr. Caligari“ eine der ersten und gleichzeitig berühmtesten Produktionen des expressionistischen Films.
Er beeinflusste ganze Genres wie den Film noir oder den Horrorfilm, seine Ästhetik wurde in unzähligen Musikvideos aufgegriffen und weiterentwickelt. Der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer erkannte in „Das Cabinet des Dr. Caligari“ schon den „der Autoritätssucht innewohnenden Wahnsinn“ des aufkommenden Nationalsozialismus. Dies sei ihm zufolge darauf zurück zu führen, dass Regisseur Wiene dem urspünglichen Drehbuch von Hans Janowitz und Carl Meyer eine eklatante Änderung aufgedrängt habe, die das revolutionäre Filmskript in einen konformistischen Film umgewandelt habe. Was bekanntlich im Sinne der Nazis nicht gelang: der Film wurde 1933 verboten und in der Ausstellung „entartete Kunst“ gezeigt.
2
Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (1927)
Ein Zug rast in Höchstgeschwindigkeit durch Landschaften, Industrie- und Wohngebiete und kommt schließlich am Berliner Anhalter-Bahnhof zum Stehen. Wie sah die Metropole in den zwanziger Jahren aus, wie ging das Leben hier vor sich? Walter Ruttmann zeigt in dem gut einstündigen experimentellen Dokumentarfilm „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ genau dies. Und stellt mit dem Titel sowie der eigens für den Film komponierten Musik von Edmund Meisel sogleich eine Parallele auf: Die Großstadt als Sinfonie, eine orchestrale Erzählung in verschiedenen Sätzen, mitsamt Wiederholungen und Modulationen. Mithin steckt in ihr die ganze Welt.
Wir sehen Architektur, leere Straßen – es ist fünf Uhr morgens. Die Stadt erwacht langsam zum Leben, es wird wuselig, Arbeiter gehen arbeiten, Spaziergänger spazieren, Verkäufer verkaufen. Ruttmann nutzte eine neue Schnitttechnik, die es ihm erlaubte, das Filmmaterial sehr kleinteilig zu bearbeiten, um so den Schnitt inszenatorisch an die Musik anzupassen. Was „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ für alle Nachgeborenen jedoch vor allem zu bieten hat, ist der Einblick in ein Berlin, dessen Topographie in Folge des Krieges so nicht mehr existiert: ein Ausblick in eine längst versunkene Stadt aus einer längst vergangenen Zeit.
3
Die Büchse der Pandora (1929)
Dieser Film über die verführerische Tänzerin Lulu gehört zu den bekanntesten Stummfilmen des österreichischen Regisseurs Georg Wilhelm Pabst. Der wiederum war einer der bekanntesten Stummfilm-Regisseure der Weimarer Republik. Die Hauptrolle in „Die Büchse der Pandora“ übernahm die amerikanische Schauspielerin Louise Brooks, die als Lulu Männer und auch einer Frau mit kühler Eleganz den Kopf verdreht und sich selbst sowie alle in ihrer Umgebung lustvoll ins Unglück stürzen lässt. Oder war’s Schicksal? Das drastische Ende darf als moralische Wertung verstanden werden, eine Zensur wegen jugendgefährdender Inhalte blieb trotzdem nicht aus.
4
Menschen am Sonntag (1930)
Sich Weimar immerzu mit seinen schrillsten Spezifika, gar als permanenten Vorboten der Finsternis allein vorzustellen, opfert jede mögliche Erkenntnis schon vorab der Verkitschung. Was sonst eine Bagatelle wäre, kann man deshalb hier ruhig noch einmal betonen: Auch in der Weimarer Republik gab es Alltag, ganz normale Bürger, die ganz normale Dinge tun. Der Film „Menschen am Sonntag“ zeigt genau diese Menschen – beim Flanieren, beim Autoschrauben, beim Picknicken und Baden am Wannsee. Fünf Regisseure taten sich für diesen Film zusammen, darunter die spätere Hollywood Koryphäe Billy Wilder. Abwechselnd suchen sie ihre namenlosen Protagonisten in und um Berlin auf und werden so ganz nebenbei noch frühe Zeugen eines Phänomens, das nach und nach als „Freizeitgestaltung“ selbstverständlich werden sollte.
5
Der Blaue Engel (1930)
Josef von Sternbergs „Der blaue Engel“ verhalf nicht nur Marlene Dietrich zu Weltruhm, sondern ist auch einer der wenigen Welterfolge des deutschen Films überhaupt. Der Film, der auf Heinrich Manns Roman „Professor Unrat“ basiert und zeitgleich auf Deutsch und Englisch produziert wurde, erzählt die Geschichte des Professoren Rath, der sich in die Varieté-Sängerin Lola Lola verliebt („Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt!“) und an jener Liebe zu Grunde geht. Sternbergs Film bedient sich nur der ersten Hälfte der Vorlage: Während Manns Roman sich zu einer spitzen Gesellschaftssatire entwickelt, inszeniert Sternberg in „Der blaue Engel“ die Geschichte als Melodram eines Individuums, das für sein Ausbrechen aus gesellschaftlichen Konventionen schlussendlich mit Reue und Tod bestraft wird. Wie auch immer man den Film bewerten mag, als Meisterwerk oder gescheiterte Romanadaption: der Film schenkte der Welt einen seiner größten Filmstars.
6
M (1931)
Ein Kindermörder treibt sein Unwesen in der damals drittgrößten Stadt der Welt, Berlin. Peter Lorre geistert als Hans Beckert durch die Straßen. Dabei pfeift er schaurig-gruselig Edvard Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ und hält Ausschau nach Opfern, bevor er schließlich selbst vom Jäger zum Gejagten wird: Sowohl die Polizei als auch die Unterwelt wollen den Täter schnappen. Fritz Langs „M“ ist auch 86 Jahre nach der Uraufführung noch immer ein Meisterwerk. Lang bewegt sich mühelos durch verschiedene Genres (vom Sozialdrama über den Polizeifilm bis hin zum Thriller und schließlich zum Gerichtsdrama), brilliert erstmalig in den für ihn neuen Möglichkeiten des damals neuen Tonfilms (diese Dynamik zwischen Stille und Ton!) und findet mit Peter Lorre den perfekten Darsteller für seine Hauptrolle: „Immer muß ich durch Straßen gehen, und immer spür ich, es ist einer hinter mir her. Das bin ich selber!“
So verteidigt er sich in der eindringlich-verzweifelten Verteidigungsrede gegenüber dem geifernden Lynchmob, bestehend aus Wutbürgern, Betroffenen und Verbrechern, die das Recht selbst in die Hand nehmen wollen, um den psychisch Kranken „unschädlich“ zu machen. 1931 schien Fritz Lang die Geisteshaltung seiner Mitbürger schon genau beobachtet zu haben. Der Arbeitstitel „Mörder unter uns“ führt dies auch recht explizit im Titel mit: Denunziantentum, blinder Hass auf das Nicht-Verständliche gepaart mit dem eliminatorischen wie exterminatorischen Willen ums Ganze. Kurz nach dem Aufstieg Hitlers mitsamt der NSDAP wurde „M“ selbstredend verboten.
7
Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (1932)
„Kuhle Wampe“ ist eines der bekanntesten Werke des deutschen proletarischen Films und ein Beispiel für das wachsende Selbst-Bewusstsein einer arbeitenden Klasse, die den Zumutungen ihres bescheidenen Alltags mal resigniert, mal kess und unbekümmert und dann wieder ganz pragmatisch entgegenblickt. Das Drehbuch lieferte (neben anderen, auch wenn er im Abspann ausschließlich genannt wird) Bertolt Brecht. Die Dreharbeiten mussten durch Mitglieder der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) gegen marodierende SA-Trupps geschützt werden. Im befreundeten Moskau reagierte man mit Stirnrunzeln auf den Film – der Lebensstandard der Berliner Proletarier erschien dem russischen Publikum nahezu dekadent. Die letzte Szene, in der sich die Arbeiter über nicht deutsche Großgrundbesitzer mokiert, markiert "Kuhle Wampe" letztlich als ausdrücklich politischen Film, der mit seinen politischen Gegnern, den Nationalsozialisten, durchaus ähnliche Ressentiments teilte. Im März 1932 jedoch wurde die Uraufführung verhindert und im Jahr 1933 verboten die Nationalsozialisten "Kuhle Wampe" endgültig.
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