Bubikopf, Frack und Zigarettenspitze: Die Frau der Weimarer Republik hat sich aus dem starren Korsett befreit und pfeift auf Konventionen. Auch in der Kunst ändert sich das Frauenbild.

Das Ende des 1. Weltkrieges im November 1918 bedeutete eine Zäsur, aber auch einen Neuanfang für Deutschland. Etwa 2 Millionen Männer hatten auf den Schlachtfeldern ihr Leben gelassen, ihre fehlende Arbeitskraft machte sich nun schmerzlich bemerkbar. Mit der Festschreibug der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in die Verfassung der Weimarer Republik und dem somit erteilten Wahlrecht für beide Geschlechter boten sich Frauen auf einmal völlig neue Möglichkeiten: Sie erhielten bessere Ausbildungschancen, konnten sogar an Kunstakademien studieren. Das Berufsbild des „Fräuleins an der Schreibmaschine“ entstand und die Abhängigkeit vom Mann nahm ab. Was für eine Freiheit!

Mit dem einengenden Korsett in der Mode fielen auch die Hemmungen: Man erhöhte den Rocksaum und legte die Knöchel frei, schob sich Federn ins Haar und tanzte bis in die Morgenstunden Charleston, kleidete sich im „Garçonne“-Look mit Frack und Monokel, verschwieg sein wahres Geschlecht und pflegte die homosexuelle Liebe. Weil das Geld während der Inflation bis 1923 rasend schnell an Wert verlor, warf man es zum Fenster hinaus und feierte üppige Gelage. Es entstand das Bild der „Neuen Frau“, besungen von Fritzi Massary 1932 in einer Operette von Louis Verneuil: „Ich bin eine Frau, die weiß, was sie will, ich habe mein Tempo ich hab' meinen Stil, ich habe meine Hemmungen fest in der Hand, ein bißchen Gefühl, ein bißchen Verstand“. Ein Bild, welches sich auch in der Kunst der Weimarer Republik, maßgeblich in der „Neuen Sachlichkeit“, niederschlug.

Individualität nur noch am Rande

Während und kurz nach dem Ende des Krieges hatte der Expressionismus noch die Überhand gehabt: Verzerrte, überzeichnete Frauenfiguren in subjektiv verklärter Sichtweise finden sich bei Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rotluff und Otto Dix;  den Künstlern ging es unter anderem um die Darstellung von Träumen, Emotionen und Gesellschaftskritik. Anders in der Neuen Sachlichkeit, die sich bereits ab 1919 als ein „Nach-Expressionismus“ wahrnehmen lässt, aber erst 1924 ihren heute bekannten Begriff erhält: Nach Abzug von Pathos und Übertreibung bleibt das Bodenständige und Reelle des Motivs, eine Art nüchterne und vor allem emotionslose Inventur des noch Vorhandenden nach einem Jahrzehnt Krieg und Inflation. Es entsteht eine Versachlichung der dargestellten Personen, die ihre Individualität nur noch am Rande sichtbar werden und gleichzeitig einen allgemeingültigen Typus entstehen lässt.

Kate Diehn-Bitt, Self-Portrait with Son (Selbstbildnis mit Sohn), 1933, Kunsthalle Rostock

Besonders in den Darstellungen der „neuen Frau“ verzichten die Künstler auf Merkmale, die gewöhnlich als weiblich bezeichnet werden: So zeigt „Das Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden“ von Otto Dix den androgynen Körper einer Frau, die mit Bubikopf, Monokel und Zigarette im Café sitzend dem damals gängigen Verständnis der emanzipierten Frau entsprach – einer Frau, die sich nicht um die Vorstellungen der Gesellschaft von Schönheit und Geschlechterrollen kümmert und stattdessen selbstbewusst ihren Weg geht. „Ideal ist die Garçonne, berlinisch definiert als ein Mädchen, das aussieht wie ein Mann, der aussieht wie ein Mädchen, das aussieht wie: Renée Sintenis“ schreibt Silke Kettelhake in der Biographie über die Bildhauerin Renée Sintenis, die mit ihrem burschikosen Aussehen und ihrem Erfolg als Künstlerin der Berliner Bohème den Kopf verdrehte.

Eine spürbare Kühle

Viel Selbstbewusstsein strahlt auch das Portrait „Margot“ aus, welches Rudolf Schlichter 1924 malte. Die bekannte Prostituierte wirkt müde, aber würdevoll und vor allem bereit, ihren Berufsstand mit Stolz vor Kritikern zu verteidigen – eine Ausstrahlung, die sich in den Milieustudien von Otto Dix hingegen nicht immer finden lässt: Der schonungslose Blick des früheren Expressionisten lässt auch in den Zwanzigern kein Detail des verfallenden, verformten und verlebten Körpers der alternden Frauen aus. Vor allem die Großstadt Berlin brachte nicht nur ein ausschweifendes Nachtleben, sondern auch eine Entfremdung und Anonymität mit sich, die über die Bilder der Neuen Sachlichkeit eine spürbare Kühle legt. Sie zeigen die „harte, unsentimentale Schale“ des Menschen, die er sich in den dunklen Zeiten des Krieges zulegen musste, um zu überleben.

Jeanne Mammen, Ash Wednesday (Aschermittwoch), ca. 1926, Watercolor on paper, 34 × 29 cm, Private collection, Berlin, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Photo: Mathias Schormann, Berlin

Mit den neuen Geschlechterrollen änderte sich auch die Beziehung zwischen Mann und Frau, die ebenfalls mehrfach von den Künstlern aufgegriffen wurde. Von der Darstellung von Frauen als treusorgender Gattin über die lustvolle Geliebte bis hin zum moralisch schwachen, käuflichen Lustobjekt kommen in den Gemälden und Zeichnungen männlicher Künstler immer häufiger die wechselnden „Machtverhältnisse“ zum Ausdruck: Die „Eroberung“, von Rudolf Schlichter ca. 1927 gemalt, zeigt eine Frau im Negligée, die mit spitzen Stiefeln auf dem Rücken eines am Boden kauernden Mannes steht – die wachsende Autonomie der Frauen wird durchaus mit sorgenvollem Blick betrachtet.

Wo Frau ihresgleichen findet

Anders manifestiert sich hingegen der weibliche Blick auf die Umstände der Weimarer Republik. Vor allem die Berliner Künstlerin Jeanne Mammen malt selbstbewusste Frauen, die provozierend aus dem Bild herausschauen, um es mit der noch immer männerdominierten Welt aufzunehmen oder sich dieser sogar ganz zu entziehen zugunsten der gleichgeschlechtlichen Liebe. Letztere hatte, vor allem als sexuelle Begegnungen zwischen Frauen, in den 1920er-Jahren in Berlin ihr Eldorado gefunden. Immer mehr Treffpunkte entstehen, wo Frau ihresgleichen findet und ihre – von der Gesellschaft noch immer offen geächtete – Neigungen ausleben kann. Mammen ist mittendrin und malt die Zärtlichkeit zwischen den Frauen aus eindeutig weiblicher Sicht, während das andere Geschlecht zwingend in die Rolle des Beobachters zurückgedrängt wird. Studien von Männern zum Lesbiertum, z.B. „Freundinnen“ von Christian Schad, wirken kühl und klischeehaft – eben besonders sachlich.

Christian Schad, Seminude (Halbakt), 1929, Von der Heydt-Museum Wuppertal, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Photo: Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal

Das Bild der „neuen Frau“, ihre provokante Lossagung von den bisher tradierten Rollen und das neu errungene Selbstbewusstsein zeigt sich in der Weimarer Republik als Segen für das betroffene Geschlecht und mitunter als Angriff auf die Männlichkeit. Dies endet spätestens mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die die emanzipierte Frau in ihre Schranken weisen und mehr oder weniger zur Kochlöffel schwingenden Gebärmaschine degradieren – auch in der Kunst.

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