Die Berlinische Galerie widmet der Künstlerin Jeanne Mammen eine umfassende Retrospektive. Im Mittelpunkt stehen ihre ikonischen Arbeiten aus dem Berlin der 1920er-Jahre.

Die Hände in die Hüften gestemmt, die Zigarette keck im Mundwinkel, der Blick forsch: ca. 1928 malt Jeanne Mammen mit Aquarell und Bleistift das Bild „Sie repräsentiert (Faschingsszene)“ mit einer Frau in Anzughose und Zylinder - und trifft dabei perfekt den Kern Berlins in den „Wilden Zwanzigern“. In der kurz zuvor durch den Zusammenschluss von „Groß-Berlin“ rasant gewachsenen Stadt tummelt sich währender der Weimarer Republik eine wilde Mischung aus Künstlern und Literaten, Großbürgertum und Kriegsverlierern. Berlin brummt.

Während des ersten Weltkriegs war Mammen, die mit ihrer Familie in Frankreich aufwuchs, nach Berlin gekommen. Sozialisiert durch die Kunst von Henri Toulouse-Lautrec, Edgar Degas und die Herzlichkeit der Franzosen, tut sie sich zunächst schwer mit der Zugeknöpftheit und Kaltherzigkeit der Deutschen und dem Kaiserreich. Doch dank ihres kleinen Wohnateliers in einem Gartenhaus am Kurfürstendamm, das sie sich mit ihrer Schwester Mimi teilt, lebt sie sich schnell ein inmitten der turbulenten Großstadt. Noch schlittert Berlin von einer Krise in die nächste, doch schon ein paar Jahre später bäumt sich die Stadt auf wie ein angeschossenes Tier, das nichts mehr zu verlieren hat; die Bevölkerung kompensiert das lange Darben der Kriegsjahre mit fröhlichem Hedonismus, sexuellen Ausschweifungen und literweise Champagner.

Mal überzeichnet, mal intim

Jeanne Mammen ist immer dabei, doch nimmt sie eher als stille Beobachterin denn als Akteurin am Geschehen teil. Mit scharfem Blick und spitzem Bleistift setzt sie die Bohème an den Café-Tischen der Weimarer Republik in Szene, malt die burschikosen Garçonnes und die emanzipierten Fräuleins mit rabenschwarzem Bubikopf, die „Neuen Frauen“. Zeit ihres Lebens wird sie vorwiegend Frauen als Motiv wählen: Mal als überzeichnete Karikatur, um „das Antlitz der Zeit“ zu typisieren, mal in einer intimen, teilweise auch erotisierten Umgebung, zu der Männer keinen Zutritt haben.

Jeanne Mammen, Sie repräsentiert, um 1928, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Repro: © Mathias Schormann

Ihr Portrait der „Revuegirls“ von 1928/29 hingegen verbindet diese beiden Sphären: In knappen, durchscheinenden Kostümen und kecken Hüten sorgen besagte Revuegirls in den damals florierenden Tanztheatern mit ihren langen Beinen für Schweißtropfen auf den Monokeln der glatzköpfigen Herren, sie verschwimmen zu einer Masse der schwingenden Hüften, die nur der Triebbefriedigung dienen – doch Jeanne Mammen zeigt auch ihre erschöpften Gesichter, die mit greller Schminke nur notdürftig verdeckt werden können. Das Idealbild von Weiblichkeit zwischen fürsorglicher Hausfrau und entindividualisiertem Sexobjekt – eine Doppelmoral der Zeit, die die Künstlerin immer wieder aufzudecken sucht.

Hassliebe Berlin

Während sich Mammen in den den 1920er-Jahren mit Illustrationen für Magazine, Filmplakate und Kurzgeschichten in die Köpfe und Herzen der Bevölkerung malt, wendet sich das Blatt auch für sie mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten 1933. Obwohl sie zeitlebens eine intensive Hassliebe zu Berlin verspürte, entscheidet sie sich gegen die Ausreise – und tritt stattdessen eine innere Emigration an. Ohne offizielle Aufträge – viele der Magazine, für die sie gezeichnet hatte, waren mit der Gleichschaltung der Presse eingestellt worden - widmet sie sich in den dunklen Jahren des zweiten Weltkriegs ihrem Vorbild Picasso, dessen Monumentalbild "Guernica" sie 1937 auf einer Ausstellung in Paris gesehen hatte.

Jeanne Mammen, Die Rothaarige, um 1928, Berlinische Galerie, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Repro: © Kai-Anett Becker

Ihre Malereien dieser Zeit sind geprägt von den typischen kubistischen Formen mit verzerrten Mündern und aufgerissenen Augen: „Der Würgeengel“, entstanden zwischen 1939 und 1942, ließe sich mit ungeschultem Auge leicht dem großen spanischen Vorbild zuordnen. Doch während Picasso seinen Schrecken über die Ereignisse des Spanischen Bürgerkriegs in Schwarz- und Grau-Schattierungen umsetzte, bedient sich Mammen einer expressionistischen Vielfalt an Farben und bezieht sich nicht auf konkrete Ereignisse. Ein paar Jahre später verlässt sie das Feld der Malerei weitgehend und arbeitet an Skulpturen sowie Collagen. 

Weltkrieg, Inflation, noch ein Weltkrieg, Besetzung und Mauerbau und noch ein – diesmal „kalter“ – Krieg: Jeanne Mammen hat bis zu ihrem Tod 1975 verschiedene politische Systeme und Gesellschaften erlebt und festgehalten. Ihren Humor hat sie dabei manchmal verloren – ihre Hoffnung jedoch nie.

Jeanne Mammen, Mädchen mit Katze, 1943, Leihgabe aus Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Repro: © Fotostudio Bartsch, Karen Bartsch, Berlin

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