Eine junge Frau studiert am Bauhaus in Weimar und Dessau und kämpft nicht nur für eine Neu-Definition der Kunst, sondern auch für ihre Selbstbestimmung als Frau: Theresia Enzensberger lässt in ihrem Roman „Blaupause“ die 1920er Jahre aufleben.
Was für eine Erniedrigung! Als Luise Schilling den Brief ihres Vaters, ein reicher Berliner Industriemagnat, erhält, ist sie empört – und fügt sich dennoch. Denn man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Und die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern hatte Luise das Studium an der Bauhaus-Universität in Weimar und später in Dessau überhaupt erst möglich gemacht.
Liebe Luise, Deine Mutter und ich sind zu dem Schluss gekommen, dass Dein Aufenthalt am Bauhaus in Weimar nicht länger sinnvoll ist. Wir haben Dir einen Platz im Pestalozzi-Fröbel-Haus in Schöneberg gesichert, wo du bereits im Juni anfangen wirst.
Dass sie sich dort 1920 beworben hatte, war zunächst nicht auf viel Gegenliebe in ihrer Familie gestoßen; doch als sie erfuhren, dass es am Bauhaus auch eine Webwerkstatt gibt, in der ihre Tochter auch etwas für eine Frau nützliches lernen könnte, willigten sie schließlich ein. Doch Luise, das wird schnell klar, hat überhaupt nicht vor, sich an den Webstuhl zu setzen.
Den Häuserbau revolutionieren
Sie will Architektin werden und den Häuserbau revolutionieren, will sich lossagen von dem wilden Mix aus historisierenden Stilen, der bislang herrschte, hin zu einer klaren, strukturierten Bauweise. Zunächst landet sie allerdings im Vorkurs von Johannes Itten und dem Kreis seiner Mazdaznan-Jünger – irgendwo muss man ja schließlich dazugehören. Und außerdem hat es ihr der hübsche Jakob angetan.
Denn künstlerische Revolution hin oder her: Luise ist vor allem auch auf der Suche nach sich selbst und ihrer Sexualität bzw. ihrem Wunsch, sich als vorsichtig emanzipierte Frau weltgewandt und tolerant zu geben. Allzu ausschweifend darf es aber auch wieder nicht sein, zu viel Freizügigkeit wie in den Nachtlokalen Berlins irritieren sie:
Man sieht schwer geschminkte Gesichter, glitzernden Modeschmuck, gefährlich kurze Röcke, Frauen in Fracks und Smoking, Männer in Abendkleidern und halbnackte Jungen, die auch Mädchen sein könnten. Ich finde das alles höchst merkwürdig, die lüsterne Stimmung ist mir unheimlich, am liebsten würde ich sofort wieder umdrehen und nach Hause gehen.
Luise ist gefangen zwischen den Ansprüchen, die sie an sich selbst stellt und den Rollenbildern, von denen auch die Lehrer und Kommilitonen am Bauhaus noch stark durchdrungen sind: Johannes Itten schickt sie, als hätte er sich mit dem Vater abgesprochen, nach dem ersten Jahr in die Weberei und Walter Gropius lobt ihre architektonischen Ideen zwar, weißt sie aber darauf hin, dass es nicht ganz ihre Kragenweite sei, gleich eine ganze Siedlung bauen zu wollen. Später gibt er ihre Entwürfe als seine eigenen aus.
Die politischen Verhältnisse der Nachkriegszeit mit dem langsam stärker werdenden Nationalsozialismus verwirren Luise und erregen Zweifel an ihrem Leben in der Bauhaus-Blase. Wie können ihre Kommilitonen fasten, während viele Menschen aufgrund der Inflation kaum etwas zu essen haben? Wieso wird am Bauhaus so selten über Politik gesprochen, die zu der Zeit doch mehr als bedrohliche Anzeichen aufweist?
Leben in der Bauhaus-Blase
Es ist ein täglicher Kampf um die Anerkennung ihrer künstlerischen Fähigkeiten einerseits und ihre Emanzipation als junge Frau andererseits, die Luise schwanken lässt wie eine schlecht verarbeitete Konstruktion auf dem traditionellen Laternenfest. Doch wenn der Protest ausbleibt, hilft es auch nicht, dass sie sich – wie man das in den 1920er Jahren eben machte – einen Bubikopf schneiden lässt und sich an den Attitüden der „Neuen Frau“ versucht.
Weibliche Selbstbestimmung und sexuelle Eskapaden, klischeehafte Rollenbilder, der lauter werdende Antisemitismus in Deutschland und mittendrin der Wunsch nach einem „neuen Menschen“ am Bauhaus: Theresia Enzensberger hat sich für ihren Roman ein Jahrzehnt ausgesucht, welches rückblickend dichter und komplexer nicht sein könnte. Dies alles in einem schlüssigen, fließenden Roman unterzubringen ist ein ambitioniertes Unterfangen und glückt der Autorin leider auch nicht immer.
Wie eine gläserne Decke
Zu viele Details – oft ohne jegliche Relevanz für die Handlung und nur als Zeitkolorit erwähnt – lassen den Text oft überfrachtet und schleppend wirken; dazu trägt die durchgängige Ich-Perspektive der Hauptfigur in Echtzeit, die Luise keinerlei Reflexion ermöglicht, zu der haarsträubenden Naivität der jungen Frau bei, die sich ständig um sich selbst dreht.
Und doch beschreibt „Blaupause“ – es ist das Romandebüt der jungen Journalistin, Verlegerin – mit eindringlichen und authentischen Bildern den Studienalltag an einer außergewöhnlichen Hochschule und überrascht damit, dass gerade an diesem vermeintlich so fortschrittlichen Ort die Geschlechterstereotypen der Zeit wie eine gläserne Decke den Aufstieg versperrten. Der Weg einer jungen Frau in den aufregenden Wirren der Weimarer Republik mag stellenweise etwas bemüht wirken, doch lohnt die Lektüre für alle, die mehr über die Atmosphäre am Bauhaus in den „wilden Zwanzigern“ erfahren möchten.
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