Die Amerikanerin Alison Bechdel und die Wahl-Berlinerin Ulli Lust sind zwei erfolgreiche Frauen in der von Männern dominierten Comic-Branche. Ein Doppelporträt.
Comics, eine Männerdomäne? Jein: Natürlich wird das Genre traditionell mit Gewalt und Action, ergo mit vorwiegend immer noch als männlich geltenden Attributen assoziiert. Zeichner der großen Comicreihen aus den Häusern Marvel und DC, aber auch die der Cartoons beispielsweise von Disney waren jahrzehntelang vorwiegend männlich. Und die Darstellung weiblicher Figuren in den Bilderstrecken selbst brachte und bringt immer noch jede Menge Stereotypen hervor – wobei deren radikale Überhöhung eben auch durchaus etwas ironisch Gebrochenes hat.
Es bleibt eine Frage der Perspektive: Figuren wie Wonderwoman oder die aktuell als Netflix-Serie verfilmte Jessica Jones sind zwar meist knapp bekleidet und unübersehbar Verkörperung männlicher Fantasien, aber zugleich und immer noch eine Superheldin (und Batman, Spiderman & Co. kaum weniger durchtrainiert respektive körperbetont). Und trotz der männlichen Dominanz bot das Medium Comic sehr früh auch weiblichen Zeichnerinnen eine Plattform – in den USA geht deren Geschichte bis ins späte 19. Jahrhundert zurück, auch wenn man damals sicher noch eher von Illustrationen als von Comics im heutigen Sinne sprechen muss.
Comic war immer beides: Kommerz und Subkultur, Punkrock und Mickey Mouse. Aus diesem Spannungsverhältnis erklärt sich vielleicht die Selbstermächtigung eines Zeichnerinnen-Duos wie Joyce Farmer und Lyn Chevely, die für ihren Kampf gegen männlich geprägte Stereotypen im Comic-Genre eben genau diese Plattform auswählten. Die „Tits & Clits Comix“ waren eine radikal-feministische Ansage an die Männerwelt und vielleicht das erste sichtbare Anzeichen einer Umdeutung, die im Underground ihren Anfang nahm.
Der typische schwarze Humor
In der Tradition feministischer Queer-Comics, aber mit einem sehr viel persönlicheren Zugang, lassen sich auch Alison Bechdels Arbeiten lesen: Seit 1983 zeichnete die 1960 geborene Amerikanerin kleine Alltagsgeschichten, die sie „Dykes to watch out for“ betitelte – zu Deutsch etwa: Lesben, vor denen man sich in Acht nehmen sollte. Ausgehend von ihrem eigenen Leben, entwickelte Bechdel nach und nach einen ganzen Stab an Figuren, die in einer unbenannten mittelgroßen Stadt irgendwo in den USA ihre Vorstellung eines alternativen Lebensmodells umzusetzen versuchen. Dabei changieren die einzelnen Geschichten irgendwo zwischen politischem Engagement und Soap Opera, die hehren Ideale scheitern allzu oft an Banalitäten – und Alison Bechdels Alter Ego ist sich selbst die größte Kritikerin.
„Dykes to watch out for“ wurde über 25 Jahre lang regelmäßig in gedruckter Form veröffentlicht, inzwischen ist die komplette Sammlung als Buch erschienen. Ihr entstammt auch der inzwischen berühmt gewordene Bechdel Test, in dem gefragt wird, ob in einem Film mindestens zwei namentlich genannte Frauen zusammen über etwas anderes als einen Mann sprechen (viele Filme erfüllen dieses Kriterium übrigens nicht.) Der typische schwarze Humor, mit dem Alison Bechdel als Erzählerin auch die manchmal nervtötende politische Strenge ihrer Figuren kommentiert, zieht sich wie ein Roter Faden durch ihr eigenes Oeuvre: 2006 verknüpfte sie mit „Fun Home“ die persönliche Geschichte ihres Vaters, dessen geheim gehaltene Homosexualität und das eigene Aufwachsen als Tochter eines Bestattungsunternehmers irgendwo im Nirgendwo der USA. Das Buch wird ein Bestseller und vom Time Magazine als „Bestes Buch des Jahres“ ausgezeichnet - ein Statement, auch wenn die sogenannten Graphic Novels, bei denen die Narration im Gegensatz zum „klassischen“ Comic im Vordergrund steht, in dieser Zeit sowieso einen regelrechten Hype erlebten. 2014 erschien die deutsche Übersetzung von „Are You My Mother“, dem zweiten großen Comicroman von Bechdel.
Natürlich kenne sie die Arbeiten von Alison Bechdel, erklärt auch Ulli Lust. Die 1967 in Wien geborene Wahl-Berlinerin ist eine der bekanntesten deutschsprachigen Comickünstlerinnen, die mit dem knapp 470 Seiten starken Comicbuch „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ 2009 ebenfalls einen Überraschungserfolg landete. Gerade Graphic Novels bzw. jene Arbeiten, die man hierunter gemeinhin einordnet, seien stärker weiblich geprägt als die Klassiker – und die männlich dominierte Branche scheint die Entwicklung nicht zu stören: „Ich bin froh, dass endlich Frauenthemen verhandelt werden, ich habe mich deshalb noch nie bagatellisiert gefühlt. Die männlichen Kollegen haben sich über den Zuwachs gefreut.“
Unschuld und Drama, Euphorie und Enttäuschung
Bechdels Art, Geschichten zu erzählen, seien ihr sehr nahe. Als Einflüsse nennt Ulli Lust aber andere Zeichner: Jene des Simplicissimus, zum Beispiel, oder die frühen Comics von „Prince Vaillant“, der im Deutschen als Prinz Eisenherz übersetzt wurde und der in ihrer Kindheit den Weg in die Tageszeitung des Vaters gefunden hatte. Der Prinz mit der markanten Frisur, Donald Duck und die Abenteuer um die Collie-Hündin Bessy stellten Lusts erste Begegnung mit Comics dar, deren Fortsetzung sie sehnsüchtig erwartete; kaufen durfte sie die bunten Heftchen damals nicht. Besonders begeisterten Ulli Lust einige ganz bestimmte Szenen: Wenn der Cowboy einmal genug hatte vom Kämpfen, dann setzte er sich hin, um Landschaften und Tiere zu zeichnen – allerdings lediglich als dramaturgischer Kniff: „Leider wurden seine künstlerischen Ambitionen nur als Entspannungsübungen dargestellt und waren nie Bestandteil der Handlung.“
In ihren eigenen Arbeiten geht Ulli Lust einen anderen Weg: Sie vermeidet Szenen oder Ansichten, die lediglich Symbolcharakter haben sollen. „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ strotzt vor einer Intensität, in der jedes Bild, jeder Satz von besonderer Bedeutung scheinen – und sei es erst im Nachhinein, wenn man sich durch die Geschichte eines Punkermädchen-Sommers im Italien der 80er Jahre gelesen hat und ein wenig sprachlos zurückbleibt. Bedeutungsschwer sind sie deshalb nie. Unschuld und Drama, Euphorie und Enttäuschung liegen haarscharf beieinander, und die Sache mit den Geschlechtern: Man könnte verstehen, wenn die junge Protagonistin nie wieder etwas mit dem jeweils anderen zu tun haben wollte. Und obwohl ein versöhnliches Happy End anders aussieht, schafft es Ulli Lust, diese irre gute Geschichte zu einem, ja, Ende zu bringen.