In seiner Videokunst verhandelt Vito Acconci die Beziehung von Körperlichkeit und Subjektivität und nähert sich dem Ich aus der Distanz

Vito Acconci sieht uns an, nur für einen kurzen Moment. Dann hebt er mit einer entschlossenen Bewegung den Arm und deutet mit dem Zeigefinger nach vorn, direkt in die Mitte des Bildschirms, auf uns, die Zuschauer. Acconcis Blick richtet sich auf den anvisierten Punkt und verweilt dort, auch wenn sein Arm mit den Minuten zu zittern beginnt und sich immer wieder neu ausrichten muss.

„Pointing at my own image on the video monitor: my attempt is to keep my finger constantly in the center of the screen—I keep narrowing my focus into my finger. The result (…) turns the activity around: a pointing away from myself, at an outside viewer.“ (Acconci) Zum Zeitpunkt der Aufnahme von „Centers“ (1971) blickt und zeigt Acconci in die Kamera und gleichzeitig auf sich selbst. Denn die Videotechnologie ermöglicht eine simultane Aufnahme und Wiedergabe, sodass das aufgenommene im selben Augenblick auf dem Monitor erscheint, der so zu einer Art elektronischen Spiegel für den Künstler wird.

Unabhängig von Zeit und Ort

Mit der Entdeckung des Videos als Gegenstand künstlerischer Praxis öffnet sich in den 1960er-Jahren nach der Performance und Happening Kunst ein neues Feld für die Auseinandersetzung mit Körperlichkeit und Subjektivität. Dem Künstler und dem Betrachter wird das Video als Medium zwischengeschaltet. Die Live-Aktion wird um eine technische Komponente erweitert, die es den Künstlern nicht nur ermöglicht, die Aktion aufzuzeichnen und zu reproduzieren, sondern auch Aktionen zu konzipieren, die unabhängig von Zeit und Ort entstehen und gezeigt werden können.

Vito Acconci, Centers [detail], 1971, filmstill, Courtesy Electronic Arts Intermix (EAI), New York

Dabei kann die Darstellung des Körpers durch die Simultanität des Closed-Circuit zum einen genauestens überwacht werden und zum anderen können die Aufnahmen, durch neue technische Möglichkeiten wie die voneinander unabhängige Bearbeitung von Ton- und Bildspur, Zoom oder Time-Delay zusätzlich bearbeitet werden. So entkoppelt sich letztlich der Darsteller vom Dargestellten. Auch oder gerade wenn es um den eigenen Körper geht: Das Subjekt der Gestaltung wird zum gezeigten Objekt.

Der Künstler verschwindet

Diese Körperbilder korrespondieren auch mit dem theoretischen Diskurs um Subjektivität und Autorschaft jener Zeit: Roland Barthes deklariert 1967 den Tod des Autors und weist damit das Konzept moderner künstlerischer Autorschaft zurück, das sich auf den Künstler als individuellen Schöpfer eines Werks bezieht. Stattdessen plädiert Barthes dafür, das (literarische) Werk als einen Raum zu verstehen, das unabhängig von einem Subjekt besteht, oder gar: in welchem das Subjekt verschwindet.

Der Künstler Vito Acconci heute, Image via Artsy

Video eröffnet einen solchen Raum der Entsubjektivierung: Es hat einen massenmedialen Charakter, es ist reproduzierbar, die Aufnahmen sind elektronisch und nicht etwa auf Papier, Leinwand oder Filmband festgeschrieben. Statt also Authentizität oder Singularität zu suggerieren, wird Video zum „Leitmedium bei der Formulierung von künstlerischen Selbst-Bildern, welche die Vorstellung vom schöpferischen Künstlersubjekt und den Begriff des Originals konterkarieren“ (Anja Osswald).

Die Beziehung zwischen Künstler und Betrachter

Bevor sich Vito Acconci in den 1970er-Jahren der Performance-, Installations- und Videokunst zuwendet, beschäftigt er sich in den 1960er-Jahren noch vor allem mit Poesie und Literatur. Die neue Orientierung in seiner künstlerischen Praxis gründet auch in seinem intensiven Interesse am Verhältnis zwischen Künstler und Betrachter, Körper und Selbst, Subjekt und Objekt. In seinen Arbeiten lotet er diese Beziehungen immer wieder aus, verhandelt und hinterfragt die eigene Position und richtet den Blick auf den (eigenen) Körper neu aus.

Vito Acconci, Openings, 1970, filmstill, Image via castellodirivoli.org

Wie etwa in „Openings“ (1970): Der Bildausschnitt zeigt Acconcis Bauchnabel und die ihn umgebene, behaarte Haut in Nahaufnahme. Nach und nach vollzieht Acconci eine komplette Haarentfernung, indem er jedes einzelne Haar ausreißt und nur noch der nackte Nabel zurückbleibt. Erforscht wird hier die Kategorie des Anderen, beziehungsweise die Mechanismen der Unterscheidung, innerhalb derer der Köper geschlechtlich kodiert wird. Wobei Acconci sich auf eine Körperregion konzentriert, die zunächst keine offensichtlich geschlechtliche Konnotation besitzt.

Weiblich versus männlich

Im Prozess der Haarentfernung findet dennoch eine Umkodierung statt und eine vermeintliche Öffnung wird freigelegt - denn „Opening“ kann hier auch als Bezeichnung für das weibliche Geschlecht gelesen werden. Allerdings bleibt es bei einem „Zur-Schau-Stellen (…), das lediglich Versprechen ist, doch die Erfüllung vorenthält, denn die diffus-dunkle Vertiefung entzieht sich einer eindeutigen Lesbarkeit.“ (Anja Osswald) In dieser für die Kamera vollzogenen Aktion lässt Acconci nicht nur die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ ambivalent erscheinen, sondern stellt auch seinen Körper in all seiner Verletzlichkeit zur Schau und changiert dabei selbst zwischen autoritärem Subjekt und beobachtetem Objekt.

Vito Acconci, Shadow Play, 1970, filmstill, Image via theredlist.com

Auch in „Shadow Play“ (1970) geht Acconci der Frage nach, was das Ich, das Selbst vom Anderen trennt. Vito Acconci steht vor einer Wand, auf die sich sein Schatten wirft. Acconci beginnt einen Boxkampf mit seinem Schatten und „kämpft“ somit gewissermaßen gegen das eigene Abbild oder vielmehr die Abbildung des Körpers an. Wie in „Centers“ spielt auch hier der Blick (auf die Spiegelung, bzw. die Projektion des Selbst) eine tragende Rolle. Zum einen dient der Blick der Selbstwahrnehmung und -erfahrung, zum anderen entsteht durch ihn die Erkenntnis einer Spaltung und der Eindruck, dass das Ich gleichzeitig der „Andere“ ist, wie Bernhard Waldenfels es in „Topographie des Fremden“ schrieb: „Im Spiegel sehe ich mich nicht etwa verkehrt herum (…) ich sehe mich jedoch mit den Augen Anderer. (…) Der Andere sieht mich dort, wo der eigene Blick nicht hinreicht.“ 

Vito Acconci sagte über seine Performances, dass diese „von der Präsentation eines Ich, einer Person, nicht von meinem Leben“ handeln. Acconci nähert sich diesem Ich aus der Distanz. Zwar mit einem neugierigen und enthüllenden Blick, doch präsentiert er dieses Ich, als wäre es ein Anderer.

Vito Acconci, Centers, Exhibition View ICH/ME, Photo: Schirn Kunsthalle Frankfurt, Norbert Miguletz, 2016