Mitte der 1960er-Jahre stellen die Provos Amsterdam auf dem Kopf, singen allabendlich den „Raucherhustensong" und betrachten die Stadt als einen großen Spielplatz. Mitten im Geschehen: Ulay.
Eigentlich hat Ulay im Sommer 1968 etwas ganz anderes Sinn: Mit seinem klapprigen Auto, der Schreibmaschine und einer Kamera fährt er Richtung Tschechien, um in Prag an der Schauspielschule zu studieren. Doch daraus wird nichts, denn die Nachwehen des Prager Frühlings bewirken, dass man ihn auch nach drei Tagen Ausharren noch immer nicht über die Grenze lässt. Zufällig liest Ulay in diesen Tagen in einer Zeitung einen Artikel über die so genannten „Provos“ in Amsterdam, sammelt seine Sachen zusammen und düst in die Niederlande.
Die Provos, eine Gruppe spielerisch-anarchistischer Künstler, hat zu dem Zeitpunkt schon ihren Zenit überschritten: Am 25. Mai 1965 hatten sich Roel van Duijn, Robert Jasper Grootveld, Rob Stolk, Luud Schimmelpennink und Peter Bronkhorst in Amsterdam zusammengetan, um mit Performances und Aktionen die Stadtstruktur aufzumischen. Gemeinsam wollten sie das „kreative Potential der ganzen Menschheit“ entfesseln und es für ein kollektives, gigantisches Happening zusammenzuführen – eine Beschreibung, die auf den niederländischen Situationisten Constant Anton Nieuwenhuys zurückgeht, der 1964 in einem Essay den „homo ludens“ - den spielende Menschen – als Gegensatz zu der seiner Meinung nach utilitaristischen, von Moral geprägten Gesellschaft proklamiert hatte.
Ein aufrührerischer Beigeschmack
Robert Jasper Grootveld, Gründungsmitglied der „Provos“, hatte den Gedanken der spielerischen Interventionen im öffentlichen Raum bereits 1961 für sich entdeckt als er – sich selbst als „Anti-Rauch-Magier bezeichnend – damit begann, Plakate für Zigarettenmarken mit dem Wort „Krebs“ zu übermalen. Allabendlich taf er sich außerdem mit anderen Gesinnungsgenossen, um gemeinsam den „Raucherhustensong“ zu singen und Predigten über die Konsumgesellschaft und die Zigarettenindustrie zu halten. Diese Happenings verliefen friedlich, bis Grootveld eine Gruppe junger Anarchisten um Roel van Duijn zum Mitmachen einlud: Fortan bekamen die Happenings einen immer stärker aufrührerischen Beigeschmack und die Provo-Bewegung, zu Hochzeiten aus bis etwa 100 Leuten bestehend, war geboren.
Gemeinsam werden sie in der Öffentlichkeit bekannt durch Aktionen wie den „Weißen Fahrradplan“, bei dem sie hunderte, zur kostenlosen Nutzung vorgesehene, weiße Fahrräder in ganz Amsterdam verteilen und die Innenstadt autofrei machen wollen - Interventionen, mit denen sie nicht nur Öl ins Feuer der konservativen Gesellschaft gießen, sondern auch sinnvolle Änderungen im städtischen Zusammenleben zur Sprache bringen.
Über die Maßen provokant
Ihr größter Coup gelingt der Gruppe jedoch 1966 während der Hochzeit von Prinzessin Beatrix mit dem Deutschen Claus von Amsberg, einem ehemaligen Wehrmachtssoldaten. Sie proklamieren ihren „Tag der Anarchie“ und bringen die Hochzeitsprozession durch das Zünden mehrerer Rauchbomben durcheinander – die Polizei geht mit Schlagstöcken auf die Aktivisten los. Auch bei dieser Aktion wird ihr Ziel deutlich, mit gewaltfreien, aber über die Maßen provokanten Aktionen die Polizei zu gewalttätigen Reaktionen zu bringen und so die Staatsgewalt vorzuführen – und ihre Bewegung so weltweit bekannt zu machen.
Als Ulay 1968 an der tschechischen Grenze kehrtmacht und nach Amsterdam fährt, haben die „Provos“ ihre besten Tage eigentlich schon hinter sich. Offiziell hatten sie sich bereits 1967 aufgelöst: mit einem Sitz im Amsterdamer Stadtrat und tatsächlichem Mitspracherecht in der Stadtpolitik waren die Guerilla-Aktionen überflüssig, die Provos selbst zu einem Teil der bürgerlichen Gesellschaft geworden. Doch auch wenn die Gruppierung in ihrer Ursprungsform nicht mehr besteht, bleibt der provokative Geist auch 1968 mit Nachahmern lebendig: Ulay nimmt an Straßenschlachten und Auseinandersetzungen mit der Polizei teil, hält mit Sitzblockaden die Autos davon ab, weiterzufahren und dokumentiert das Geschehen um die „konstruktiven Anarchisten“ fotografisch – und legt damit gleichzeitig einen Grundstein für seine weitere Laufbahn als Künstler, der bis heute in seinen Arbeiten zu spüren ist.