Im nächsten DOUBLE FEATURE präsentiert die Künstlerin Margaret Haines ihre Videoarbeit „On Air: Purity, Corruption & Pollution“ (2024). In Anlehnung an das Leben von Johanna von Orléans und den Ideen der Okkultistin Cameron kreist ihr spekulativer SciFi-Film um die Vorstellung eines weiblichen Messias – und fokussiert sich damit auf jene Frauen, die in der patriarchal geprägten Welt einst als Hexen diffamiert wurden.

Paris, 2047. Die junge Charlot (Jette Loona Hermanis) betritt ein spärlich eingerichtetes Zimmer, in ihrer Hand ein großes Schwert und ein Wurfmesser. Auf einer Matratze direkt auf dem Boden von ihr liegt Boris (Joseph Wood), der sie mit ausdrucklosen Augen anschaut. Kurze Zeit später wird sich sein Blut quer durch den Raum verteilen und seine Kleidung durchtränken.

Wie in den großen Sagen der Menschheitsgeschichte erfüllt sich in Margaret Haines‘ Film „On Air: Purity, Corruption & Pollution“ (2024) durch jene Gewalttat eine Prophezeiung. Boris, so erfahren wir von der Off-Erzählerin, ist der mythische Zwillingsbruder Charlots, von dem sie direkt nach ihrer Geburt getrennt wurde. Bei unterschiedlichen Eltern aufgewachsen, entwickeln sich die Lebensläufe der Geschwister ohne Kenntnis voneinander diametral entgegengesetzt. Während Charlot nichts von der Prophezeiung weiß, die ihre Adoptivmutter einst über sie erhalten hat, tritt sie unwissend und über Umwege den ihr vorbestimmten Weg an.

Zwischen (Öko)Feminismus, Okkultismus und Prophetien

Anti-Atomkraft-Bewegung, finstere Bösewichte, Menschenhändlerringe, (Öko-)Feminismus, Okkultismus, Hexenverbrennungen, Prophetien, Transhumanismus und Biohacking – Margaret Haines aktuellste Arbeit entspinnt sich zu einem assoziationsreichen, bild- wie tongewaltigen SciFi-Meta-Kosmos. Der Film ist stark geprägt durch Haines‘ seit über zehn Jahren anhaltendes Interesse an Marjorie Cameron Parsons Kimmel, oft lediglich Cameron genannt. Die illustre Künstlerin, Poetin, Schauspielerin und Okkultistin ist, wenn überhaupt, einigen vermutlich als Protagonistin in Kenneth Angers „Inauguration of the Pleasure Dome“ bekannt. Bis zu dessen Tod war sie mit dem Raketenantriebsforscher Jack Parsons, seinerseits überzeugter Anhänger der okkulten Lehren Aleister Crowleys, verheiratet, und beschäftigte sich selbst intensiv mit Okkultismus und Esoterik. Deren Motive von Sexualmagie und mythischen Prophezeiungen sich dann wiederum in ihrer künstlerischen Arbeit wiederfinden lassen, die zu ihren Lebzeiten nie besondere Aufmerksamkeit erhielt und erst in jüngerer Zeit wiederentdeckt wird. (Eine zu Lebzeiten Camerons kuratierte Ausstellung wurde von der Sittenpolizei gestürmt, der Kurator festgenommen.)

Margaret Haines, On Air: Purity, Corruption & Pollution, 2024, Filmstill, © the artist
Margaret Haines, On Air: Purity, Corruption & Pollution, 2024, Filmstill, © the artist

Als Haines 2009 durch Kenneth Angers Film auf Cameron aufmerksam wird, eröffnet sich ihr eine neue Welt: „I’m offered a window into […] The Women Who Were Left in the Shadows,” schreibt die Künstlerin in einem Essay zu ihrem Buch „Love With Stranger X Coco”, in dem sie verschiedene Tropen weiblichen Identität erforscht. In „On Air: Purity, Corruption & Pollution“ tauchen auch Verweise zu der französischen Widerstandskämpferin Jeanne d’Arc auf, die ihrerseits von der katholischen Kirche als Häretikerin auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, mittlerweile dort aber als Jungfrau und Heilige verehrt wird. In Form einer spekulativen Fiktion kreiert Haines in ihrem Film so einen assoziativen Brennpunkt auf jene Frauen, die in der patriarchal geprägten Welt in die Obskurität verbannt wurden. Gleichzeitig lassen sich die mythologischen Anspielungen in der Arbeit als Versuch einer alternativen feministischen Geschichtsschreibung verstehen.

Carl Theodor Dreyers „La Passion de Jeanne d’Arc“

Während Margaret Haines gerade am Ende ihres Films explizit auf das kurze Leben der Jeanne d’Arc rekurriert, widmet sich Carl Theodor Dreyers 1928 veröffentlichte Film „La Passion de Jeanne d'Arc“ ausführlich mit deren Leidensgeschichte. Im Rahmen des hundertjährigen Krieges zwischen Frankreich und England beeinflusste die junge Frau den Kriegsverlauf entscheidend, nachdem sie zunächst den französischen Kronprinzen von ihren göttlichen Visionen über das Schicksal Frankreichs überzeugte und anschließend auch militärisch erfolgreich aktiv war, beispielsweise bei der Vertreibung der Engländer aus Orléans. Dreyers Stummfilm konzentriert sich jedoch ganz auf den Inquisitionsprozess gegen Jeanne d'Arcs (Renée Falconetti), den der Bischof von Beauvais gegen sie anstrebte. Das Skript schrieb Dreyer nach über einjähriger Recherche, es basiert auf den originalen Transkripten des Prozesses, der sich über 29 Verhöre erstreckte.

Margaret Haines, On Air: Purity, Corruption & Pollution, 2024, Filmstill, © the artist

Carl Theodor Dreyer, La Passion de Jeanne d'Arc, 1928, Image via moviebreak.de

Der Film gilt als ein Meilenstein der Filmgeschichte und beeindruckt auch heute noch durch die exquisite Kameraarbeit und besonders durch Renée Falconettis Schauspiel, in deren Gesicht sich ganze Welten abzuspielen scheinen. Dreyer verknüpft visuell und inszenatorisch die Passion Jeanne D’Arcs mit jener Jesu Christi, derweil englische Soldaten sowie die kirchlichen Geistlichen als dessen Peiniger zu erkennen sind. Nicht zuletzt deshalb wurde der Film nach seiner Veröffentlichung wohl auch in England verboten, derweil auf Drängen des französischen Erzbischofs der in Frankreich produzierte Film durch Dreyers Produktionsfirma immer wieder umgeschnitten wurde. „Nowhere is paradise“, verkündet Charlot 2047 in Margaret Haines‘ „On Air: Purity, Corruption & Pollution“, anhaltend die „exclusion of women from sacred“. Das zeigt sich bis heute: Jeanne D’Arc wurde 1920, knapp 500 Jahre nach ihrer Ermordung, heiliggesprochen.

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