Durch die tragisch frühen Tode von Legenden wie Biggie Smalls und Tupac oder aufstrebenden Superstars wie XXXTentacion und Pop Smoke musste die Hip-Hop-Community ihre ganz eigenen Trauerriten finden – wie diese aussehen können, zeigt die Ausstellung THE CULTURE.
Hip-Hop ist Musik und doch so viel mehr. Mit einer eigenen Sprache, Mode und Ästhetik fügt sich Hip-Hop zu einer einzigartigen (gegen-)kulturellen Bewegung zusammen. Als solche konstruiert die Hip-Hop-Kultur ihr ganz eigenes Verständnis vom Leben, Tod und Leben nach dem Tod. Geleitet scheint die Philosophie des Hip-Hops dabei stets von einem Versprechen, das US-Rapper Kendrick Lamar in „Sing About Me, I'm Dying Of Thirst“ schon 2012 erbat: „When the lights shut off and it's my turn/ To settle down, my main concern/ Promise that you will sing about me.”
Denn Hip-Hop ist seit jeher die Melodie, die vom Leben in den Schwarzen und Latinx Communities der USA singt, in denen er vor rund 50 Jahren entstanden ist. Rapper*innen und Künstler*innen in den visuellen Medien stimmen immer wieder Lieder an über den Alltag in ihren Vierteln amerikanischer Großstädte, das fast life, das es mit all seinen Vorzügen und Gefahren zu leben gilt, oder die Toten, die Gang- und Polizeigewalt immer wieder fordern. Musikalisch untermalt werden diese Erzählungen dann, wie Khalil Josephs Kurzfilm „m.A.A.d“ von 2014 eindrucksvoll zeigt, beispielsweise von dem belebten Brummen einer ausgelassenen Blockparty, den therapeutischen Klängen in Friseursalons und dem ohrenbetäubenden Hallen von Pistolenschüssen.
Leben und Tod in Compton
Joseph beschreibt in all diesen rauschenden Bildern das kalifornische Compton, in dem Kendrick Lamar aufwuchs und dem der Rapper sein zweites Album „good kid, m.A.A.d city“ widmete. Auf diesem stellt er den Vorort von Los Angeles als ein „orphanage we call a ghetto“ aus verstrickten Gemeinschaftsgebilden, begrenzten Möglichkeiten und tragischen Schattenseiten vor. Doch während wir auf Lamars Album der Heldenreise seines Protagonisten folgen dürfen, lässt sich Joseph durch diese dazu inspirieren, Lamars ‚irrer‘ Heimatstadt selbst eine Stimme zu geben.
So entsteht mit „m.A.A.d.“ eine Ode an all das Leben, das in Compton mit stark tätowierten Muskelmännern die Straßen entlang patrouilliert, in Corner Stores zwischen prall gefüllten Regalen gestapelt ist oder mit den Kindern auf dem heißen Asphalt des Schwimmbads trocknet. Zum Leben gehört in Compton – wie überall sonst auch – der Tod, der hier aus geöffneten Särgen in Schaufenstern lugt oder sich in der gespenstischen Ruhe des Leichenhauses ausbreitet. Joseph lässt all diese Eindrücke auf den zwei Bildschirmen der Videoarbeit mit einer Leichtigkeit umhertanzen und komponiert Leben und Tod als unterschiedliche Sätze ein und derselben Symphonie. Oder verschiedene bars zum selben beat.
Der Tod nimmt im Hip-Hop einen besonderen Stellenwert ein – nicht zuletzt, weil strukturelle Ungleichheit, Armut und Rassismus bis heute dazu führen, dass junge Schwarze Menschen elf Mal wahrscheinlicher durch Waffengewalt sterben als ihre weißen Mitbürger*innen. Hip-Hop-Legenden wie Biggie Smalls und Tupac oder aufstrebende Superstars wie XXXTentacion und Pop Smoke sind dabei nur die berühmtesten Namen, für die die Hip-Hop-Szene ihre ganz eigenen Trauerriten finden musste. Trauern, das bedeutet im Hip-Hop, seinen Toten Denkmäler zu errichten, ihre Namen zu ehren und sie durch Erinnerung am Leben zu halten.
Während im Rap beispielsweise jeder shoutout eine Art Spoken-Word-Ehrenmal errichtet, formt der Künstler, Poet und Aktivist Roberto Lugo 2019 mit „Street Shrine 1: A Notorious Story“ ein 1,37 Meter hohes Mahnmal aus Keramik. Angelehnt an die traditionellen Formen chinesischer Töpferkunst und westlicher Bestattungsurnen, zeigt das überlebensgroße Gefäß das Portrait Biggie Smalls aka Notorious B.I.G.s. Das schlichte schwarz-weiß Portrait des Rappers umringt dabei eine bunt zusammengewürfelte Ornamentik, die von der klassischen Antike, ostasiatischer Porzellanmalerei, dem Luxuslabel Versace und den durch B.I.G. berühmt gewordenen Coogi-Sweatern inspiriert ist.
Klagelied und Hymnus
Lugo remixt traditionelles Kunsthandwerk und Designgeschichte mit Graffiti, Popkultur und Rapmusik zu einem neuen Klang, der eine Brücke zwischen der Jugendkultur in US-amerikanischen Vorstädten wie Compton und den oft weit davon entfernt scheinenden Museumsgänger*innen in etablierten Kunstinstitutionen baut. Dieses breitgefächerte Publikum will der Künstler aus Philadelphia in „Street Shrine 1“ mit dem Tod und der „culture of gun violence“ konfrontieren, in der auch er groß wurde. Das Werk ist dabei Mahnmal und Denkmal zugleich – Klagelied und Hymnus. Denn über die zeitgenössische Betrachtung hinaus soll Lugos „Street Shrine“ ebendiese Geschichten, Erfahrungen und Held*innen Schwarzer und Brauner Gemeinschaften für die Nachwelt festhalten, die die Geschichtsschreibung des Mainstreams allzu oft vergisst. „Ceramics last thousands of years“, erklärt der Künstler im Interview mit AD, „someday these pieces could tell the history of my community.” Lugos Porzellanschrein erhebt Biggie Smalls und die Kultur, die ihn hervorgebracht hat und bis heute zelebriert, also zum Geschichtswürdigen und verewigt sie für eine weitentfernte Zukunft.
Dieses Verständnis von Unsterblichkeit durch Erinnerung bekräftigt auch Fahamu Pecou in „Real Negus Don’t Die: Thug“. Auf einem großformatigen, blütenweißen Papier zeigt der Künstler hier ein unkonventionelles Selbstportrait. Denn statt seines Kopfes, der sogar durch den oberen Bildrand abgeschnitten wird, macht der Künstler seinen Torso zum Mittelpunkt der Komposition. Das weiße Shirt, das ihn kleidet, wird so zu einer zweiten Bildfläche innerhalb der Bildfläche. In lasierenden Grautönen portraitiert Pecou darauf Tupac Shakur, der uns mit selbstbewusster Haltung und lebhaft blitzenden Augen entgegenblickt. Durch diese Inszenierung macht sich Pecou zu einem Instrument, das ein Loblied auf die Rap-Ikone in Dauerschleife spielt und so als „walking memorial“ funktioniert.
WALKING MEMORIALS UND R.I.P-SHIRTS
Pecou verweist mit dieser Darstellung auf den afroamerikanischen Trauerritus der R.I.P-Shirt, der auch schnell Eingang in die Hip-Hop-Kultur gefunden hat. Dr. Kami Fletcher beschreibt Shirts mit den Fotos verstorbener Liebsten in dem Essay „Fresh to Death“ als wichtige ritualisierte Trauerkleidung mit unzähligen Funktionen für Schwarze amerikanische Gemeinschaften. Ein R.I.P.-Shirt signalisiere der Community, dass seine Träger*innen trauern und biete ihr gleichzeitig die Möglichkeit, diese Trauer zu lindern, indem man sein Beileid ausdrückt, über die*den Verstorbene*n ins Gespräch kommt und Erinnerungen teilt. Auch würden die Shirts die große Leerstelle ein wenig füllen, die nach dem Tod einer geliebten Person zurückbleibe, da man durch das Tragen bildlich und wörtlich ihre Konturen ausfülle und ihr Andenken wie eine zweite Haut trage.
Für gewöhnlich werden die Shirts zum ersten Mal beim repast, der ersten gemeinsamen Mahlzeit nach der Trauerfeier, getragen und danach immer wieder zu posthumen Geburtstagen oder sogar im Alltag angezogen. Ähnlich wie Roberto Lugos „Street Shrine" versichern sich die Hinterblieben mit jedem Tragen eines öffentlichen Gedenkens für diejenigen, die die Dominanzgesellschaft selten durch Bronzestatuen oder Straßennamen unsterblich macht. Dass diese gemeinschaftliche Erinnerung alles ist, was es braucht, um seinen Liebsten ein Nachleben zu schenken, bekräftigt auch Pecou auf seinem Trauershirt. Dieses ziert nämlich der leuchtend rote Schriftzug: „Real Negus Don’t Die.“ Negus, die äthiopische Bezeichnung für Könige oder Kaiser, und der Heiligenschein, der sich in einer zaghaften Linie hinter Tupac andeutet, betonen schließlich noch einmal, was sich durch die ganze Lebenshaltung des Hip-Hops zieht: Erinnern ist ein Versprechen, über die Verstorbenen zu singen. Die Arbeiten von Khalil Joseph, Robert Lugo und Fahamu Pecou sind dabei nur einige Beispiele dafür, dass die Lieder, die die Hip-Hop-Kultur dabei produziert, keine traurigen Arien sind. Viel mehr sind es Songs, die so laut, so stolz und so for the culture sind wie die Leben, die sie verewigen.
THE CULTURE. HIP-HOP UND ZEITGENÖSSISCHE KUNST IM 21. JAHRHUNDERT
29. FEBRUAR – 26. MAI 2024