Die Kunstwelt pflegt seit langem eine (Liebes)Beziehung zum Auto – sei es durch die Darstellung von Geschwindigkeit oder kritische Reflexion über Konsum. Wir werfen einen Blick auf zehn Werke, die diese Faszination eindrucksvoll widerspiegeln. Angefangen mit Leonardo da Vinci bis hin zu SELMA SELMAN.

1. Eine Vorschau auf technische Innovation: Leonardo da Vinci, „Codex Atlanticus“ (1503/04)

In seinem „Codex Atlanticus“ zeigt Leonardo da Vinci eine seiner bemerkenswertesten Skizzen: ein frühes Konzept des Autos. Obwohl der Entwurf zu Lebzeiten nie realisiert wurde und möglicherweise eher als Theaterrequisite gedacht war, hebt das Konzept eindrucksvoll da Vincis unerschöpflichen Erfindergeist und seine ständige Suche nach technologischen Innovationen hervor, die weit über seine Zeit hinausreichten.

Leonardo da Vinci, Codex Atlanticus, 1503/04, Image via openculture.com

2. Ein fahrendes Kunstwerk: Janis Joplin, „Psychedelic Porsche“ (1965)

In einem ihrer größten Hits sang Janis Joplin noch über den Wunsch nach einem Mercedes: „Oh Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz, my friends all drive Porsche“. Und das, obwohl sie in Wahrheit längst selber einen Porsche fuhr – und dieser weit mehr als „nur“ ein Auto war. Ihr „Psychedelic Porsche" ist ein rollendes Kunstwerk, das mit den typischen psychedelischen Mustern und Symbolen der 1960er-Jahre bemalt ist. Damit verkörpert er den Geist der Freiheit und der Gegenkultur und zeigt eindrucksvoll, wie ein Fahrzeug zur Leinwand werden kann. Als Joplin den Porsche 1968 erwarb, war er ursprünglich schlicht weiß lackiert. Ihr Freund und Roadie Dave Richards verwandelte ihn dann in ein buntes Kunstwerk. Nach ihrem Tod ging das Fahrzeug an ihre Geschwister über, die es später restaurieren ließen und schließlich bei einer Auktion für 1,76 Millionen Dollar versteigerten.

Janis Joplin, Psychedelic Porsche, 1965, Image via pinterest.de

3. Glanz und Abgrund: Andy Warhol, „Car Crash“-Serie (1960er-Jahre) und „Cars“ (1986)

Andy Warhol verewigte 1986 mit seinen „Cars“ einige der ikonischsten Autos der Geschichte. Die Siebdrucke von Mercedes-Modellen feiern nicht nur die Schönheit der Maschinen, sondern auch ihre Rolle als Statussymbole einer Konsumgesellschaft.

Einen krassen Kontrast bildet Warhols „Car Crash“-Serie aus den 1960er-Jahren, die sich mit der Schnittstelle zwischen persönlicher Tragödie und Massenmedien beschäftigt. In diesem Werkzyklus verwendet Warhol Fotos aus Boulevardzeitungen und Polizeiarchiven, um den puren Horror echter Unfälle einzufangen, und zeigt damit seine Faszination für die Kommerzialisierung von intimen, beunruhigenden Ereignissen in einer medienüberfluteten Gesellschaft.

Andy Warhol, Cars, 1986 für die Serie „Cars“ von Daimler entstanden: Andy Warhol, Mercedes C111 (1970) Foto: Daimler, image via stuttgarter-nachrichten.de

Andy Warhol, Car Crash, ca. 1978, image via mutualart.com

4. Göttliche Verschmelzung: Thomas Bayrle, „Madonna Mercedes“ (1989)

In Thomas Bayrles Werk „Madonna Mercedes" verschmilzt die traditionelle Madonnenfigur mit der fotografischen Darstellung von Autos. Bayrle kombiniert in dieser Collage Elemente der orthodoxen Ikonografie mit Symbolen der Popkultur. Diese unkonventionelle Verbindung von Religion und Konsumgesellschaft betont den künstlerischen Gegensatz zwischen spiritueller Ikonografie und moderner Massenproduktion, indem sie beide zu einem einheitlichen Bild vereint.

Thomas Bayrle, Madonna Mercedes, 1989, image via sammlung.staedelmuseum.de

5. Radikal transformiert: Gabriel Orozco, „La DS“ (1993)

Mit „La DS“ hinterfragt Gabriel Orozco traditionelle Vorstellungen von Design und Funktionalität des ikonischen Citroën DS: Er sägte das Auto längs in drei Teile, entfernte den mittleren Part und setzte die verbliebenen Teile wieder zusammen. Das Lenkrad befindet sich nun exakt in der Mitte, und der übrige Raum bietet Platz für nur eine Person. Diese drastische Umgestaltung ist ein spielerischer und dennoch tiefgründiger Kommentar zur Perfektion und Symmetrie der Automobilästhetik. Orozcos technische Manipulation verwandelt „La DS" nicht nur physisch, sondern auch metaphorisch in ein Symbol für überspitzte Geschwindigkeit, Stromlinienform und Eleganz.

Gabriel Orozco, La DS, 1993, image via moma.org

Erwin Wurm, Fat Car, 2001, image via pinterest.de

6. Wenn Autos zu Ballons werden: Erwin Wurm, „Fat car“ (2001)

Erwin Wurms „Fat Car" stellt unsere Wahrnehmung von Autos auf den Kopf. Die übergroßen Fahrzeuge scheinen direkt aus einem surrealen Traum entsprungen zu sein, mit ihren rundlichen und voluminösen Formen, die an aufgeblasene Ballons erinnern. Mit diesen übertriebenen Proportionen nimmt Wurm nicht nur unsere Faszination für das Auto aufs Korn, sondern kritisiert auch unser Wertesystem: Das einst schlanke, schnittige Auto ist durch Wurms Umgestaltung pummelig und behäbig – und entspricht damit überhaupt nicht mehr den Idealen unserer Zeit. Mit dem „Fat Car“ hinterfragt Wurm nicht nur unseren Umgang mit Mobilität und Konsum, sondern auch den Schlankheits- und Schönheitswahn der 2000er-Jahre.

7. Was haben ein Trabi und ein Chevrolet gemeinsam? Liz Cohen, „Trabantimino“ (2002-2010)

Liz Cohen hat die Gemeinsamkeiten zwischen einem Trabant und einem Chevrolet auf künstlerische Weise erforscht, indem sie die beiden Fahrzeuge zu einem Kunstwerk verschmolzen hat: Der „Trabantimino“ war geboren. Nach acht Jahren Arbeit an der Karosserie und einer bemerkenswerten Reise aus der ehemaligen DDR nach Oakland, Scottsdale und Detroit ist diese kinetische Skulptur entstanden, die die Bescheidenheit des Trabants mit der Imposanz des Chevrolet El Camino vereint. Cohen, ursprünglich Fotografin, bewies sich hier als versierte Mechanikerin und zeigt mit dem „Trabantimino“, wie Kunst und Autobau zu einer einzigartigen Fusion verschmelzen können, die kulturelle und historische Gegensätze überbrückt.

Liz Cohen, Trabantimino, 2002-2010, image via salon94.com

Chris Burden, Metropolis II, 2011, image via lacma.com

8. Adrenalin pur: Chris Burden, „Metropolis II“ (2011)

„Metropolis II“ ist wie ein futuristisches Märchenland für Autoenthusiast*innen. Die gigantische kinetische Skulptur lässt Miniaturautos mit bis zu 240 Meilen pro Stunde durch ein labyrinthartiges Netzwerk aus Straßen und Schienen sausen. Mit 18 Straßen und einer sechsspurigen Autobahn ist hier alles auf Action und Geschwindigkeit ausgelegt. Burden fängt die hektische Energie einer modernen Großstadt perfekt ein – mit einem ständigen Strom von Zügen und rasenden Spielzeugautos, die den Puls der urbanen Dynamik des 21. Jahrhunderts widerspiegeln.

9. Metaphern der Mobilität: Asta Gröting, „The travelling carriage of Goethe, the Mercedes of Adenauer and my smart“ (2012)

Asta Grötings Installation „The travelling carriage of Goethe, the Mercedes of Adenauer and my smart“ präsentiert die Unterböden von drei Fahrzeugen in direktem Vergleich: Goethes Reisekutsche, Adenauers Mercedes und Grötings eigener Smart. Die lebensgroßen Abgüsse erinnern an gestrandete, auf dem Rücken liegende Tiere. Durch diese Darstellung veranschaulicht Gröting die Entwicklung der deutschen (Automobil-)Geschichte: von den romantischen Reisen Goethes über die Pracht des Adenauer-Mercedes bis hin zum praktischen Stadtflitzer Smart.

Die in Polyurethan gegossenen Formen vermitteln, wie technologischer Fortschritt das Erscheinungsbild und die Bedeutung unserer Fahrzeuge beeinflusst – und letztlich unser Leben prägt.

 

Asta Gröting, The travelling carriage of Goethe, the Mercedes of Adenauer and my smart, 2021, image via astagroeting.de

Selma Selman. Flowers of Life, Installationsansicht, Platinum (Axe), 2021, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2024, Foto: Norbert Miguletz
10. Einstmals Auto, heute Axt: Selma Selman, „Platinum (Axe)“ (2021)

Hergestellt aus 33 Gramm Platin, das aus Katalysatoren ausgemusterter Fahrzeuge gewonnen wurde, verkörpert dieses Werk die Genialität der Künstlerin Selma Selman. In Zusammenarbeit mit männlichen Familienmitgliedern und ihrer Gemeinschaft bringt Selman Autowracks in den Ausstellungsraum, indem sie mit Äxten und Winkelschleifern wertvolle Metalle wie Platin, Palladium und Rhodium extrahiert. In einem akribischen Prozess wird im Anschluss das Platin aus den gesammelten Materialien isoliert. Das Ergebnis? Eine silberglänzende Axt, die nun hinter Glas als Ausstellungsstück präsentiert wird. Für Selman ist diese Axt sowohl das Werkzeug in ihrer künstlerischen Praxis und im Familienhandel mit Altmetallen als auch ihr künstlerisches Werk, das die Wahrnehmung von Wert und Nachhaltigkeit herausfordert.

SELMA SELMAN. FLOWERS OF LIFE

20. JUNI – 15. SEPTEMBER 2024

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