Ein hartnäckiges Vorurteil gegenüber Comics ist bis heute, dass er nur für Kinder und Ungebildete taugt. Zu den Lesern von George Herrimans Comics zählten allerdings der amerikanische Präsident Woodrow Wilson und Pablo Picasso.
Herriman schuf den wohl verrücktesten und gleichzeitig künstlerisch herausragendsten Comics aller Zeiten: „Krazy Kat“. Und auch sein Leben war alles andere als gewöhnlich. George Herriman wurde 1880 in New Orleans geboren. Seine Vorfahren kamen von den französischen Karibik-Kolonien, er hatte braune Haut und krauses Haar. Um dem Rassismus zu entgehen und bessere berufliche Perspektiven zu haben, zog die Familie 1890 nach Los Angeles, wo der Vater als Schneider und Bäcker arbeitete.
George Herriman brachte sich das Zeichnen selbst bei, im Jahr 1897 gelang es ihm, Zeichnungen an die Zeitung „Los Angeles Herald“ zu verkaufen und eine Assistentenstelle zu ergattern. Seine Liebe zum Comic war allerdings so groß, dass er mit 20 Jahren das Abenteuer auf sich nahm, als blinder Passagier das Land zu durchqueren und ins Zentrum der Zeitungs- und somit auch der Comic-Welt zu reisen: New York.
Herriman hielt seine Herkunft geheim
In New York schlug sich Herriman als Plakatmaler und Verkäufe von Karikaturen durch. Doch schon nach zwei Jahren durfte er drei Comic-Strips für den Verleger Pulitzer entwerfen – obwohl dunkelhäutigen Menschen zu dieser Zeit eine Karriere als Zeichner im Verlagswesen eigentlich verwehrt war. Herriman hatte seine Herkunft geheim gehalten, seine Haare unter einem Hut versteckt und gerüchteweise hielt man ihn wegen seiner Hautfarbe eher für einen Franzosen oder Türken.
Herrimans Zeichnungen kamen beim Publikum gut an, er kreierte weitere Serien für verschiedene Zeitungen bis er schließlich zum Zeitungsimperium von Zeitungs-Zar William Randolph Hearst wechselte. Ab 1910 entwarf er für Hearst den Tagesstreifen „The Family Upstairs“. Erstmals wurde darin die soziale Struktur eines Mietshauses in der Großstadt zum Thema eines Comics. Hinzu kam Herrimans innovativer Dreh: die Hauptprotagonisten, die Familie von „oben“, bekam man nie zu Gesicht.
Vorbild für jegliche Art von Kleintier-Slapstick
Publikumslieblinge wurden zwei Randfiguren, eine Maus und eine Katze. Daraus entstand die Idee für einen rein „tierischen“ Comic. Am 28. Oktober 1913 erschien die erste Folge des Tagesstreifens „Krazy Kat“ und dies von nun an Tag für Tag bis zu Herrimans Tod, 1944. „Krazy Kat“ wurde das Vorbild für jegliche Art von Kleintier-Slapstick, von „Mickey Mouse“ bis zu „Tom und Jerry“.
Die Grundhandlung in „Krazy Kat“ ist in jeder Folge die gleiche: Die Katze, „Krazy Kat“ liebt die Maus, „Ignatz Mouse“, diese jedoch hasst die Katze und ist deswegen immer auf der Suche nach einem Ziegelstein, den sie der Katze an den Kopf wirft. Der Hund „Officer Pupp“, ein Polizist, liebt wiederum die Katze. Da seine Liebe nicht erwidert wird, versucht er stets zumindest den Ziegelstein-Wurf zu verhindern oder die Maus durch Haft aus dem Verkehr zu ziehen.
Die Wüste im Westen
Herriman erzählt mit dieser Dreiecksgeschichte in jeder Folge dasselbe unausweichliche Drama. Das Existenzielle dieser Handlung wird von der Landschaft, in der sie spielt, untermalt: eine weite karge Wüstenlandschaft, die eine überzeitliche Präsenz ausstrahlt. Herriman zeichnete hier erkennbar die Wüstengegend im Westen der USA – Enchanted Mesa, Monument Valley, Rainbow Bridge, Elephant Feet. Eine Gegend, die in den 1910er-Jahren noch schwer zu erreichen und kaum bekannt war, die Herriman aber mehrmals im Jahr bereiste.
Der Tagesstreifen „Krazy Kat“ war in der Bevölkerung äußerst beliebt und ein großer kommerzieller Erfolg, so dass ab 1916 eine Sonntagsseite hinzukam. Eine ganze Seite zu bespielen führte bei Herriman zu einem ungeahnten Kreativitätsschub. Die ersten Entwürfe wurden an weitere mögliche Lizenznehmer versandt, aber keine Zeitung zeigte Interesse. Was Herriman gezeichnet hatte, war zu innovativ und zu unkonventionell.
Zeichner auf Lebenszeit
Nun geschah etwas Unerwartetes: der Verleger und Medien-Tycoon Hearst verschob „Krazy Kat“ aus dem Comic-Teil auf die erste Seite des Kulturteils und zwangs-verordnete all seinen Redaktionen das Drucken des Comics. Außerdem offerierte er George Herriman eine Festanstellung auf Lebenszeit. Keinem anderen Comic-Zeichner hatte Hearst dies zuvor angeboten. Was hatte Hearst von „Krazy Kat“ so überzeugt? Was war das Außergewöhnliche, was die Leser entweder ratlos oder voller Begeisterung zurück ließ?
Herriman spielte in „Krazy Kat“ mit allen Ebenen, die der Comic ihm bot. Er nutze mehrere Textebenen – den Dialog in Sprechblasen, einen Erzähltext und dazu noch assoziative Sprachfragmente. Auf der Bildebene stellte er das übliche Erzählen über Panels in Frage – verzichtete ganz auf Panels oder schob ein nicht zu der Geschichte gehörendes Zwischenbild ein. Er erzählte Geschichten rückwärts, so dass das vermeintlich erste Bild bereits das Ende zeigt. Die Erzähllogik wurde durch das Ignorieren jeder nachvollziehbaren Chronologie absurd bis dadaistisch.
Das Gesamtkunstwerk eines Autodidakten
Auch das Zusammenspiel von Text- und Bildebene löste er teilweise auf – im Hintergrund wechseln sich Tag und Nacht bei einer nur ein paar Sekunden dauernden Handlung ab. Kurz gesagt: Herriman ließ alle formalen Grenzen hinter sich. Dabei spielte das Ausnahmetalent mit mehreren Sprachen und geizte nicht mit Anspielungen auf die griechische Mythologie oder englische Literatur. Dadurch gelang es ihm, einem Autodidakten aus einfachen Verhältnissen, ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, dass auf knapp 1400 Sonntagsseiten Intellektuelle von F. Scott Fitzgerald bis Picasso faszinierte.