Im Hamburger Bahnhof in Berlin wird eine Kirchner-Ausstellung durch zeitgenössischen Positionen ergänzt: Rosa Barba zeigt einen poetischen Film, der das Museumsdepot zum Leben erweckt.
Was machen die Skulpturen und Malereien im Museumsdepot eigentlich, wenn niemand zusieht? Mit ziemlicher Sicherheit: Nichts. Und doch wirken die Plastiken und Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, die Rosa Barba in ihrem Kurzfilm "The Hidden Conference: About the Discontinuous History of Things We See and Don’t See" von 2010 zeigt, erstaunlich lebendig.
In der „Neuen Galerie“ im Hamburger Bahnhof werden während des Umbaus der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum wechselnde Schwerpunkte aus der Sammlung gezeigt – immer mit einem neuartigen, teilweise ungewöhnlichen Blick auf die „klassische Kunst“. Mit dem Film von Rosa Barba und Gemälden von Rudolf Stingel, die dieser nach fotografischen Vorlagen Kirchners geschaffen hat, hat sich das Museum nun zwei zeitgenössische Positionen in die Ausstellung geholt, die eine neue und erfrischende Blickweise auf die schon oft ausgestellten Werke Kirchners geben.
Scheinbar willkürlich doch einem exakten System folgend
"An einem unspezifischen Zeitpunkt (in der Vergangenheit oder Zukunft), beobachtet ein Zeuge das stille Zusammentreffen von Kunstwerken verschiedener Epochen. Der Grund für dieses Zusammentreffen ist ihm nicht bekannt, aber er hat den Eindruck, dass es mit einem gewissen Grad der Dringlichkeit durchgeführt wird, obwohl es schon seit Jahren, sogar Jahrzehnten läuft", heißt es im kurzen Vorspann des knapp 14 Minuten dauernden Videos, welches derzeit im Berliner Museum Hamburger Bahnhof zu sehen und im Depot der Neuen Nationalgalerie Berlin gedreht wurde. Es ist der erste von drei Filmen dieser Art, den Rosa Barba 2010 drehte. Weitere Aufnahmen führten sie in das Capitoline Museum und die Tate Modern in London.
Mit langsamen, ruhigen Kamerabewegungen führt Rosa Barba den Betrachter in kurzen Momentaufnahmen durch das Berliner Museumsdepot. Frauenakte und Büsten stehen und liegen Seite an Seite mit Malereien und Zeichnungen an herausziehbaren Gitterwänden, scheinbar willkürlich verstaut und doch einem exakten System folgend. Die Skulpturen sind leblos und wirken gleichzeitig lebendig, sie sind vereint in ihrem Warten: Darauf, dass sie aus ihrer luftdichten Isolierung für eine Ausstellung ans Licht geholt werden, dass sich jemand eingehend mit ihnen beschäftigt und sie anschaut. Manche schauen scheinbar in freudiger Erwartung in die Kamera zurück, andere wenden sich ab, möchten nicht näher betrachtet werden.
Museen sind Tempel
Durch ihre sanften Schnittfolgen und den gekonnten Einsatz der Kamera und des 35mm Filmmaterials stellt Rosa Barba einen zeitlosen Zusammenhang zwischen den einzelnen Werken Kirchners her - ein Zusammenhang, der vielleicht vom Künstler niemals gedacht wurde - und lädt sie mit Bedeutung auf. Was haben sich der schwarze Frauenakt und der Kopf, der an eine afrikanische Maske erinnert, zu sagen? Und was erzählen die Blicke des Skulpturen-Ehepaares, welches dem Zuschauer scheinbar sehnsüchtig direkt in die Augen schaut?
Skulpturen und Gemälde sind nichts weiter als bearbeiteter Stein und Farbe auf Leinwand, totes Material ohne Seele - doch sind wir als Betrachter gut geschult darin, Kunstwerke eben nicht als reine Summe einzelner Bestandteile zu sehen, sondern als etwas Lebendiges. Museen sind Tempel, in denen wir Gegenstände mit Bedeutung aufladen - und so gelingt es Rosa Barba leicht, den schweigenden, kalten Skulpturen Leben einzuhauchen und die Vorstellungskraft des Zuschauers anzuregen. Hat der Frauenakt nicht gerade sogar gezwinkert? Und was passiert eigentlich im Depot, wenn die Kamera abgeschaltet wird und das Licht erlischt?