Auf den Spuren der Ausstellung "Kunst für Alle" durch Wien: das SCHIRN MAGAZIN besucht jene Orte, in denen vor über 100 Jahren der Farbholzschnitt neu erfunden wurde.
Mitte September glüht die Stadt Wien noch nach. Die Hitze steht in den Straßen, die Menschen sitzen träge und zufrieden in Eiscafés. Sie genießen die leichten Stoffe und die Bräune auf der Haut. Die Sonne knallt auf den Asphalt, die Schienen der Straßenbahnen quietschen gequält. Entweder man fährt zur Alten Donau und badet im Fluss mitten in der Stadt. Oder man flüchtet sich in die klimatisierten Räume der Kultur, wie zum Beispiel die Secession.
Das Gebäude der Secession in der Friedrichstraße 12 erkennt man schon von weitem, egal wie groß der urbane Trubel ist. Die goldene Kuppel blitzt in der Sonne auf. Doch erst aus nächster Nähe erkennt man die 3000 vergoldeten, eisernen Lorbeerblätter aus denen sie gefertigt ist. Die Kuppel thront auf dem 1898 errichteten Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst. Der Bau erstrahlt in erhabenem Weiß und beherbergt unter seinem Glasdach den Hauptraum – einen White Cube der ersten Stunde. Auf der Fassade ist das Motto „Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit“ angebracht. Getreu diesem findet der Besucher hier ein international ausgerichtetes Programm, das in Einzel- und Themenausstellungen aktuelle künstlerische Ausdrucksformen aufgreift. Gegründet wurde sie 1897 von einer Gruppe von Künstlern um Gustav Klimt, die sich vom konservativen Künstlerhaus abgespalten hatte. Es begann eine neue Ära für die Kunst: Die perfekte Plattform um dem Holzschnitt genügend Raum zu geben. Hier konnte er sich entfalten und in einer bekannten Institution präsentiert werden.
Doch für den Farbholzschnitt war die von der Secession herausgegebene Vereinszeitschrift „Ver Sacrum“ (Heiliger Frühling) genauso wichtig. Darin wurden insgesamt 216 Holzschnitte gezeigt, die meisten in Farbe. Auch heute noch findet man Ausgaben der Zeitschrift in der Secession - allerdings hinter Glas. In Vitrinen werden einige der Ausgaben ausgestellt. Interessiert man sich ausführlicher für sie, kann man sie sich auch auf den heimischen Bildschirm holen.
Jede noch so exotische Zutat
Im Untergeschoss findet man das wonach die meisten Touristen hier suchen: den Beethovenfries von Gustav Klimt. Den schuf er 1902 eigens für eine Gruppenausstellung, die Beethoven gewidmet war. Das Beethovenfries ist mehr als 34 Meter lang und hat die 9. Symphonie Beethovens zum Thema. Wegen ihrer Erotik und Drastik löste sie damals nicht nur Bewunderung, sondern auch heftige Kritik aus. Die „Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession“ ist heute weltweit das älteste unabhängige, ausdrücklich der zeitgenössischen Kunst gewidmete Ausstellungshaus.
Nur sechzig Meter weiter befindet sich der Naschmarkt, auf dem man sich einmal um die Welt essen kann. Jede noch so exotische Zutat findet man hier. Man darf allerdings auch an einem der zahlreichen Tische verweilen, das Treiben auf sich wirken lassen und einen Wiener Sturm (neuer, noch in Gärung befindlicher Wein) probieren.
Lustwandelt man die Operngasse hinunter, kann man sich am Anblick prächtiger Fassaden und historistischer Häuser aus der Zeit um 1870 erfreuen. Auf dem Weg zur Albertina kommt man an der Staatsoper vorbei. Auf einem Würstelstand hockt ein großer, grüner Hase – schon ahnt der Besucher, was ihn in der Albertina erwartet. Eine elektrische Rolltreppe trägt ihn hinauf zu dem klassizistischen Bau. Über ihm ein Flugdach, das weit in die Stadt hineinragt. Den Eingangsbereich gestaltete der Architekt Hans Hollein. Die Touristen sind von der Hitze ermattet und von den Eindrücken erschlagen und genießen die Fahrt mit der Rolltreppe. In der klimatisierten Rotunde angekommen, leben sie wieder auf.
Der Name der Albertina geht auf Maria Theresias Schwiegersohn Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738-1822) zurück, der die Sammlung begründete, die mittlerweile weltberühmt ist. Sie beherbergt zahlreiche Kollektionen moderner, grafischer und zeitgenössischer Kunst sowie eine große Fotografie- und Architektursammlung. Und viele große Meister der Kunstgeschichte: von Dürer und Michelangelo bis zu Rubens und Rembrandt, von Klimt, Schiele und Monet bis zu Picasso, Warhol und Kiefer. Die grafische Sammlung der Albertina gehört zu den größten und wertvollsten der Welt und ist auch der Hauptleihgeber für die Ausstellung „Kunst für Alle“ – was wenig verwundert.
Von der Albertina sind es gut zwanzig Minuten zu Fuß zur „Angewandten“. Lieber begibt man sich hinab in die Tiefen der U-Bahn, die fährt hier rasanter als in Frankfurt. Fragt man nach der Wiener Kunstgewerbeschule, weiß niemand was man meint. Selbst nicht die Dame im Museum Angewandte Kunst. Fragt man nach der Universität für angewandte Kunst wird man direkt auf das nächste Gebäude verwiesen - hier wurden und werden also junge Kunst- und Designschaffende geprägt, bereits seit 1868. Doch nicht an Sonntagen. Wie zu erwarten, sind die Flure leergefegt. Es sitzt nur ein einsamer Mann an der Information. „Die Bibliothek hat heute geschlossen“, sagt er. Im ersten Stock findet sich nur ein einsames Grüppchen von Menschen in einem Seminarraum. Einen Stuhlkreis, Kaffee und Kuchen gibt es da. Ein Blockseminar? Eine Tagung? Auf einer Wand im Treppenhaus steht in roter Farbe „Gustav Klimt“ geschrieben – die großen Meister sind auch hier noch präsent. Viele der Künstler, die in „Kunst für Alle“ zu sehen sind, haben hier studiert – auch die Künstlerinnen. Denn Frauen waren hier von Anfang an zum Studium zugelassen. Gegründet wurde die Angewandte 1867 und war eine der wichtigsten künstlerischen Ausbildungsstätten der Donaumonarchie. Sie förderte ein reformiertes Kunstgewerbe und war wegen ihrer Vorreiterrolle besonders beliebt. Neben der Secession etablierte sie sich als zweites Zentrum der Wiener Moderne. Hier lehrte zum Beispiel Koloman Moser, der für die Zeitschrift „Ver Sacrum“ rund 140 Illustrationen schuf.
Von der Angewandten ist es zu Fuß viel zu weit zum Schloss Schönbrunn. Also wendet man sich wieder vertrauensvoll an das öffentliche Verkehrsnetz und wartet nicht lange bis die nächste Bahn kommt. Das barocke Schloss war einst Residenzschloss der Habsburger. Es ist Weltkulturerbe der Unesco und ist seit 1960 eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Wiens. Das merkt man besonders an den Massen von Touristen, die sich hier tummeln. Wohnräume von Kaiser Franz Joseph I. und seiner Gemahlin Elisabeth kann man in originalgetreuer Ausstattung im westlichen Trakt des Schlosses besuchen. Von den insgesamt 307 Zimmern des Schlosses stehen 40 zur Besichtigung offen. Anhand der Ausstattungen lassen sich Lebensstile, Atmosphäre und Weltanschauung der Kaiserzeit ablesen.
Die Löwen dösen
Ob die Künstlerin Fanny Zakucka im Jahr 1903 auch schon die Räumlichkeiten besichtigen konnte? Zumindest konnte sie durch die Gartenanlage flanieren. Die ist 1,5 Quadratkilometer groß und die barocke Originalausstattung aus dem 18. Jahrhundert ist erhalten. Kaiserin Maria Theresia machte die Anlage einst zum Mittelpunkt höfischen und politischen Lebens. Die hohen Hecken und Brunnen finden sich in manch einem Holzschnitt in "Kunst für Alle" wieder. Man kann sich sogar in einem Irrgarten auf der Anlage verlieren. Die Blätter der Kastanien auf der Kastanienallee färben sich bereits braun. Rosenduft hängt schwer in der Luft. Folgt man der Allee, kommt man am Palmenhaus vorbei und schließlich zum Tiergarten.
Manch einer der Holzschnitt-Künstler ging gerne in den Tiergarten. Dort findet man süd-westlich vom Schloss auch heute noch Tiger, Löwen, Affen und andere Tiere. Erst vor kurzem stand der Tiergarten in den Nachrichten, weil Panda-Dame Yang Yang Zwillinge zur Welt brachte. Die Löwen dösen, einige Tiere zeigen sich erst gar nicht. Nur der sibirische Tiger ist rastlos und macht seinem Namen alle Ehre: Er tigert unruhig durch das Gehege. Ludwig Heinrich Jungnickel beschäftigte sich neben Moriz Jung, Franz Karl Delavilla und einigen anderen am intensivsten mit Tierdarstellungen. Tiere wurden sogar zu seinem Markenzeichen und er schuf eine Serie von Tierbildern aus dem Wiener Zoo. Auch heute noch lassen sich einige Besucher von dem Tiergarten inspirieren. Doch die meisten sind mit einer Spiegelreflexkamera ausgestattet.