STUDIO VISIT KATIE HOLTEN TEIL 2
Die Künstlerin Katie Holten lebt und arbeitet in New York, wo das SCHIRN MAG sie besucht hat. Im zweiten Teil der Serie erzählt sie von unermüdlichen Protesten, dem Pussy Alphabet und all den starken Frauen, die sie in Zukunft porträtieren möchte.
Von Natalie WichmannDie gebürtige Irin Katie Holten, deren Werk „She Persisted“ aktuell in der SCHIRN Ausstellung POWER TO THE PEOPLE zu sehen ist, kam vor vielen Jahren nach New York. Sie landete im East Village und blieb dann, wie so viele, in der großen Metropole hängen. Heute lebt und arbeitet sie im West Village, wo das SCHIRN MAG ihr einen Besuch abgestattet hat. Lange Zeit hat sie sich vornehmlich mit Natur- und Umweltthemen beschäftigt und sogar ein „Tree Alphabet“ gezeichnet, wie sie in Teil 1 der Serie erzählt. Doch nach den Wahlen 2016 hat sich ihre Einstellung zum Leben und zur Kunst geändert.
„Ich weiß noch, wie ich dachte: Unsere Probleme mit Sprache, Wirklichkeit und Wahrheit sind noch viel größer. Ich wusste, dass wir Probleme haben, aber ich wusste nicht, dass sie so groß sind.“ Wieder lacht Katie Holten, aber man spürt, dass es zum Teil aus Hilflosigkeit und noch immer aus Verwunderung über die Geschehnisse der letzten Jahre rührt. Für die Ausstellung „Nasty Women“ im The Knockdown Center, einem Kunst- und Performance-Raum in Brooklyn, schuf sie eine feministische Version ihres „Tree Alphabet“ und nannte sie „Pussy Alphabet“. Sie beteiligte sich an verschiedenen Projekten und schloss sich Gruppen wie „Rise and resist“, „Move On“ und „NYIndivisible“ an.
Demonstrationen bis zur Erschöpfung
„Alles ging so schnell. Es blieb gar keine Zeit zum Nachdenken. Morgens, mittags und abends gab es Versammlungen oder Demonstrationen. Jeden Tag nahm ich meine Eddings zur Hand, machte Schilder für die Aktion des Tages und lief dann damit los. Ich zog täglich fast sechs Stunden lang durch die Straßen, mit einem Schild in der Hand. Irgendwann dachte ich nur noch: Das ist doch verrückt. Ich muss zwischen diesen Versammlungen etwas tun, sonst werde ich wahnsinnig. Das war der Moment, als ich anfing die Porträts zu „She Persisted“ zu zeichnen. Sie waren eine Art Meditation für mich, eine Pause von dem ganzen Rest.“
Und nicht nur Holtens Schwerpunkt verlagerte sich, auch ihre künstlerische Praxis nahm eine andere Form an. „Irgendwie war das alles sehr seltsam für mich – ich hatte vorher noch nie figurativ gearbeitet. Ich arbeite mit Menschen und ich habe wirklich das Gefühl, dass es bei meiner Arbeit um das Menschsein geht, aber meine Werke sind ganz und gar nicht figurativ. Für mich ging es nie um den menschlichen Körper. Aber beim Pussy Alphabet dreht sich natürlich alles um den menschlichen Körper, denn jeder Buchstabe ist eine tanzende Frau. Und bei den Zeichnungen zu „She Persisted“ ist es genauso – es sind Porträts von Frauen. Es war für mich also wirklich eine große Veränderung.“
Eine endlose Liste starker Frauen
Ihre Stimme wird lauter und leiser, ihr irischer Akzent ausgeprägter, und sie gestikuliert mit den Händen, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Man sieht, dass sie emotional noch immer sehr aufgewühlt ist. Als ich sie frage, wie sie entschieden hat, wen sie zeichnet, lacht sie leise: „Na ja, wie sucht man coole Frauen aus? Das ist einfach, weil es so viele gibt! Manche von ihnen sind Ikonen, wie Angela Davis. Andere waren mir vorher gar nicht aufgefallen. Außerdem wollte ich mit dieser Reihe eine große Zeitspanne abdecken. Deshalb habe ich auch Harriet Tubman dazu genommen, die Mitte des 19. Jahrhunderts Sklaven befreite, und Linda Sarsour, eine der Organisatorinnen des Women's March 2017. Da ich immer in Serien arbeite, kommt es mir so vor, als würden sie nie enden. Als ich die ersten zehn machte [Harriet Tubman, Chelsea Manning, Malala Yousafzai, Angela Davis, Emily Dickinson, Ursula K. Le Guin, Anita Hill, Linda Sarsour, Rachel Carson und Kathleen Cleaver], hatte ich nie das Gefühl, dass die Reihe vollständig ist, aber seitdem habe ich keine mehr gezeichnet.“
Na ja, wie sucht man coole Frauen aus? Das ist einfach, weil es so viele gibt!
Ich sage ihr, dass mir diese Serie besonders gut gefällt und ich mich sehr freuen würde, weitere Porträts zu sehen. Auf die Frage, ob sie bestimmte Frauen im Kopf hat, die sie als Nächstes zeichnen wollen würde, überlegt sie einen Moment. „Hmm. Bob Bland fällt mir ein, ebenfalls Mitorganisatorin des Women's March, oder Andrea Bowers, die auch in der SCHIRN-Ausstellung vertreten ist. Wissen Sie was?“, lächelt sie. „Ich sollte eine Liste machen.“
Das Pussy Alphabet performen
Ob Holten weitere aktivistische Projekte plant? Sie denkt kurz nach. „Also, das Pussy Alphabet entstand ziemlich schnell. Ich habe es gezeichnet, und die Designerin der Ausstellung „Nasty Women“ hat daraus eine Schriftart gemacht, aber wir hatten nicht mal Zeit, es wirklich zu sharen. Deshalb frage ich mich, ob wir es nicht irgendwann wieder aufgreifen sollten. Zum Beispiel habe ich diese Frau, Anneke Hansen, eine Choreografin, während der Demonstrationen auf der Straße kennengelernt. Sie trägt für jeden Tag der neuen Regierung eine Nummer. Ich begegnete ihr an Tag Nummer 27. Zu dieser Zeit betreute ich die Social Media Kanäle von NYIndivisible und fragte sie, ob ich ein Foto von ihr machen und ihre Geschichte posten darf. Als ich hörte, dass sie Tänzerin ist, erzählte ich ihr vom Pussy Alphabet, und wir beide hatten fast gleichzeitig die Idee, dass es performt werden sollte. Etwas in der Art wäre denkbar, aber im Moment habe ich keine konkreten Pläne.“
Holten reist außerdem im Mai erstmal für ein Projekt nach Irland. Auch wenn New York im Augenblick ihre Wahlheimat ist, so hat sie bereits überall auf der Welt gearbeitet – von Berlin über Paris bis Mexico City. Interessanterweise hat sich auch das mit der neuen Regierung geändert. „Wenn man die USA jetzt verlässt, hat man irgendwie das Gefühl, als würde man weglaufen.“
Während der nächste Märzsturm New York in eine magische Schneekugel verwandelt, sitze ich am Esszimmertisch in Boston (kein Schnee hier), denke an meinen Besuch bei Katie Holten und beginne mit einem ersten Entwurf, als ein vertrautes „Pling“ eine neue E-Mail ankündigt. Ich öffne meinen Posteingang, und da ist sie: Eine Liste all der coolen, erstaunlichen Frauen, die sie noch gerne porträtieren würde. Ich drücke die Daumen, dass wir sie alle bald im Rahmen der fortlaufenden, niemals endenden Serie „She Persisted“ sehen werden: Ada Lovelace, Louise Bourgeois, Bob Bland, Patti Smith, Hypatia, Billie Holiday, Rebecca Solnit, Grace Hopper, Maya Angelou, Mary Robinson, Mutter Teresa, Marie Curie, Anne Frank, Helen Keller, Rosa Parks, Jane Goodall, Tracy Chapman, Patrisse Cullors, Sojourner Truth...
Wenn man die USA jetzt verlässt, hat man irgendwie das Gefühl, als würde man weglaufen.
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