PHYLLIDA BARLOW
Farbig gesprenkelte Holzpflöcke in Sandsäcken und ein Meer bunter Fahnen ragt aktuell in den Himmel der SCHIRN Rotunde. Distanz lässt das Werk „Untitled: 100banners2015“ der Künstlerin Phyllida Barlow kaum zu.
Von Ekkehard TannerWer zurzeit die SCHIRN besucht, wird gleich in der Rotunde von einer Ansammlung bunter Banner begrüßt. Die eng zusammen gepferchten Holzpflöcke sind Teil einer großformatigen Arbeit von Phyllida Barlow. „Untitled: 100banners2015“ heißt ihr Werk, welches, typisch für Barlow, zwischen Skulptur, Installation und Environment angesiedelt ist und den Ausstellungsraum bis an seine Grenzen füllt. Es wirkt provisorisch: zusammengenagelte, und mit Farbe besprenkelte Kanthölzer stecken in orangefarbenen Sandsäcken und halten nachlässig zusammengenähte Stoffbahnen. Wofür aber wird hier eigentlich demonstriert?
Phyllida Barlow hat ihr Leben lang Kunst gemacht und ausgestellt. Bereits 1965 wurden ihre Arbeiten im Institute of Contemporary Arts in London (ICA) präsentiert, doch der internationale Durchbruch gelang der Künstlerin erst 2010. 2017 dann der künstlerische Ritterschlag, als Barlow Großbritannien auf der Biennale in Venedig vertrat und den Britischen Pavillon bespielte. Bis zu ihrer Emeritierung 2009 schätzte man die Künstlerin vor allem als Kunstprofessorin. Viele ihrer Schüler waren lange vor ihr international bekannt. Unter ihnen Rachel Whiteread (*1963), die 1993 als erste Frau den Turner-Preis gewann, Tacita Dean (*1965) und Douglas Gordon (*1966), der auch an der Frankfurter Städelschule unterrichtet.
Körperliche Erfahrung als Alternative zum Intellektuellen
Wie „100banners2015“ exemplarisch zeigt, arbeitet die Bildhauerin mit Volumen und Körperlichkeit, mit Raumnahme und physischer Präsenz und damit mit genuinen Eigenschaften von Skulptur und Plastik. Barlows Werk will keine Betrachtung aus der Distanz, sondern soll unmittelbar erfahren werden. Der Besucher wird behindert, er muss sich durchschlängeln oder unter den Arbeiten durchlaufen, um weiter zu kommen. Ähnlich wie bei der brasilianischen Installationskünstlerin und Malerin Lygia Clark (1920-1988) oder dem deutschen Konzeptkünstler Franz Erhard Walther (*1939) wird bei Barlow die körperliche Erfahrung als Alternative zum Intellektuellen aufgewertet: „Mich interessiert, wie man sich im Raum und um Objekte herum bewegt, und wie sich Skulptur dazu verhält.“
Mich interessiert, wie man sich im Raum und um Objekte herum bewegt, und wie sich Skulptur dazu verhält.
Phyllida Barlow, Untitled (double stage), 2011, Courtesy the artist und Hauser & Wirth, Skulpturales Handeln, Installationsansicht Haus der Kunst, 2011, Foto: Wilfried Petzi, Image via cloudfront.net
Mit ihren Werken beweist Barlow, dass die Großplastik keine Domäne männlicher Künstler ist. Ihr Atelier ist eine große Flugzeughalle in Hornsey, im Norden von London. Ihre Arbeiten sind kolossal. Dabei liegt der Künstlerin das Monumentale ästhetisch fern, man charakterisiert ihr Werk häufig als „Anti-Monumental“. Es evoziert viel eher den urbanen Raum: die Straße, Baukonstruktionen, Gerüste.
(Anti)monumentale Werke
Geboren wurde Phyllida Barlow 1944 in der nordenglischen Stadt Newcastle upon Tyne. Ihr Vater, der Psychiater Erasmus Darwin Barlow, ein Urenkel von Charles Darwin, forschte dort über Gehirntraumata. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte die Familie nach London zurück, wo Barlow aufwuchs. 1960-1963 studierte sie am Chelsea College of Art, und lernte dort ihren späteren Ehemann, den Künstler und Schriftsteller Fabian Peake kennen, mit dem sie fünf Kinder hat. Zwei davon, Florence Peake (*1973) und Eddie Peake (*1981) sind selbst erfolgreiche Künstler. 1963-1966 wechselte sie zur Slade School of Fine Art und fing nach ihrem Studium an, Kunst zu unterrichten. Dies gab ihr zunächst die finanzielle Freiheit, parallel auch Kunstwerke zu schaffen, ohne die Verpflichtung oder den Druck etwas zeigen zu müssen.
Phyllida Barlows skulpturales Werk ist exzentrisch, voller Humor und subversivem Witz. Ihre Arbeiten tragen Titel wie „STREET“, „BLUFF“, „Cast“, „demo“ oder „folly“. Sie werden für den jeweiligen Ausstellungsort in einem ergebnisoffenen Prozess geschaffen, wobei der Werkprozess sichtbar gelassen wird. Bereits in den 1960er-Jahren arbeitete sie an provisorischen, fast ruinös wirkenden Skulpturen aus günstigen und leicht verfügbaren Materialien, denen sie bis heute treu ist: Sperrholz, Pappkarton, Stoff, Gips, Malerfarbe, Plastik, Schaumstoff oder Zement.
Zerstören, recyclen, neu kreieren
Bis zu dem Moment, als Phyllida Barlow auch anfing, Kunstwerke zu verkaufen, zerstörte sie die meisten ihrer Arbeiten nach Ausstellungsende. Fast fünf Jahrzehnte ihres Oeuvres existiert nur noch in Fotografien oder einem bemerkenswerten Konvolut an Zeichnungen. Da sie keinen Platz hatte, ihre Skulpturen zu lagern, recycelte sie deren Materialien zu neuen Arbeiten. So war die Lebensdauer ihrer skulpturalen Arbeiten meist auf eine Ausstellung begrenzt.
Phyllida Barlow, Folly, 2017, Photograph: Ruth Clark © British Council. Courtesy the artist and Hauser & Wirth, Image via: theguardian.com
Es war also Pragmatismus und weniger eine Anti-Haltung gegenüber einem klassischen Werkbegriff, dass Barlows Skulpturen nicht für die Ewigkeit gemacht sind. Vielleicht auch Skepsis gegenüber der Vorstellung einer endlosen Kontinuität: „Alle Werte – seien es soziologische, ökonomische, künstlerische oder kulturelle Werte – verändern sich momentan sehr stark. In der Kunst gibt es eine gewisse Konventionalität und Orthodoxie. Dass etwas dauerhaft sein soll, ist vielleicht nur eine Illusion. (…) ich glaube wir leben in einer unbeständigen Zeit, in der Informationen weltweit innerhalb weniger Sekunden aufgenommen werden. Da ist es schwierig an der Vorstellung von endloser Kontinuität festzuhalten.“
Dass etwas dauerhaft sein soll, ist vielleicht nur eine Illusion. (…) ich glaube wir leben in einer unbeständigen Zeit, in der Informationen weltweit innerhalb weniger Sekunden aufgenommen werden.
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