Auf den ersten Artikel zu politischer Kunst folgt nun Teil II, der sich Sit-ins, Plakaten und weiteren Protestformen in der Kunst der 68er bis heute widmet.
Ein Phänomen, das im Rahmen der 68er Einzug in die Kunst gefunden hat, ist das sogenannte Sit-in. Diese Form des politischen Aktivismus wurde insbesondere bei Bürgerrechtsbewegungen im Kampf gegen die Rassentrennung in den USA eingesetzt. In Bussen oder in Restaurants demonstrierten schwarze Aktivisten durch ihre reine körperliche Anwesenheit für ihr Recht auf Gleichbehandlung. Eine Form der Besetzung, die, ähnlich wie eine Guerilla Aktion, ohne weiteres von einer Einzelperson oder einer kleinen Gruppe durchgeführt werden konnte.
Diese Sit-ins waren zunächst keine Kunst, aber eine überaus (Medien-) wirksame Strategie. Die Bilder gingen um die Welt, wurden zu Ikonen zivilen Ungehorsams und trugen maßgeblich zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Die Studentenbewegung griff die Strategie bekanntlich auf und veranstaltete sogenannte teach-ins und go-ins. Endgültig in der Kunst angekommen war die Strategie mit Yoko Ono’s und John Lennon’s berühmten „Bed-in“. Das frisch verheiratete Künstlerpaar residierte im März 1969 eine Woche lang in einem Luxushotel in Amsterdam.
There is an alternative to war. It's staying in bed and growing your hair.
Die voyeuristischen Erwartungen der Presse, immerhin handelte es sich hier um zwei Frischverheiratete Hippies (free love!) in einem Bett, wurden schnell zerschlagen. Die Aktion war ein Friedensprotest. „Stay in bed and grow your hair“ als Gegenentwurf zu Krieg und Gewalt. Im Bett sitzend, empfing das Paar geladene Journalisten und nutzte so die mediale Aufmerksamkeit, die ihre Hochzeit erzeugte, um ihre Friedensbotschaft zu verbreiten.
Während Happenings, Guerilla Aktionen oder Sit-Ins radikal neue Wege für die Kunst darstellten, war und blieb das vielleicht direkteste Medium für politische Kunst das Plakat. Die Druckkunst erlebte um 1968 ein wahres Revival. Originell gestaltete Plakate zwischen Pop Art und Agit Prop waren eine Möglichkeit, kreatives Potential direkt „auf der Straße“ einzusetzen. Diese Plakate bestimmten die Ästhetik der sogenannten counter-culture. Zusammengenommen bilden sie heute eine Art Kompendium der wichtigsten politischen Anliegen der Zeit. Vervielfältigung und Massenproduktion bedeuteten einerseits eine Form der Demokratisierung und versprachen andererseits Massenwirksamkeit. In vielen Fällen sind die Autoren heute nicht mehr bekannt. Dennoch sammeln inzwischen große Museen diese Kunstwerke.
Alternative Kunsträume schossen wie Pilze aus dem Boden
Ein weiteres Medium, das wieder an Bedeutung gewann, waren Magazine und Zeitschriften, die von KünstlerInnen im Eigenverlag produziert und herausgegeben wurden. Demokratisierung war auch hier ein wichtiges Stichwort, wie auch in Künstler geführten, alternativen Kunsträumen, die ab 1968 weltweit wie Pilze aus dem Boden schossen. Solche Initiativen zielten darauf ab, das Museums- und Galerien-System zu umgehen und zu entkommerzialisieren. Viele hielten sich nur wenige Jahre, andere existieren bis heute.
Einige der genannten Strategien werden in verwandter Form bis heute eingesetzt. Happenings zum Beispiel, die ein Versuch waren, die Kunst wieder dem Leben anzunähern, sind Vorläufer der Relationalen Kunst, die soziale Interaktion zu ihrem Gegenstand macht. Die Werke von Rirkrit Tiravanija sind ein aktuelles Beispiel dafür. Sein Werk „Untitled 2016“ besteht zum einen aus mit dem Slogan „Freedom cannot be simulated“ bedruckten T-shirts und wird dadurch zu sozialem Kunstwerk, gedrucktem Massenprodukt und politischer Botschaft in einem.
Guerilla Aktionen und Flash-Mobs regen öffentliche Diskussionen an und sorgen für mediale Aufmerksamkeit
Guerilla Aktionen wiederum, sind eine Spezialität der bis heute agierenden Künstlerinnengruppe Guerilla Girls geworden. Die anonymen Mitglieder der Gruppe wenden Guerilla Taktiken an, um auf Missstände in der Kunstwelt hinzuweisen. Aber auch Flash-Mobs wie die 1000 Gestalten-Aktion gegen den G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit, die derzeit durch die Medien gehen, bedienen sich Guerilla-Taktiken. Sie nutzen, wie GAAG, die Freiheit der Kunst als Möglichkeitsraum für Protest und die mediale Aufmerksamkeit zum Anregen öffentlicher Diskussionen.
Auch der Strategie des Sit-ins begegnen wir heute immer wieder. Die Occupy Bewegung, die Demonstrationen im Gezi Park oder die Regenschirmrevolution in Hong Kong waren friedliche Proteste, deren wichtigste Strategie die Besetzung öffentlicher Plätze war. Obwohl es sich dabei nicht um Kunstprojekte handelte, bedienten sich diese Bewegungen medienwirksamer visueller Strategien. Einen noch direkteren Zusammenhang kann man zu Andrea Bowers‘ „Radical Feminist Pirate Ship Tree Sitting Platform“ (2013) herstellen. Was jetzt ein Kunstwerk ist, ging direkt aus einer Protestaktion gegen die Abholzung von Wäldern in Arcadia (Kalifornien) hervor. Jens Ullrichs Plakate wiederum beziehen sich direkt auf die Plakatkultur, die um 1968 entstanden ist.
Trotz aller Ähnlichkeiten hat sich natürlich auch einiges geändert nach nunmehr 50 Jahren. Neue soziale und politische Realitäten bieten auch neue Themen und Reibungsflächen für politische Kunst. Dazu kommen zahlreiche mediale und technische Möglichkeiten, die damals noch nicht zur Verfügung standen. Vor allem die digitale Welt hat neue Präsentationsmöglichkeiten und Orte des Austauschs geschaffen.
Ist die politische Kunst zurück im Elfenbeinturm?
Aber auch die Zusammenarbeit mit Kunstinstitutionen hat sich deutlich geändert. Heute schrecken Museen und Ausstellungshäuser nicht mehr davor zurück, politische und aktivistische Kunst zu zeigen. Man könnte fast sagen, politische Kunst sei selbst zu einer Marke geworden. Ist die politische Kunst also zurück im Elfenbeinturm? Ja und nein. Viele KünstlerInnen heute pflegen einen anderen Umgang mit Institutionen als die radikalen 68er. Sie akzeptieren den unvermeidbaren Zusammenhang von Kunst und Markt und haben gelernt, mit Institutionen zusammenzuarbeiten. Anstatt also nur die Straßen oder WG-Küchen mit ihren Werken zu füllen, nutzen sie heute auch bewusst Kunstinstitutionen als Plattform für ihre Arbeiten. Anstatt ihr kritisches Potential dagegen zu richten, entfalten sie es gerade mittels der Möglichkeiten, die Institutionen bieten.