Geschichte lebt in Erinnerungen fort und wird in jeder Generation neu erzählt und interpretiert. Mit „The Record Archive“ zeigt der Künstler Dani Gal einen Auszug aus seiner Schallplattensammlung, die sich aus der medialen Geschichtskonstruktion speist.
Anlässlich der Ausstellung POWER TO THE PEOPLE in der SCHIRN stellt Dani Gal sein „The Record Archive“ vor. Hierfür bringt er Reden von und Interviews mit führenden Persönlichkeiten der Welt, Tondokumente zu Friedensabkommen sowie zum Kampf um Menschenrechte und Radiosendungen über Ereignisse, die in das kollektive Geschichtsgedächtnis eingegangen sind, zusammen. Das Ergebnis: ein Mashup des Weltgeschehens des 20. Jahrhunderts.
Mit diesem Mashup formuliert der Künstler umfassende Fragen an das Erinnern und den Umgang mit Geschichte: „Das Projekt untersucht, wie aufgezeichnete politische Ereignisse kommerzialisiert wurden und welche Rolle Ton-Dokumentation im Wechselspiel zwischen persönlicher und kollektiver/nationaler Erinnerung spielt.“ Etwa im Fall der ersten Aufzeichnung, die Dani Gal 2005 erwarb und die seine mittlerweile auf rund 700 Vinyls angewachsene Sammlung begründete: das „Victory Album“ des Krieges zwischen Israel und den arabischen Staaten im Jahr 1967, des sogenannten Sechstagekrieges. „Es wurden so viele Kopien davon gepresst, dass man sie noch immer in den meisten Second-Hand-Vintageläden in Israel findet. Das war der perfekte Anfangspunkt für die Sammlung. […] Seitdem habe ich sechs verschiedene Aufnahmen des Sechstagekrieg-Albums gefunden, auf Hebräisch, Englisch, Dänisch, Französisch und Jiddisch.”
Was bringt jemanden dazu, sich solch eine Platte wieder und wieder anzuhören? „The Record Archive“ wirft diese und viele weitere Fragen, weit über die Wurzel der jeweiligen Plattenaufnahmen hinaus, auf: „Sicherlich haben sie einen Unterhaltungswert, aber etwas anderes trieb den Zuhörer an. Sound erzeugt Atmosphäre und Raum. Der Augenblick, wenn jemand die Aufnahme einer Rede oder eines nationalen/politischen Events in einer häuslichen Umgebung abspielt, ist ein Moment, in dem das Persönliche auf das Nationale trifft.“
Die Bearbeitung der Aufnahmen definiert, woran sich später erinnert wird
Und Dani Gal löst sich noch weiter von dem wortwörtlichen Verständnis der Inhalte: „Als ich anfing, die politischen Aufnahmen als Material zu verstehen, eröffnete dies mir die Möglichkeit, sie losgelöst von ihrem historischen und manchmal sogar von ihrem spezifischen Kontext zu hören. Dieser Prozess legte die Mechanismen ihrer Produktion offen und half, sie in einem neuen Licht zu verstehen. Die Aufnahmen bewegen sich zwischen dem, was ‚passiert’ ist, und dem Zuhörer. Sie beinhalten all die Filter, all die Stadien vom ‚realen Ereignis’ bis hin zu dem, was aufgenommen wurde, inklusive dem Geräusch des Mikrofons und der Übertragung. Diese Aufnahmen wurden später überarbeitet, ausgewählt und verbreitet. Dieser Prozess definierte, woran sich erinnert wird.“
Dani Gal bezieht sich dabei auf die 1948 publizierte „Mathematical Theory of Communication“ des amerikanischen Mathematikers und „Vaters der Informationstheorie“ Claude Shannon: Angewendet auf die Vinyl-Aufnahmen kann ein politisches Event als Informationsquelle und das Mikrofon als Sender einer Nachricht, die zu einem Signal wird und anschließend bei einem Ziel (dem Zuhörer) angelangt, verstanden werden. Zwischen Signal und Ziel schaltet sich eine Geräuschquelle ein: „Das Geräusch der Aufnahmen bewirkt, dass wir der Technologie, die für die Reproduktion des Tons genutzt wurde, gewahr werden […].“
Vinyls werden gegenwärtig als Fetischobjekte wahrgenommen, wenn man sie also mit politischen Ereignissen bespielt, verwandelt sich diese Geschichte in einen Fetisch.
Das Bewusstsein dessen ermöglicht, die Platten neu zu verstehen, wie Gal bereits beim Kauf des „Victory Albums“ bemerkte: „Ich kaufte sie, weil ich an audio-politischen Dokumenten als Field Recordings interessiert war. 1967 komponierte Luc Ferrari ‚Presque Rien (Almost Nothing) No. 1’. Das war eine der ersten Kompositionen von Field Recordings als ‚Musique Concrète’, einer Soundscape, die mit der Komposition eines Tages versucht, eine Erinnerung daran einzufangen; die Aufnahme des Sechstagekrieg-Albums entstand natürlich ursprünglich mit einer vollkommen anderen Absicht. Es ist eine sorgsam konstruierte Aufnahme, die gemacht wurde, um eine nationale Erzählung zu prägen – um eine Erinnerung auf einem kollektiven Level zu formen.“
Im Sinne der Field Recordings (jener Tradition des Einfangens von Klängen außerhalb einer kontrollierten Studioumgebung) kann Shannons Modell ebenso metaphorisch verstanden werden: das Geräusch als Störung, das in den Vordergrund rückt, als ungewolltes Element in einer Gesellschaft, das den eigentlichen Bericht unterbricht und deshalb bereinigt und gelöscht werden „muss“. Der Zuhörer sollte sich also immer fragen: In welcher Umgebung, zu welcher Zeit ist eine Aufnahme entstanden? Und: Was fehlt, was wurde ausgelassen?
Das Erinnern ist ein kreativer Prozess
So wie in Dani Gals Installation ist demnach auch der politisch-historisch ambitionierte Inhalt einer jeden Schallplatte selbst eine Komposition. Denn Erinnern, etwa an prägende Momente der Geschichte, ist ein kreativer Prozess – das Formen von Erinnerungen aus Fragmenten, die wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten erlebt haben.