Der Künstler Lyonel Feininger (1871-1956) pendelte zwischen den USA und Deutschland, zwischen Illustration und freier Malerei, blieb sich dennoch immer treu.
1871 in New York geboren, verbrachte Lyonel Feininger einen Großteil seines Lebens in Deutschland, wo seine künstlerische Karriere 1919 mit der Berufung zum Bauhaus-Meister einen Höhepunkt erreichte. Feiningers Anfänge liegen indes in der angewandten Kunst. Schon während seines Studiums in Berlin veröffentlicht er erste Karikaturen. Jahrelang arbeitete Feininger für Zeitungen und Zeitschriften wie „Ulk“, „Lustige Blätter“, „Das Narrenschiff“, die „Berliner Illustrirte Zeitung“ [sic] und für „Harper's Round Table“ in New York.
Obwohl sich der geschäftliche Erfolg einstellte, war Lyonel Feininger unzufrieden. Die Karikaturen waren Auftragsarbeiten, deren Inhalt und Thema von den jeweiligen Redakteuren vorgegeben wurden. Seine künstlerischen Ambitionen konnte Feininger in dieser Zeit nicht verwirklichen. 1906 beauftragt der Verleger der Zeitung „Chicago Tribune“ James Keeley (1867–1934) Feininger mit dem Entwurf eines Comicstrips, der in der Zeitung erscheinen soll. Den Inhalt der Zeichnungen darf Feininger erstmals selbst bestimmen. Zur gleichen Zeit veröffentlicht Winsor McCay seinen Comic „Little Nemo in Slumberland“ im „New York Herald“.
Ein großzügiges Honorar
Feininger entwickelt innerhalb weniger Monate die Comicserien „The Kin-der-Kids“ und „Wee Willie Winkie’s World“. Insgesamt 28 ganzseitige, farbige Folgen von „The Kin-der-Kids“ erscheinen, „Wee Willie Winkie’s World“ kommt auf 20 Folgen. Signiert sind alle Folgen mit „Your Uncle Feininger“. Für die damaligen Zeitungsleser sind Feiningers Comicstrips zu ambitioniert. Sie werden vorzeitig eingestellt. Dennoch finden sich in den beiden Comicserien Motive späterer künstlerischer Arbeiten Feiningers: romantisierte Städte, Kirchen und Seeszenen. In der Ausstellung „Pioniere des Comic. Eine andere Avantgarde“ zeigt die SCHIRN zahlreiche Originalzeichnungen sowie Zeitungsseiten mit Feiningers Karikaturen und Comicstrips.
Das großzügige Honorar aus Chicago ermöglichte es Feininger, nach Paris umzuziehen, wo er schließlich zur Malerei fand. Zu Beginn sind Feiningers Gemälde noch illustrativ, stilistisch stark an seine Comicarbeiten angelehnt. Um 1912 begegnete Lyonel Feininger in Paris dem Kubismus. In den Folgejahren entwickelt Feininger seine charakteristischen, prismatisch-gebrochenen Kompositionen. Auch die Motive klären sich immer mehr. Die grotesk-übergroßen Figuren weichen Stadtlandschaften und Seestücken. 1919 wird Feininger von Walter Gropius als Meister und Leiter der Graphischen Werkstatt an das Bauhaus Weimar berufen. Das Bauhaus-Manifest erscheint mit Feiningers Holzschnitt „Kathedrale“ auf dem Titel.
Nationalsozialismus und "entartete Kunst"
Vor allem in seiner Zeit am Bauhaus in Weimar und Dessau unternimmt Feininger immer wieder Ausflüge in Städte und Dörfer der Umgebung. Die Erfurter Barfüßerkirche und den Dom zu Halle rückt er monumental ins Bild. Aber auch von kleinen Dorfkirchen, etwa in Gelmeroda, entstehen viele eindrückliche Gemälde und Graphiken. Im Badeort Deep (heute: Mrzeżyno) an der Ostsee verbringt Feininger vor allem in den 1920er-Jahren die Sommermonate. Die Küstenlandschaft, der Himmel über dem Meer und Segelschiffe werden zu häufigen Motiven in Feiningers Œuvre und rücken ihn in die Nähe der Romantik.
1933 ergreifen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland. Das Bauhaus, das schon 1932 aus Dessau wegziehen musste, schließt auch in Berlin. Lyonel Feininger bleibt zunächst noch in Deutschland. Seine Bilder gelten mittlerweile als „entartet“. Im Juni 1937 kehrt Feininger in seine Geburtsstadt New York zurück. Zu Beginn der 1940er-Jahre entstehen Stadtansichten von Manhattan. Die gotischen Kathedralen weichen modernen Hochhäusern, und doch ist eine erstaunliche Kontinuität erkennbar.
1944 widmet das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) dem schon 73-jährigen Feininger eine umfangreiche Einzelausstellung. Im Zusammenhang mit der Schau schenkt Feininger dem MoMA seine Belegexemplare der „Chicago Tribune“-Zeitungsseiten mit den Comicstrips „Kin-der-Kids“ und „Wee Willie Winkie’s World“. 1956 stirbt Lyonel Feininger in New York. Seine langjährige Tätigkeit als Karikaturist und Comiczeichner hat er zeitlebens nicht verleugnet.