Der Künstler Olaf Holzapfel verfolgt in seinen Arbeiten das Konzept von stetigem Wandel und Veränderung.

Ein Dilemma des Porträts ist häufig, dass es zwar die äußere Hülle eines Menschen zeigt, nicht aber sein Wesen offenbart. Am Abend der Eröffnung der Ausstellung ICH begegnete ich dem Künstler Olaf Holzapfel und fragte, ob seine 2009 geschaffene Plastik "Selbstbild" auf diesen Gedanken anspiele. Schließlich sieht diese Arbeit zunächst aus wie eine leichte, weiche, fließende Hülle auf einem weißen Tisch. Nein, das Bildnis als Darstellung des Äußeren, das sei ihm zu esoterisch.

Der Künstler erzählte daraufhin von einer Erfahrung, die er 2001-2002 während eines Aufenthalts in Indien, als Student am National Institute of Design in Ahmedabad, machte. Um es vorwegzunehmen: es war die Erkenntnis, dass die zwischenmenschliche Kommunikation, kulturell bedingt, ganz unterschiedlichen Regeln folgt. Er sei Rikscha gefahren und habe am Anfang der Fahrt einen Preis vereinbart. Angekommen, des Preises vermeintlich sicher, habe der Rikscha-Fahrer gleichwohl einen vielfachen Preis verlangt. Nach einiger Zeit an dieses Prozedere gewöhnt, war Holzapfel nicht mehr bereit den hohen Preis zu bezahlen, weil er verstanden habe, dass es hier um Präsenz gehe und er sich an die, wie er sagte, Reibung anpasste. Und so gehe es auch in seiner Arbeit um Präsenz.

Anklänge an den Minimalismus

Olaf Holzapfels Plastik "Selbstbild" aus dem Jahr 2009 trotzt den ehernen Ewigkeitsansprüchen traditioneller Bronzeplastiken. Sie erinnert an eine transparente Kiste, die in eleganter Leichtigkeit, ganz ohne Ecken und Kanten, auf einem ins Wanken geratenen weißen Sockel, einem minimalistischen Tisch gleich, gelandet ist. Hierzu wurde das Plexiglas erwärmt und dann in Form gebracht. Teils hat die Arbeit Anklänge an den Minimalismus, teils gemahnt sie an die traumhaft-zerfließenden Uhren Salvador Dalís. Es ist ein Selbstbild, bei dem das Selbst nur im Bild ist, wenn man nah an das Werk herangeht: Die Oberfläche des Plexiglases funktioniert wie ein Vexierspiegel, das eigene Bild vom Ich wird dekonstruiert und aufgelöst.

Olaf Holzapfel, Selbstbild, 2009, Galerie Gebr. Lehmann, Dresden / Daniel Marzona, Berlin

Olaf Holzapfel schafft, meist in Zusammenarbeit mit anderen, eine sinnlich-poetische Konzeptkunst, die angesiedelt ist zwischen traditionellen Handwerkstechniken und einer computergenerierten Ästhetik. Er wurde 1969 in Görlitz geboren und ist in Dresden aufgewachsen. 1991 begann er ein Architekturstudium in Dresden, um dann schließlich zur Malerei zu wechseln. Als Stipendiat kam er nach New York, Indien und Japan. Seine Arbeiten werden über internationale Galerien in Berlin, London, New York und Paris vertreten und waren in Ausstellungen in Chile oder Israel sowie 2011 auf der Biennale von Venedig zu sehen. Er war Gastprofessor an der Kunstakademie Karlsruhe und der HfBK Hamburg und lebt und arbeitet in Berlin.

Architektur in Arkadien

Sein Interesse an der Architektur zeigt sich in Fachwerk-Strukturen, die er gerne in freier Natur installiert. Kunstwerke an kunstfremden Orten, angesiedelt zwischen Land-Art, Konzeptkunst und Handwerk. Etwa seine Skulptur "Drei Brücken" inmitten der Dresdner Heide, die ganz in traditioneller Weise ohne Metallteile gebaut, also gezapft wurde. Die kalkulierte Konstruktion erinnert an das Holzgerüst eines Fachwerkbaus, offenbart aber durch eingebaute "Fehler" ihren Kunstcharakter. Oder ein sechs Meter hohes Haus inmitten der arkadischen Landschaft Patagoniens, in der lokalen Fachwerktechnik, wie sie die einstigen Siedler mit ins Land brachten. Eine Großskulptur in der Natur, gleichsam ein den Göttern geweihtes Haus, welches die Luft und das Licht einlässt.

Olaf Holzapfel und Sebastián Preece: Housing in Amplitude, Struktur aus Lenga-Holz und Nägeln, Cerro Castillo, Region Aysén, Chile, 2013. Image via housinginamplitude.net

Holzapfel kreiert aber auch Objektbilder aus nachhaltigen Materialien, wie Naturfasern, Heu oder Stroh. Denn, wie er in einem Interview sagte: "Ich glaube das Luxus per se ökologisch ist […]. Aufwändige Architektur oder gute Kleidung heißt eigentlich immer man bindet viel Arbeitskraft. Man stellt Dinge her, die man lange gebrauchen will, die man also nicht schnell produziert, die also auch einen langen Wert haben, und die auch eine Dauerhaftigkeit haben, und das ist ja auch etwas, was ein gutes Kunstwerk auch ausmacht."

Materialbildern aus den Trockenwäldern Argentiniens

Seit 2009 entwickelt Holzapfel in Zusammenarbeit mit den Wichí, einer Gruppe nordargentinischer Indios, Chaguarbilder. Sie basieren auf der Handwerkskunst der Wichí, bei der zu Fäden versponnene Fasern von Bromeliengewächsen, teils mit lokalen Pflanzenfarben eingefärbt, in einer Flechttechnik etwa zu Taschen, Fischernetzen oder zu Ponchos verarbeitet werden. Holzapfel legt den Handwerkerinnen der Wichí seine Zeichnungen vor, die von ihnen zu netzartige Textilgemälden umgesetzt werden, die das Urtümliche mit dem Zeitgenössischen, das Bauhaus mit der Folklore verbinden und doch von einem ganz eigenen Rhythmus sind.

Olaf Holzapfel und zwei Helfer arbeiten an einem Bild in Holzapfels Berliner Atelier, 2012. Image via frieze.com

Aber auch Stroh und Heu werden zu Objektbildern. In Polen lässt Holzapfel nach einem mündlich überlieferten sorbischen Verfahren sieben bis acht Meter lange Heuschnüre aus Grashalmen, Kräutern und Wildblumen flechten, wobei je Meter Heuschnur ein Helfer benötigt wird um die nötige Spannung zu halten. Wurden früher derartige Heuschnüre genutzt um Bienenkörbe herzustellen, webt sie der Künstler in einen Holzrahmen ein. Lichtbilder nennt er diese geometrisch-ornamentalen Arbeiten, die den Sommer gespeichert haben.

Strohhalme streng geometrisch

Seit 2013 entstehen Strohbilder, für die Holzapfel zunächst die Vorlagen am Computer entwickelt. Die Bilder zeichnen sich durch ihre Strenge Geometrie und ihre Flächigkeit aus. Je nach Standpunkt changiert die Bildarchitektur zwischen flächig und räumlich, wechselt das Leuchten der streng parallel gesetzten Strohlineatur; das Bild scheint zu pulsieren und seine Richtung zu ändern. Es gibt keine auftrumpfende Hauptansicht, kein doktrinäres "so ist es", sondern stetigen Wechsel und Veränderung. Holzapfel spricht hier von einer "Verflüssigung von Zuständen" als Kontrapunkt zur Abgeschlossenheit der Moderne. Ebenso verflüssigt wie das weich erscheinende Selbstbild. Jetzt fällt mir ein, dass ich den Künstler gar nicht gefragt habe, ob die Skulptur in der Ausstellung ICH in der SCHIRN überhaupt ein Selbstporträt ist.

Olaf Holzapfel, Chaguarbild 2, 2010. Image via olafholzapfel.de