L'ENNEMI DE MON ENNEMI
Mit einem einmaligen Projekt des Künstlers Neïl Beloufa wird die SCHIRN ab dem 23. August zur Bühne. Im Palais de Tokyo ist die Ausstellung „L‘ennemi de mon ennemi“ von Beloufa noch bis 13. Mai zu sehen. Kurator Matthias Ulrich war dort.
Von Matthias UlrichDer Feind meines Feindes (im französischen Original: L'Ennemi de mon ennemi) ist ein mengen- wie bedeutungsmäßig überwältigendes Ausstellungsprojekt, mit dem Neïl Beloufa das Palais de Tokyo in Paris derzeit ausgestattet hat. Sämtliche, wenn auch nicht alle, Krisenschauplätze der medial eingegrenzten Welt führen hier eine Parade auf. Die Befürworter genauso wie ihre Gegner verteilen sich im großen Raum wie Spielfiguren auf einem Brett und werden von Robotern auf immer neue Positionen gestellt, um dadurch – einem undurchschaubaren Algorithmus folgend – immer neue Konstellationen zu inszenieren.
Die Roboter heißen entweder Marat oder Sade, und sie heißen so, weil Videokünstlerin Hito Steyerl ihnen diese beiden Identitäten zugewiesen hat: Jean Paul Marat und Marquis de Sade. Mit beiden Protagonisten stellt Steyerl, respektive Beloufa, die Gewalt ins Zentrum des Geschehens und gleichzeitig die Frage nach ihrer politischen beziehungsweise gesellschaftlichen Legitimation. Neben diesen automatisierten Spielfiguren, bei denen es sich um ca. 100 Plateaus handelt – jedes für sich eine thematisch fokussierte Bühne en miniature mit miteinander kommunizierenden Artefakten, Postern, Zeichnungen und Gemälden, Fundstücken, Basteleien, Assemblagen und was noch alles – hängen, liegen, stehen noch zahlreiche weitere Ausstellungsstücke, die wie Fixsterne Halt bieten in einer wunderbar sternhagelvollen Milchstraße.
Eine Anleitung zum Verlernen
Das psychedelische Spektakel, in das die Ausstellungsobjekte eingebunden sind und einen ständig wechselnden Beobachtungsstandpunkt einnehmen und einfordern, liefert eine Anleitung zum Verlernen von akademischem wie auch im Alltag erlangtem Wissen. Seit Jahrhunderten schlummert und gedeiht dieses Wissen und schlägt verzweifelt um sich, als wollte es endlich dem ganzen Spaß ein Ende bereiten.
Ausstellungsstücke, die wie Fixsterne Halt bieten in einer wunderbar sternhagelvollen Milchstraße.
Die Ausstellung „L’Ennemi de mon ennemi“ ist eine universale Schlacht. Eine Bildgewordene Phantasie von Samuel Huntingtons Kampf der Kulturen, die in der Kunst und durch die Kunst aufgehobene Sphäre der Sprache. Ein sprachloses und poetisches Bilderbuch des Politischen nach dem Ende der Politik. Am Ende dieser Schlacht wird es keine Sieger und keinen triumphalen Neuanfang geben, schon gar nicht in der Kunst, die es vortrefflich gelernt hat, sich in ihrer Blase einzurichten und Feindbilder in Kapitalformen umzuwandeln.
Welchen Bildern kann man noch trauen?
Auch diese Ausstellung provoziert mit einer Schlauheit, die einem Kopfschmerzen bereiten kann. Auf symbolischer Ebene erklärt sie den Tod des Bildes. Dies tut sie selbstverständlich durch eine Behauptung mit Bildern, die einen immer wieder vor die wohl sinnloseste Frage stellen, welchen Bildern man trauen kann und welchen nicht. Sie trifft dabei genau den Kern des Bildes, mit dem sich der einstige Konsens einer Gemeinschaft in einen ständigen Verdacht entwickelt und Bilder zu bloßen Informationen entschärft hat.
Man kann das mittlerweile in fast allen Ausstellungen vorfinden, ein paar Zentimeter neben dem Kunstwerk, wo Werktexte hängen, um das, was auf dem Kunstwerk zu sehen ist, in Worte zu fassen. Sich selbst und seiner eigenen Wahrnehmung zu trauen, ist längst nicht mehr selbstverständlich. Beloufas Ausstellung integriert die Informationsflut und lässt sie wie in einem Wellenbad hin und her schwappen.
Ein Wellenbad der Informationsflut
Mittendrin: statische Akteure, wie etwa zwei Zeichnungen des dem Kommunismus zugeneigten Picasso, beide voller Ironie gegenüber ihrem Adressaten, Josef Stalin. Oder ein Baseball, unterzeichnet von Tony Blair. Oder das Gemälde „Le chasseur allemand“ von Gustave Courbet, der während seines Aufenthalts in Frankfurt am Main in den Jahren 1858 und 1859 seine Leidenschaft für die Jagd entdeckte. Oder das Modell eines algerischen Kriegsdenkmals aus dem Jahr 1928, das 50 Jahre später von einem Künstler mit Beton eingefasst und zu einem Friedensdenkmal transformiert wurde. All diese immobilen Akteure repräsentieren ihrerseits die idiosynkratischen Bewegungen, die nur in der Bewegung, in einem Nicht-Still-Stehen über das hinausgehen können, was durch Eingrenzung Erklärung findet.
Anfang und Ende des Ausstellungsparkours bildet eine Installation von Beloufa mit im Raum verteilten raupenartigen Maschinen und einer mit transparenten, beweglichen Wänden bestückten, Duchamps- oder El Lissitzky-ähnlichen szenografischen Einheit, hinter der störungsvoll auf Monitoren wie störungsfrei auf der gegenüberliegenden Wand in Form einer Projektion das Video „People’s Passion, Lifestyle, Beautiful Wine, Giant Glass Towers, All Surrounded By Water“ (2011) ausgestrahlt wird. Erfolg und Freiheit grenzen hierbei sommerlich strahlende und von Vogelgezwitscher begleitete Nachbarschaften ein, deren SprecherInnen die Positivität dieser okzidentalen Utopie eloquent und fraglos wie in einem Immobilieninserat runterleiern.
Bald in der SCHIRN: CASABLANCA ART SCHOOL. EINE POSTKOLONIALE AVANTGARDE 1962–1987
Die „neue Welle“ Marokkos: Die SCHIRN präsentiert ab dem 12. Juli die einflussreiche CASABLANCA ART...
Mit der Kraft der Erinnerung
Wie kann Fotografie ihr Potenzial im Kampf gegen gesellschaftliche Ungleichheiten und...
Ein sizilianischer Mythos im zeitgenössischen Gewand
Was wäre, wenn Frauen Dichotomien auflösen und heilen könnten? Im kommenden DOUBLE FEATURE holt...
FEEDBACK 2: UPBRINGING IN FRANKFURT MIT SABRINA SETLUR
In der zweiten PODCAST-Episode trifft Miriam Davoudvandi auf die Frankfurter Legende Sabrina Setlur....
„Ich bin ein Anarcho-Kosmopolit“
Shantel gilt als Pionier des Balkan-Pops und ist mit seinen blasmusiklastigen Tanzflächenkrachern...
Ein Tempel der jungen Kunst
Seit Januar 2024 gibt es den neuen, von Künstler*innen geleiteten Offspace „Temple” in Offenbach....
Revisiting Double Feature: Queere Kunst im Fokus
In unserer Reihe DOUBLE FEATURE gibt es eine Vielzahl von Künstler*innen, die sich in ihren Werken...
5 Gründe, SELMA SELMAN in der SCHIRN zu sehen
Poetisch, konfrontativ, überraschend: Die SCHIRN präsentiert vom 20. Juni bis zum 15. September 2024...
Parents: Zwischen Kunstperformance, Kinderzimmer und Tatort-Dreh
Jasna Fritzi Bauer und Katharina Zorn sind als Artist-Duo nicht nur künstlerisch miteinander...
Nichtstun ist (k)ein Kern der Arbeit
Jovana Reisinger sinniert über die Untätigkeit im Werk von COSIMA VON BONIN – ist sie ein Zeichen...
ABOUT TIME. Mit Abe Frajndlich
Abe Frajndlich blickt auf eine über 50 Jahre lange Karriere als Fotograf zurück. Im Interview...
Ein Mix aus Meditation und Müßiggang
Welche Potentiale birgt der Müßiggang? Was passiert, wenn nichts passiert? Mit „Untitled (Nothing...
Toxische Cuteness
Cuteness Overload! In COSIMA VON BONINS Bildwelt ist Bambi eine wiederkehrende Referenz. Doch der...
Vom Atelier an den Esstisch: The (Food) Culture
Sind Künstler*innen besonders kreativ, wenn es ums Kochen geht? Ein Blick in die Küchen der...
Daffy Duck. Ein Hoch auf die Unvollkommenheit!
Daffy Duck ist aus dem künstlerischen Œuvre von COSIMA VON BONIN kaum wegzudenken. Was für eine...
„Wir schauen darauf, wie Migration das Land verändert hat“
Folge 4 des vierteiligen 069 x THE CULTURE Specials: Rapper, Lehrer und Autor – Murat Güngör hat...
Wo sind die Hip-Hop-Hotspots Deutschlands?
Schon längst ist die Hip-Hop-Kultur aus deutschen Städten nicht mehr wegzudenken. Angefangen bei...
Dreaming of Tomorrow: Die erste Klima Biennale Wien
„Mit der Vision und Kraft der Kunst treibt die Klima Biennale Wien den Paradigmenwechsel für eine...
Poetischer Schmerz auf 90 bpm: Die WORD CUP RELOADED-Playlist
Melancholische, wütende, verzweifelte Lyrics tanzen mit den Basslines und Drums. Ein 16er erklingt:...
Improvisation und Scheitern als kreative Triebfeder
John Cages „Untitled Event” gilt vielen als Geburtsstunde der Performance Art, doch was sie...
Wie Hip-Hop über seine Toten singt
Durch die tragisch frühen Tode von Legenden wie Biggie Smalls und Tupac oder aufstrebenden...
„Hip Hop makes the world a better place”
Wir haben mit Simon Vogt, dem Host des beliebten YouTube-Formats DEUTSCHRAP IDEAL vom Hessischen...
„Ich mag den Adrenalinkick, der dich aus der Komfortzone pusht“
Folge 3 des vierteiligen 069 x THE CULTURE Specials: Breaking ist dieses Jahr olympisch. Fatima...
Cosima von Bonin und die Kölner Kreativszene
COSIMA VON BONIN lebt und arbeitet seit den 1980er-Jahren in Köln. Die Stadt war zu der Zeit ein...
Magma Maria: Ein Ausstellungs-Juwel in Offenbach
Das Künstler*innen- und Kurator*innen-Kollektiv Magma Maria bringt im gleichnamigen Off-Space seit...
FEEDBACK 1: TRUE SCHOOL & NEW SCHOOL MIT CORA E. UND OG LU
Wie hat sich die deutsche Hip-Hop-Szene mit den Jahren gewandelt? In der ersten Folge des...
„Hip-Hop hat die Streetwear dauerhaft geprägt“
Folge 2 des vierteiligen 069 x THE CULTURE Specials: Vor zehn Jahren gründete Steffen Kurtz das...
5 Fragen an Mary Messhausen und proddy produzentin
Mit der Performance „Thonk piece: Hungry for Stains“ eröffnen die Dragqueens Mary Messhausen und...
Hip-Hop ist Schwarze Kultur – nicht umgekehrt
Hip-Hops fünfzigster Geburtstag gibt uns Anlass, alte Platten und Mixtapes zu hören und noch einmal...
Jetzt in der SCHIRN: COSIMA VON BONIN. FEELINGS
Die SCHIRN präsentiert vom 21. März bis zum 9. Juni 2024 eine einmalige Inszenierung mit neuen und...
Damit sind Sie im Bilde: Über Bewegung und Substitution im Werk von Lena Henke
Die Künstlerin LENA HENKE stellte bereits 2017 in der SCHIRN-Rotunde aus. Was sind die Geheimnisse...
Shallow lakes - Auf der Suche nach dem See
Was hat es mit dem Motiv des Sees bei MELIKE KARA auf sich? Marthe Lisson begibt sich auf eine...
„Graffiti fragt nicht, sondern macht“
Folge 1 des vierteiligen 069 x THE CULTURE Specials: In den Neunzigerjahren wurde Fuego Fatal eine...
„Gegen die Vereindeutigung der Welt”: Quer durch die Berlinale 2024
Auch dieses Jahr zog die Berlinale wieder Filmschaffende und Cineast*innen aus aller Welt an. Trotz...
Ukrainische Kunst in Frankfurt - Wenn Anatomie politisch wird
Die Arbeiten der ukrainischen Künstlerin Vlada Ralko gehen unter die Haut – im wahrsten Sinne des...
Der Film zur Ausstellung: Melike Kara. Shallow Lakes
Die Künstlerin Melike Kara schafft Erinnerungsräume. Ausgehend von der Beschäftigung mit ihren...
5 Gründe, THE CULTURE in der SCHIRN zu sehen
Die SCHIRN präsentiert ab dem 29. Februar eine interdisziplinäre Ausstellung zum Einfluss des...
Das Vergangene im Gegenwärtigen
Anita di Bianco beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Korrekturen und Richtigstellungen in...
Wenn Subkultur zum Mainstream wird – eine Gratwanderung
Ganz gleich, ob Hip-Hop, Techno oder queere Szene: Die Ästhetik von Subkulturen avanciert nicht...
Jetzt in der SCHIRN: THE CULTURE. HIP-HOP UND ZEITGENÖSSISCHE KUNST IM 21. JAHRHUNDERT
Anlässlich seines 50. Geburtstags widmet die SCHIRN dem Hip-Hop und seinem tiefgreifenden Einfluss...
Zwischen Figuren und Architekturen. Jugendliche blicken auf Feininger
Was verbinden Jugendliche mit dem Namen LYONEL FEININGER und wie sehen von ihm inspirierte Werke...
Städelschule Rundgang 2024. Erste Eindrücke
Alle Jahre wieder: Der Rundgang der Städelschule hat sich längst als zeitgenössisches Kunsthighlight...
„Wir wollen zeigen, wie positiv und lebendig Schwarze Kultur ist“
Was einst als Gegenreaktion auf die Präsenz rechter Stände auf der Frankfurter Buchmesse begann, ist...
Julia Feininger – Künstlerin, Karikaturistin und Managerin
Über Lyonel Feininger weiß die kunsthistorische Forschung einiges zu berichten, doch wer war Julia...
Lyonel Feininger und die Harvard Art Museums. Teil 2
Die Harvard Art Museums beherbergen die größte Lyonel-Feininger-Sammlung der Welt. Ihre...
Auf Tuchfühlung mit Outlaws, Creeps und Außenseiter*innen
Der Outlaw, das personifizierte Andere, lebt nach einem eigenen moralischen Kodex und ist sich...
HOW TO MAKE MONEY AS AN ARTIST IN THE ART WORLD 3
Alle wollen Geld machen! Michael Riedel auch. Einblicke in die ungeschönte Wahrheit gibt der...
5 Gründe, MELIKE KARA in der SCHIRN zu sehen
Die SCHIRN präsentiert in ihrer öffentlich zugänglichen Rotunde ab dem 15. Februar eine...
Lyonel Feininger und die Harvard Art Museums. Teil 1
Die Harvard Art Museums beherbergen die größte Lyonel-Feininger-Sammlung der Welt. Doch wie kam es...
„Vertigo Sea“ – Zwischen literarischem Tiefgang und Tiefsee
Was für ein Ort ist der Ozean? Fragen wie diese stellte sich vor John Akomfrah bereits Heathcote...