Der Natur einer Oase entsprechend, ist die Sitzbank ein kleiner Kosmos für sich. Wer sich auf sie setzt, gönnt sich eine Auszeit – körperlich und/oder geistig. Die Künstlerin Maruša Sagadin hat in der SCHIRN-Rotunde eben solche künstlerisch modifizierten Sitzgelegenheiten installiert.

Sie ist eines jener Objekte, welches uns im öffentlichen Raum oft begegnet, dem wir aber nur dann Aufmerksamkeit schenken, wenn wir es brauchen: die Sitzbank. Ob Parkbank, Stadtbank oder, in halböffentlichen Räumen, die Ausstellungs- und Gartenbank – sind wir nicht froh, wenn sie scheinbar plötzlich vor uns auftaucht? Gerade dann, wenn wir dringend eine Rast brauchen vom Wandern oder ewigen Einkaufen. Die Park- und Gartenbank ist indes oft auch ein konkretes Ziel, das wir ansteuern, um dort nachzudenken oder unseren Gedanken freien Lauf zu lassen. Egal wo sie steht, die Sitzbank ist eine Oase aus Holzbrettern (oder aus Stein, Beton, Stahl).

Der Natur einer Oase entsprechend, ist die Sitzbank ein kleiner Kosmos für sich. Wer sich auf sie setzt, gönnt sich eine Auszeit – körperlich und/oder geistig. Wir treten aus unserer Umgebung heraus, hinein in unsere ganz eigene Welt auf der Bank. Wir sind da und doch haben wir mit dem Hinsetzen Distanz eingenommen. Das Gewusel dort und die Ruhe hier. Die vorbeilaufenden Menschen und die Sitzenden. Diejenigen, die an ein Ziel müssen und wir hier auf der Bank, die einfach nur Hier sind, dem Treiben zusehen, beobachten.

Maruša Sagadin. Luv Birds in toten Winkeln, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Mareike Tocha

Bänke sind zum Verweilen da, ob draußen, drinnen oder in Zwischenräumen wie der Rotunde der SCHIRN. Dort sind ab dem 21. September die Bänke MARUŠA SAGADINs zu sehen, mit denen sie nicht „nur“ einen Ort des Verweilens kreiert, sondern auch Themen wie Gender, Sprache, Architektur, Humor und Übertreibung erforscht. Sagadins Bänke kommen in kräftigen Farben und Formen, die an die Pop Art erinnern. Die Bank „Doris“ (2016) ist in ihrer Form ein Querschnitt einer dorischen Säule und erinnert zugleich doch stark an die Form eines weiblichen Körpers. Frauen müssen viel „ertragen“, vielleicht kommt Doris auch deswegen mit weiblichen Accessoires (Halskette, Lippenstift) aus Beton daher. Sagadin schafft mit ihren Bänken Räume zum Nachdenken, auf ihren Bänken soll gesessen, gelaufen und performt werden. Ihre Bänke sind Bühnen und soziale Orte.

Eine aristokratische Dame neben einer Magd? Ein no go!

Tatsächlich war die Bank im öffentlichen Raum schon immer mehr als nur Sitzmöbel. Sie ist seit jeher auch politisch. Im Mittelalter durften nur sozial Gleichgestellte nebeneinander auf einer Bank Platz nehmen. Die aristokratische Dame neben einer Magd? Ein „no go“!

Maruša Sagadin, Doris, 2016, Image via christinekoeniggalerie.com

In der Toskana des 14. Jahrhunderts wurden Bänke auf Plätzen aufgestellt, um Raum für Theateraufführungen, Straßenkunst und Tribunale zu schaffen und damit bürgerliches Handeln und Zusammenhalt zu fördern. Gleichzeitig kommunizierte ihre Architektur, welches Verhalten unerwünscht war. Die Bänke waren nur einen halben Meter breit; zu schmal, um auf ihnen zu schlafen. Bänke im öffentlichen Raum werden von Städten und Gemeinden installiert und auch heute wird mit ihrer Hilfe entschieden, wo Menschen sitzen und verweilen dürfen und wo nicht. Möchte man bestimmte Gruppen von Menschen an gewissen Orten nicht haben, stellt man keine Sitzgelegenheiten auf. Die Bank als Kontrollmechanismus.

Oder als Barometer der Gentrifizierung. Die Autorinnen Antje und Susann Rittermann teilen in ihrem 2019 erschienenen Buch „Bänke aus Holz“ ihre Beobachtung, dass die in Berlin um Straßenbäume herumgebauten Bänke dann verschwinden, wenn die umliegenden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt worden sind. Die Schwestern Rittermann haben auch festgestellt, dass in Halle an der Saale auffällig viele Bänke stehen und sie in Griechenland wiederum völlig abwesend sind. Es scheint, Griech*innen sitzen lieber auf Stühlen. Vielleicht weil Stühle, mehr als Bänke, eine Garantie für eine Lehne sind? 

Antje Rittermann und Susann Rittermann: Bänke aus Holz, 2019, Image via thalia.de

Man hat herausgefunden, dass die meisten Menschen einen Neigungswinkel von 10 bis 15 Grad bevorzugen. Aber leider ist die Bank mit Lehne am Verschwinden. Im Zusammenspiel mit „neuen“ Materialien wie Beton und Stahl, lädt sie nicht immer zum Verweilen ein. Die Bank als Zeichen des Turbokapitalismus? Ja nicht zu lange „nichts tun“. Machen! Kaufen!

Die Bank als Ausdruck der Deutungshoheit?

Im halböffentlichen Raum einer Ausstellung helfen Bänke, den Raum zu strukturieren, Besucher*innen zu leiten, oder auch, manchen Kunstwerken mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als anderen. Die Bank als Ausdruck der Deutungshoheit? Wer entscheidet, vor welchem Kunstwerk eine Bank steht und vor welchem nicht? Welches Kunstwerk ist das Verweilen wert und welches nicht? Sagadin überlässt die Art und Weise, wie Besucher*innen ihre Ausstellungen wahrnehmen, weder dem Zufall noch der Institution und designt Tische und Bänke gleich selbst. Auf diesem Weg werden diese „Möbelstücke“ Teil der Gesamtinstallation. Die Bank als Kunstwerk. Auch im öffentlichen Raum, für die Sagadins Bänke, „Doris“ und „Summer“, besonders schöne Beispiele sind. Bänke als Kunstinstallationen im öffentlichen Raum sind Möglichkeiten, Kunst nahbar, geradezu sitzbar, zu machen. Die Form einer Bank bietet schier unendliches Potenzial zur Neuinterpretation.

Maruša Sagadin, Summer, 2020, Foto: Philipp Friedrich

Was aber sagt es uns, wenn die Bank immer mehr aus dem öffentlichen Raum verschwindet? Anette Schneider beklagte dies schon 2016 im Deutschlandfunk Kultur, auch in Wien war man 2021 empört über das Über-Nacht-Verschwinden geliebter Parkbänke – aus „Sicherheitsgründen“. Und in Bordeaux wird die Anzahl öffentlicher Bänke auf einem absoluten Minimum gehalten. Doch trifft das Verschwinden der Bank durch die Bank (eine Redewendung, die auf das Mittelalter zurückgeht: Wenn an einer langen Tafel viele Leute unterschiedlichen Rangs und Namens saßen, wurden sie der Reihe nach bedient, so wie sie um die Tafel herum saßen und unabhängig ihrer gesellschaftlichen Stellung) zu?

In London jedenfalls stehen ausreichend Bänke und wie in New York City fungieren sie in Parks oft als „Gedenkstätten“. Traditionelle Holzbänke werden mit kleinen Metallplaketten an der Lehne versehen, auf denen eine Widmung für eine verstorbene Person steht; für Menschen, die auf jener Bank oder in jenem Park besonders gerne ihre Zeit verbrachten. Manchmal sieht man, wie zu Jahrestagen Blumen an Bänken niedergelegt oder festgebunden werden. Eine anrührende „Zweitfunktion“ der Parkbank. Denn was wird auf Parkbänken nicht alles gelebt und verlebt! Man schläft ein auf einer Bank, man kann picknicken oder sich auf ihren Brettern auch einmal so richtig die Kante geben. Ganze Leben werden auf Bänken erzählt (bestens vorgemacht von Forrest Gump). Heiratsanträge werden gestellt und Beziehungen beendet. Ideen gesucht, von Musen besucht. Seelen werden ausgeschüttet, Tränen geweint. Babys werden gestillt und Enten gefüttert. Kindern wird von der Bank aus auf dem Spielplatz zugesehen.

Maruša Sagadin, Selbe Schuhe, andere Wohnung (Marjetka), 2020, Courtesy Christine König Galerie, Wien und die Künstlerin, Werk © Maruša Sagadin / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto © Cäcilia Brown

Die Bank ist ein Ort des Dialogs: mit Mitmenschen, mit der Welt, mit dem Kunstwerk vor uns oder mit uns selbst. Dass sich Maruša Saga­din der Sitzbank widmet, überrascht bei näherer Betrachtung ihres Arbeitens nicht. Es ist geprägt von Kooperation und Dialog mit Menschen, mit denen sie seit langer Zeit immer wieder kollaboriert. Im Gespräch entstehen auch die besten Geschichten und so ist die Bank auch ein Ort des Geschichtenerzählens. Welche Geschichten auf den Bänken Sagadins in der Rotunde erzählt werden, bleibt abzuwarten und der Öffentlichkeit verschlossen. Auch das macht die Bank zu einem faszinierenden Objekt. So öffentlich, wie sie da steht; so privat die Geschichten, die auf ihren Brettern erzählt werden.

Maruša Sagadin. Luv Birds in toten Winkeln, Ausstellungsansicht, © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2023, Foto: Mareike Tocha

MARUŠA SAGA­DIN. LUV BIRDS IN TOTEN WINKELN

21. SEPTEMBER 2023 – 14. JANUAR 2024

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