Schon früh setzte sich Martha Rosler mit dem öffentlichen Raum und kommerzieller Stadtentwicklung auseinander, und das nicht nur in den USA, sondern auch in Frankfurt. Wer gestaltet diesen Raum und nach welchen Idealen? Wer kann hier leben, und wie? Und wie können künstlerische Praktiken dies sichtbar machen?
Martha Rosler gehört zu einer Generation an Künstler*innen, die in den 1970er-Jahren begannen, ihre Kritik an Institutionen wie dem Museum auch auf eine Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Raum zu erweitern. In Roslers früher Foto-Text-Montage „The Bowery in Two Inadequate Descriptive Systems“ (1974–75) sowie in der von ihr organisierten Ausstellungsreihe „If You Lived Here…“ (1989) setzte sich die Künstlerin etwa mit Obdachlosigkeit in New York und ihrem Zusammenhang mit kommerzieller Stadtentwicklung auseinander. Auch entstanden immer wieder Arbeiten zu Roslers eigenem Lebensmittelpunkt, dem Brooklyner Viertel Greenpoint, welches von Umweltverschmutzung und Gentrifizierung betroffen ist.
Rosler interessiert sich dafür, welche Geschichten der Stadtraum erzählt, wenn man anfängt, an dessen Oberfläche zu kratzen. Und umgekehrt: Welche Version von Geschichte eine Stadt durch ihre architektonische Oberfläche zu vermitteln versucht. Dass sich dahinter oftmals die Verdrängung anderer Erzählungen aufzeigen lässt, motiviert ihre politisch engagierte Arbeit.
My politicized practice began when I saw that […] there are always things to be told that are obscured by the prevailing stories.
Ortsspezifische Erkundungen
In Deutschland suchte sie beispielsweise anlässlich der documenta 12 (2007) nach den Spuren der strategischen Bedeutung, die Kassel im Zweiten Weltkrieg eingenommen hatte. Im selben Jahr versetzte sie bei den Skulptur Projekten in Münster architektonische Symbole aus der NS-Zeit an verschiedene Orte der Stadt, um deren latente ideologische Verbindung sichtbar zu machen.
Nach Frankfurt führten Martha Rosler schon ihre ersten Ausstellungen in Europa in den 1990er-Jahren: Etwa mit „In the Place of the Public“, eine Fotoserie über den Transitort Flughafen, die nun auch in der SCHIRN zu sehen ist. Von 2005 bis 2009 lehrte sie zudem an der Städelschule. Während dieser Zeit entstand im Portikus, ein der Kunsthochschule zugehöriges Ausstellungshaus, ihre Ausstellung „Location, Location, Location“ (2008). Darin setzt sich Rosler mit dem Frankfurter Stadtraum und seiner Gestaltung auseinander, indem sie verschiedene Schichten abträgt: Von dem Branding der Stadt an ihrer Oberfläche bis hin zu den Geschichten, die darunter vergessen werden. Rosler greift mit der Ausstellung Themen auf, um die ihre Arbeit schon lange kreist: Städteplanung und Baupolitik, Immobilien- und Finanzspekulation, Gentrifizierung und in alledem die Unsichtbarmachung von Randgruppen.
Location location location
Als Rosler 2008 den Portikus bespielte, befand sich das Ausstellungshaus erst seit zwei Jahren auf der kleinen Insel an der Alten Brücke, nachdem es lange auf dem ehemaligen Gelände der 1944 weitgehend zerstörten Alten Stadtbibliothek gestanden hatte (von dieser hatte sich nur der Portikus, der Säulengang, erhalten – daher der Name des Kunstraums). „Location location location“ ist bekanntlich das Mantra jeder Immobilieninvestition. Die Alte Brücke als prominenter Standort wurde nun zum Ausgangspunkt, von dem Rosler aus Fäden zu Frankfurts Geschichte und seinem heutigen Stadtbild spann.
Wer auf die Ausstellung zulief, den begrüßte ein Banner mit dem Ausdruck „Brückenfreiheit“. Dieser erinnerte daran, dass in früheren Zeiten die Brücke nicht zum Stadtgebiet zählte und dort ein eigenes Recht galt, die sogenannte Brückenfreiheit. Den „Brickegickel“ (Brückenhahn), der noch heute auf der Brücke auf einem Kruzifix thront, versetzte Rosler prompt als Replika in das Innere des Portikus. Er erinnerte an eine alte Legende, der zufolge der Baumeister der Alten Brücke dem Teufel einen Hahn opferte, um sein Bauwerk noch rechtzeitig fertigstellen zu können.
City-Branding: „Mainhattan“ als Marke
Welche Bedeutung das Bauen für Frankfurt hat, wird gleich von der Brücke aus sichtbar, vor der sich die sorgfältig komponierte Skyline präsentiert: Sich zu einem Dreieck auftürmende Hochhäuser, pittoresk eingerahmt von einer Zeile an historischen Gebäuden. Der Ausblick ist geradezu ein Emblem für das Selbstverständnis der Stadt als kleines „Mainhattan“ geworden: Frankfurt als globaler, moderner Wirtschaftsstandort, der es zugleich verstünde, sich Geschichte und Tradition zu erhalten. Viele der Skyline-Gebäude beherbergen den globalen Banken- und Finanzsektor. So etwa der Eurotower, in dem bis 2014 noch die Europäische Zentralbank saß. Vor dem Eurotower befindet sich die monumentale Euro-Skulptur von Ottmar Hörl, die für viele Tourist*innen zu einem Symbol der Stadt geworden ist, vor dem sie sich gerne fotografieren lassen. Im Portikus thronte diese Skulptur in einer reproduzierten Version, die, obwohl kleiner als das Original, mit 5 Metern Höhe dennoch fast wie eine Persiflage wirkte – erreichte doch im Verlauf der Ausstellung die globale Weltfinanzkrise gerade ihren Höhepunkt. Auslöser für diese war unter anderem die intensive Spekulation mit Immobilien gewesen. Neben der Skulptur ließ Rosler über einen Beamer eine Live-Projektion von XETRA laufen, dem elektronischen Handelssystem der Börse Frankfurt.
Zum Zeitpunkt der Portikus-Ausstellung hatte die EZB gerade den Gewinner der Ausschreibung für ihren zukünftigen Standort im Ostend bekanntgegeben: Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au. Gebaut wurde die neue Zentrale auf dem Platz der alten Großmarkthalle. Diese war nicht nur historischer Ort des Handels, sondern während der NS-Zeit auch eine Sammelstätte, von der aus über 10.000 Frankfurter Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager deportiert wurden. Heute gibt es dort eine schlicht gehaltene Gedenkstätte.
Unter dem Pflaster: Spuren jüdischer Geschichte
Die Erinnerung an die jüdische Geschichte der Stadt zu aktivieren, war Rosler ein wichtiges Anliegen: So war auf dem Boden des Portikus ein Stadtplan der historischen Judengasse abgedruckt. Die Judengasse, in die die jüdische Bevölkerung von Frankfurt von 1462 bis circa 1800 ausgesiedelt wurde, war in der Frühen Neuzeit eines der größten jüdischen Ghettos in Deutschland. Sie befand sich unweit der Alten Brücke außerhalb der Stadtmauern, wo sie vom Jüdischen Friedhof am Börneplatz bis zur heutigen Konstablerwache lief. Überfüllt und eng, wurde der Zwangswohnbezirk zugleich zu einem der wichtigsten Zentren für jüdisches Leben in ganz Europa. Läuft man heute durch Frankfurt, erinnert angesichts der modernen Bebauung nur noch wenig an diese Geschichte. Erst 2021 hat das Jüdische Museum mit dem METAhub-Festival ein interdisziplinäres Projekt gestartet, in der die Geschichte der Judengasse wieder erfahrbar gemacht wird.
Weitere Objekte in der Ausstellung erinnerten an die lange Geschichte antisemitischer Diskriminierung. Eine Ratte mit abgeschnittenem Schwanz verwies etwa auf das Rattenhäuschen auf der Alten Brücke, an der die Frankfurter Bürger*innen während einer mittelalterlichen Rattenplage die von ihnen getöteten Ratten gegen ein Entgelt abliefern konnten. Finanziert wurde dieses aus von Juden und Jüdinnen bezahlten Strafgeldern, die damit sogleich mit dem antisemitischen Symbol der Ratte verknüpft wurden. Andere Elemente der Ausstellung, wie ein gelber Ring an der Fassade oder historische Darstellungen des sogenannten „Judenhuts“, verwiesen zudem auf Kennzeichnungspflichten, die für Juden und Muslime während der Frühen Neuzeit galten.
Roslers Suche nach unterschiedlichen Geschichten, die in Frankfurt räumlich koexistieren – etwa auf dem Gelände der Großmarkthalle –, macht dabei auch unbequeme Verbindungen auf: Dass sich etwa die Hetze gegen jüdische Personen im Nationalsozialismus wesentlich auf das Feindbild des „jüdischen Kapitalisten“ stützte – ein Stereotyp, der schon im Mittelalter etabliert wurde und sich noch heute in Verschwörungsmythen einer „jüdischen Finanzherrschaft“ erhält
Vermarktbare Nostalgie: Kommerzielle Geschichtsbilder
Während die Stadt in den 1980er-Jahren die Überreste der Judengasse mit einigen Verwaltungsgebäuden überbauen wollte – was nur teilweise durch zivilen Protest verhindert werden konnte – sind Anspielungen an die Vergangenheit in jüngeren Bauprojekten gerne gesehen. Für das neue Gebäude des Portikus entwarf der Architekt Christoph Mäckler eine Architektur, die Elemente traditioneller Baukunst mit postmodernen Einflüssen verband. Rosler bemerkte anlässlich ihrer Ausstellung kritisch mit einem Blick auf das Gebäude, dass sich dieses etwas zu glatt in das Marketing von Frankfurt als moderne und trotzdem traditionsbewusste Stadt einfügte. Als kleines Modell verpflanzte sie den Portikus in sein Inneres: Das Ausstellungshaus selbst wurde so zum Exponat und damit zu einem Teil der städtebaulichen Konfiguration, die Rosler nachzeichnete.
Ihre Beobachtungen, wie Baupolitik, Stadtmarketing und ein bestimmtes Geschichtsbild zusammenhängen, zeigen sich 15 Jahre später pointiert anhand der Neuen Altstadt: V0n 2012 bis 2018 in Anlehnung an die Altstadt des 19. Jahrhunderts rekonstruiert, ist diese zugleich touristische Attraktion, Geschäftsfläche und Fassade für High-End-Apartments. Während die Stadt ihr Bauprojekt durch den Verkauf der Eigentumswohnungen und die Vermietung von Ladenfläche refinanzierte, profitieren deren Inhaber*innen wiederum von der pittoresken Attraktivität der „location“. Währenddessen werden die Einschnitte, die der Zweite Weltkrieg für die Frankfurter Innenstadt bedeutete, von einem nostalgisch verklärten Bild der Vergangenheit ersetzt.
In „Location Location Location" erscheint die Stadt als Palimpsest: Als Ort, an dem Geschichte sich absetzt und eingeschrieben wird, aber auch immer wieder ausradiert und überschrieben wird. Wenn sich so verschiedene historische Prozesse überlagern, muss immer wieder neu verhandelt werden, was davon im Stadtbild sichtbar wird und zur lokalen Identität zählen soll: „In short, a city embodies and enacts a history. In representing the city, in producing counterrepresentations, the specificity of a locale and its histories becomes critical.“