Super 8 übte nicht nur auf Martha Rosler, sondern auf eine Vielzahl von Künstler*innen, Amateurfilmer*innen und unabhängigen Filmschaffenden gleichermaßen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. Hier sind einige Schätze im Super-8-Format, die man gesehen haben sollte.
Der US-amerikanische Autor und Regisseur Lenny Lipton erinnert sich in dem von ihm verfassten, einflussreichen Handbuch zum „Independent Filmmaking“ (1972), dass er den Begriff „Super 8“ zum ersten Mal 1954 in der britischen Zeitschrift „Amateur Cine World“ las: In dem Artikel wurde „eine horizontale anstatt vertikale Führung des 8-mm-Films durch eine modifizierte Kamera vorgeschlagen“, was eine „Verdoppelung der Bildnutzfläche und ein verändertes Seitenverhältnis“ zur Folge hätte. Dieses Format lancierte Eastman Kodak dann auf der New Yorker Weltausstellung von 1964-65. Obschon inkompatibel mit den damals gängigen 8-mm-Kameras, genoss es aufgrund seiner Preisgünstigkeit und des leicht einzulegenden Kassettensystems schon bald Popularität bei allen, die ihr privates Umfeld filmen wollten, ebenso wie bei Kunstschaffenden. Auch künftigen Regisseur*innen des Mainstreams bot das Format einen Einstieg in das Filmemachen – so begann etwa Steven Spielberg seine Karriere mit einer Super-8-Kamera in der Hand.
Heute wurde Super 8 längst verdrängt durch die Digitalkamera. Sie ist die Technik der Wahl für Amateur*innen, denen es einfach nur darum geht, ihre Umgebung festzuhalten. Und doch erfährt das Super-8-Format dank seiner charakteristischen verwackelten Handführung und der ausgeblichenen Farben (die auf eine fehlende professionelle Farbkorrektur zurückzuführen sind) bis heute große Wertschätzung bei Künstler*innen ebenso wie bei Fans des Independent-Films. Hier sind einige Schätze des Super-8-Films seit der Einführung des Formats.
Martha Roslers „Backyard Economy I & II (Diane Germain Mowing)“, 1974
Die beiden Videoarbeiten „Backyard Economy I & II (Diane Germain Mowing)“ von MARTHA ROSLER verbinden die Super-8-Filmkunst mit der rund um das Format herausgebildeten Hobbyfilmkultur, denn Rosler drehte im Garten eines einfachen Hauses in einem Küstenörtchen in San Diego County. Wie in diesem Filmformat üblich, handelt sich auch hier um Kurzstummfilme, und der Schnitt beschränkte sich auf den Prozess des Aufnahmevorgangs: Mit dem Loslassen des Auslösers endet zugleich die Szene, wobei der Szenenwechsel bei der Vorführung von einem markanten Flimmern und Bildsprung begleitet wird. Rosler richtet ihre Kamera hier auf die häusliche Arbeit und zeigt uns Frauen, die Wäsche aufhängen und den Rasen mähen, sich um Sohn und Hund kümmern – so entsteht der Eindruck, dass die neue Technologie nicht nur verändert, wer Filme machen darf, sondern auch, wer in ihnen zu sehen ist, und dass geschlechtsspezifische Tätigkeiten der Haushaltsführung in den Fokus rücken.
Derek Jarmans „TG: Psychic Rally in Heaven“, 1981
Derek Jarman widmete sich dem Super-8-Film mit der gleichen Ernsthaftigkeit wie jedem anderen Bereich seiner künstlerischen Praxis und produzierte einige der berühmtesten Arbeiten in diesem Format. Sie reichen von dem Kurzfilm „A Journey to Avebury“ (1971) bis hin zu seinem abendfüllenden Werk „The Angelic Conversation“ (1985), doch der unangefochtene Favorit ist „TG: Psychic Rally in Heaven“, ein experimenteller Konzertfilm der Industrial-Band Throbbing Gristle. Auf einer Länge von nur acht Minuten fängt er die legendäre Intensität der Band vollendet ein – mit feurig-orangerot flackernden Aufnahmen des*der Sänger*in Genesis P-Orridge, die teils scharf, teils unscharf aufblitzen. Die Mehrzahl der Super-8-Filme war stumm, doch bot sich Filmemacher*innen auch die Möglichkeit, Soundtracks hinzuzufügen: So montierte Jarman hier die Musik von Throbbing Gristles Debütalbum „Second Annual Report“ (1977) mit bedrohlich klingenden Geräuschlandschaften, Fragmenten von Interviews und Gesangsfetzen: „Gebt uns Rohmaterial, schürt ein Gefühl des Unbehagens in uns.“ Ebendies gelingt dem Film in brillanter Weise.
Ursula Pürrers & Ashley Hans Scheirls „Super-8 Girl Games“, 1985
In einem Frühwerk ihrer langen und fruchtbaren Zusammenarbeit filmten sich die österreichischen Filmschaffenden Ursula Pürrer und Ashley Hans Scheirl zu Hause vor einem einfachen blau-weißen Hintergrund. Sie schlagen einen Lichtblitz zwischen sich hin und her, so als handelte es sich bei ihm um einen Tennisball – doch ist er unverkennbar auf den mit geradezu unverschämt einfachen Mitteln gedrehten Film aufgemalt und ein starkes Symbol für den flackernden kreativen und emotionalen Funken zwischen den beiden Protagonist*innen. Mit dem Surren der Kamera, das die ganze Zeit über zu vernehmen ist, verweist der Kurzfilm auf die schier endlosen Möglichkeiten einer queeren Low-Budget-Filmkunst, die das Duo über viele Jahre hinweg erforschen sollte.
Guy Maddins „The Eye Like a Strange Balloon (Odilon Redon)“, 1995
Guy Maddin begann seine Karriere im kanadischen Winnipeg – einer Region, die sich als Hochburg der Super-8-Filmkunst erwies. Tatsächlich drehte er als einer von nur wenigen Regisseur*innen einen Spielfilm in diesem Format, nachdem er mit „Brand Upon the Brain!“ (2006) bereits Erfolg im Mainstream erzielt hatte. Der von ihm 1995 realisierte frühe Kurzfilm entstand im Rahmen einer BBC-Serie, für die Filmschaffende ein von anderen Künstler*innen inspiriertes Werk vorlegen sollten. In diesem Fall reagierte Maddin auf eine Kohlezeichnung von Odilon Redon, die dieser für eine französische Übersetzung der Schriften Edgar Allan Poes angefertigt hatte. Maddin wählte Super 8 wegen seiner altmodischen Ästhetik und schnitt das neu aufgenommene Filmmaterial in der Postproduktion zu einer fesselnden, surrealen Erzählung. Sie handelt von einem „Unterwasser-Lokführer“ und seinem Sohn, die ein „vorpubertäres Waisen-Schneckenmädchen“ aus einem Zugwrack retten und sich beide in das Mädchen verlieben, gefolgt von weiteren Überraschungen – ein höchst einfallsreiches Werk, das dazu beitrug, Maddin als einen der faszinierendsten Filmemacher*innen der Jahrtausendwende zu etablieren.
Stéphane Martis „Mira Corpora“, 2004
Der französisch-algerische Bildkünstler Stéphane Marti begann seine Karriere zunächst als Super-8-Filmer mit ebenso eindrucksvollen wie gewalttätigen queeren Kurzfilmen wie beispielsweise „Allegoria“ (1979) und „Diasparagmos“ (1980). In diesem Format erkundete er anschließend über Jahrzehnte hinweg seine Interessen im Hinblick auf das Heilige, das Begehren, den Körper und Dysphorien der Geschlechtsidentität. Martis längster Film, „Mira Corpora“, ist in für ihn typisch fragmentarischer Weise gestaltet. Er bedient sich verwirrender Bilder und eines Voiceovers, um die Geschichte eines Großmeisters des Ordens (Marcel Mazé) zu erzählen, der mit laufendem Filmprojektor einen jungen Mann verführt und Auszüge aus Friedrich Wilhelm Murnaus „Nosferatu“ auf beider Körper ritzt. Wie stets bei Marti entfaltet sich auch hier ein sinnliches kinematografisches Fest mit Songs und Klanglandschaften, halb abstrakten, farbig getönten Aufnahmen von Innenräumen sowie von Hand gefilmten Szenen tanzender und singender Menschen, die auf dem Kulminationspunkt rituellen Geschlechtsverkehr in einer Höhle haben. Atmosphärisch erweist sich „Mira Corpora“ dabei als nicht weniger bedrohlich als Murnaus wegweisender früher Vertreter des Horrorfilms.
Karel Doings „LA-AZ“, 2013
Seit seinem ersten Kurzfilm „Ultimatum“ von 1991 hat der niederländische Filmemacher Karel Doing mit einer Vielzahl von Formaten gearbeitet. „Ultimatum“ entstand auf 16-mm-Material, das sich im Bereich des Kunstfilms einer größeren Langlebigkeit erfreut als das Super-8-Format mit seiner im 21. Jahrhundert bereits nostalgisch wirkenden Ästhetik, die in starkem Maße den 1960er- und 1970er-Jahren verpflichtet ist. Doing arbeitet ebenfalls mit Archivmaterial und besitzt ein großes Interesse an der Filmhistorie, doch drehte er für „LA-AZ“ neue Aufnahmen in Schwarz-Weiß: Sie fangen Menschen wie den „Armenier“, das „Baby“ und den „Autofahrer“ ein, die prägend für das Los Angeles der frühen 2010er-Jahre waren. Im Bemühen um eine formale Modernisierung bediente sich Doing des HD-Videoformats, fügte handschriftliche Zwischentitel sowie einen modernen Soundtrack der Comstock Jug Band hinzu. Damit ist dies eine der wenigen in diesem Jahrzehnt realisierten Super-8-Arbeiten, die nicht überwiegend aus Found-Footage-Material bestehen.
Annie Ernauxs & David Ernaux-Briots „Die Super-8 Jahre“, 2022
Der Film „Die Super-8 Jahre“, bei dem die Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux gemeinsam mit ihrem Sohn David Ernaux-Briot Regie führte, bildet ein faszinierendes Begleitstück zu dem von ihr als „kollektive Autobiografie“ verfassten Roman „Die Jahre“. Der Film vereint von ihrem Mann in den 1970er- und 1980er-Jahre gedrehten Amateurfilme mit einem heutigen Voiceover und entfaltet dabei eine überwältigende Wirkung. Philippe Ernaux – wie er im Offkommentar meist genannt wird – fällt vor allem durch seine Abwesenheit auf, denn er steht zumeist hinter der Kamera und ist längst verstorben. Ernauxs Monolog deutet Auswirkungen ihrer eigenen aufkeimenden literarischen Karriere auf die kriselnde Ehe an. Die in den Filmen eingefangenen Orte haben sich inzwischen erheblich verändert: nicht nur Allendes Chile, Breschnews Sowjetunion oder Hoxhas Albanien, auch das 1988 durch einen Brand zerstörte Chiado-Viertel in Lissabon, das sich nach Francos Tod sogleich öffnende Spanien oder London während der Hitzewelle 1976, das sich „noch nicht in Silicon Valley verwandelt“ hatte. Ebenso wie der Roman unternimmt auch der Film eine nachdenkliche Erkundung von Zeit und Erinnerung und geht der Frage nach, wie sich die Erfahrung des Einzelnen und größere historische Ereignisse zueinander verhalten. Zugleich verweist der Filmtitel auf den Umstand, dass Super 8 in erster Linie ein historisches Phänomen ist, und fordert zur Beschreitung neuer Wege bei der Wiederverwendung damals gedrehter Materialien auf.