Was verstehen wir, wenn wir das Bild einer Drohne sehen? Die Medienwissenschaftlerin Dr. Svea Bräunert führt uns in die Welt der operativen Anti-Kriegs-Bilder von Martha Rosler – und verrät, weshalb Enthüllung nicht ihre primäre Funktion ist.
In der Rotunde der SCHIRN hängt ein großformatiges Banner mit dem Bild einer Predator-Drohne. Das Foto stammt von der US-Regierung und ist eine von zehn Informationstafeln, die zu Martha Roslers Arbeit „Theater of Drones” gehören. Sie wurden erstmals 2013 in Charlottesville, Virginia entlang einer stark frequentierten Fußgängerzone gezeigt. Ihr Gestus ist informativ, aufklärerisch. Die Arbeit will in die Öffentlichkeit bringen, was vor zehn Jahren noch kaum ein Thema war: die gezielte Tötung außerhalb von erklärten Kriegsgebieten, die Auswirkungen der Präsenz von Drohnen auf die Bevölkerung, die Gefahren der Überwachung, die Militarisierung des Alltags. Mit seinem unmittelbar politischen Appel steht „Theater of Drones” in einer Linie mit Roslers Billboards, mit denen sie 1989 in New York die Obdachlosigkeit thematisierte („Housing is a Human Right”) oder 2010 in Los Angeles die Kommerzialisierung des Gefängnissystems bei gleichzeitigen Einsparungen im Bildungssystem kritisierte („The Lesson for Today: Our Future”).
Das Bild der Drohne schließt zudem an Roslers Sichtbarmachung von Kampfflugzeugen an, wie sie sie in den Installationen „B-52 in Baby’s Tears“ (1972) und „Prototype (Sandbox B2)“ (2006) realisiert hat. Die Flugzeuge sind, militärhistorischen Konventionen folgend, als Silhouette dargestellt. Ihr Umriss zeichnet sich im Terrain ab: die grünen Pflanzen des Bubikopfs (Baby’s Tears) für den B-52 Bomber des Vietnam-Kriegs und Sand für den Tarnkappenbomber B-2, der ab 1999 im Kosovo, Afghanistan und Irak im Einsatz war. Die Schatten der Flugzeuge funktionieren als mehrfache Übersetzungen zwischen Bild und Objekt. Sie signalisieren, dass ein unmittelbarer Zugang zu den Bildern des Krieges nicht gegeben ist. Vielmehr muss Sichtbarkeit immer wieder hergestellt und der Prozess der Sichtbarmachung an der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion kritisch befragt werden. Oder wie Rosler selbst schreibt: „Restaging or faking is always an issue in war photography.”
Ist Sehen = Wissen?
Denn was verstehen wir eigentlich, wenn wir das Bild einer Drohne sehen? Soll eine Waffe unsichtbar und damit unbegreifbar bleiben, kann es wie ein Beweis wirken, das Objekt selbst zu sehen. Das aufklärerische Versprechen einer Verbindung von Sehen und Wissen kommt hier ins Spiel. Was bedeutet es da, dass das von der US-Regierung in Umlauf gebrachte Bild der Predator seltsam unecht wirkt? Die abstrakt-karge Landschaft ohne Horizont und die Abwesenheit von Markierungen auf dem Gerät lassen es wie ein Rendering erscheinen. Darin erinnert das vermeintliche Foto an die von Michael Hahn modellierte Drohne, die 2013 unter den ersten Ergebnissen gelistet wurde, wenn man auf Google nach dem Schlagwort „drone“ suchte. Für James Bridle, der mit „Drone Shadows“ (2012-2017) und „Dronestagram“ (2012-15) selbst zum Drohnenkrieg gearbeitet hat, ist die digitale Fiktion eine angemessene Form der Dokumentation. Denn die Surrealität des Bildes entspricht dem dystopischen Versprechen der Drohne, den „God Trick”, von Donna Haraway als allsehender Blick ohne Körper beschrieben, wahr werden zu lassen.
Zehn Jahre später hat sich die Situation deutlich verändert. Während 2013 nur eine kleine Community Drohnen nach dem DIY-Prinzip für den Heimgebrauch baute, sind die zivilen Quadrocopter inzwischen weit verbreitet und ihre Bedienung bedarf keines besonderen Geschicks mehr. Kaum eine Autowerbung und kaum ein Fernsehspielfilm kommt mehr ohne die vertikalen Übersichten aus, die vor zehn Jahren noch die Wahrnehmung herausforderten. Und auch in der Kunst sind Drohnen ein beliebtes Werkzeug geworden – oftmals ganz ohne ihre militärische Herkunft zu thematisieren. Gleichzeitig sind Drohnen im russischen Angriffskrieg auf die Ukraine so präsent wie noch nie in einem Krieg zuvor.
Drei Typen von Drohnen finden im Krieg zwischen der Ukraine und Russland Verwendung: unbemannte Flugzeuge, die jenen Drohnen der US Air Force ähneln, die bei Rosler thematisiert werden; umgebaute Quadrocopter und sogenannte Kamikaze-Drohnen, die sich bei Detonation selbst zerstören. Letztere sind es, die für die meisten Drohnenangriffe auf Moskau und Kiew verantwortlich sind. Ihre strategische Funktion ist die des Angriffs hinter den Frontlinien. Neben der Zerstörung militärischer Ziele besteht ihre Botschaft darin, den Krieg in die Metropolen zurückzutragen und zu zeigen, dass auch die Hauptstädte verletzlich sind. Das gilt insbesondere für die ukrainischen Drohnenangriffe auf Moskau, die, so die New York Times vom 31. Juli 2023, überwiegend mit der per Kickstarter finanzierten Bober-Drohne geflogen werden.
Über die Handlungsmacht digitaler Bilder
Die Tatsache, dass es selbst konstruierte und in digitale Plattformen integrierte Kamikaze-Drohnen sind, die derzeit die Wahrnehmung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine prägen, ist bezeichnend. Sie legt eine medientheoretische Spur, die mich zurück zu den Arbeiten Roslers bringen wird. Die sich selbst bei Einschlag zerstörenden Drohnen lassen sich nämlich als Verwandte jener smarten Waffen beschreiben, mit denen die USA 1991 den Irak angriffen. Ihre Fernsehlenkköpfe lieferten Bilder eines vermeintlich menschenleeren Bagdads, die von CNN live im Fernsehen übertragen wurden. Harun Farocki sah im technisch-operativen Charakter dieser Bilder etwas radikal Neues, das er in seiner dreiteiligen Video-Installation „Auge / Maschine“ (2000-2003) als operative Bildlichkeit bezeichnet hat, womit ein Diskurs um die Handlungsmacht digitaler Bilder einsetzte, der heute von Künstler*innen wie Hito Steyerl und Trevor Paglen fortgeschrieben wird. In Roslers Text-Bild-Installation „It Lingers” (1993) finden sich gleich drei operative Bilder, die auf den Golfkrieg zurückgehen und die zeigen, wie die Entwicklung der Waffen der Verbindung von Kriegsführung, Überwachung und Polizeiarbeit diente.
Der Medientheoretiker Friedrich Kittler hat bereits 1986 vom „Missbrauch von Heeresgerät“ gesprochen und damit jenen Prozess gemeint, wonach die meisten Alltagsmedien, wie beispielsweise Radio, Fernsehen oder Internet, eine militärische Herkunfts- und Entwicklungsgeschichte haben. Rijin Sahakian hat seine Überlegungen anlässlich der Ausstellung „Theater of Operations: The Gulf Wars, 1991 – 2011” am MoMA PS1 aktualisiert, als sie vorschlug, den Irak nicht nur als Testgebiet neuer Technologien zu verstehen, sondern die Alltags- und Unterhaltungselektronik im globalen Norden auch als Monumente des bedrohten, irakischen Lebens zu begreifen.
Wie erscheinen vor diesem Hintergrund Roslers Collagen aus den Serien „House Beautiful: Bringing the War Home”, die sie zwischen 1967 und 1972 als Reaktion gegen den Vietnam-Krieg anfertigte und auf deren Format sie 2004 und 2008 in Anbetracht der amerikanischen Kriege im Irak und in Afghanistan erneut zurückgriff? Lassen sich auch ihre Zeichen heteronormativen, weißen, amerikanischen Wohlstands, von Mid Century Modern über Einbauküche und Make-Up bis hin zu Fast Fashion und Handy, als Monumente der Gefährdung des Lebens im globalen Süden lesen?
Operative Bilder verändern den Rahmen und verlangen Haltung
Heute ist kaum mehr bekannt, dass die Collagen für „Bringing the War Home” ursprünglich als Flyer konzipiert waren, die auf Anti-Vietnam-Demonstrationen verteilt werden sollten. Diese Distributionsgeschichte macht die Collagen zu operativen Bildern, die paradigmatisch für Roslers Anti-Kriegs-Ästhetik sind. Denn wie jede Montage tun auch sie etwas, indem sie disparate Bildräume zusammenbringen und mittels Friktion einen Zusammenhang herstellen. Enthüllung ist nicht ihr primäres Anliegen. Vielmehr geht es um die Veränderung des Rahmens, in dem die Betrachter*innen die Bilder wahrnehmen. Eine Haltung ist gefordert vor diesen Bildern. Und das bedeutet auch, sich der eigenen Implikationen bewusst zu werden. Ein guter Anfang ist das Smartphone in unserer Hand. Von hier aus lassen sich nämlich Verbindungen herstellen, die der komplexen Ambivalenz der Drohne nicht unähnlich sind – und zwar bis in die in beiden Geräten verbauten Kamerasensoren hinein.