Die SCHIRN zeigt ab dem 6. Juli eine fokussierte Ausstellung der Konzeptkünstlerin und Pionierin des kritischen Feminismus MARTHA ROSLER. Direktor Sebastian Baden verrät, was ihn an ihrer Kunst so fasziniert und wieso ihre Werke gerade jetzt gezeigt werden sollten.
1. Herr Baden, seit einem Jahr leiten Sie die SCHIRN. Mit „MARTHA ROSLER. IN ONE WAY OR ANOTHER“ zeigen Sie nun die erste von Ihnen kuratierte Ausstellung. Wie kam es dazu und wie sind Sie erstmals mit Roslers Werk in Berührung gekommen?
Martha Roslers Werk hat mich schon zu Beginn meines Studiums an der Kunstakademie fasziniert und seitdem verfolge ich ihr kritisches Schaffen mit kontinuierlicher Begeisterung. Insbesondere ihre fotografischen Arbeiten und Fotomontagen finde ich stark, daher freue ich mich besonders, dass wir in der Ausstellung auch eine Auswahl dieser frühen Werke zeigen können. Ich bin als neuer Direktor der SCHIRN schon mit der Idee gestartet, Martha Rosler eine Ausstellung zu widmen, und habe sie dann gleich im September 2022 in New York besucht. Roslers Position könnte man als programmatisch für meine eigene Perspektive auf Kunst und Gesellschaft sehen. Künstlerische Arbeit verstehe ich auch als bildungspolitische Arbeit, und Rosler bringt dies ziemlich gut auf den Punkt.
2. Was macht die Kunst von Martha Rosler für Sie so besonders?
Martha Rosler befasst sich in ihrer Kunst mit gesellschaftlich relevanten Fragen von Macht, Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit, mit Kriegsberichterstattung sowie mit gesellschaftlich verankerten Frauenbildern und deren Dekonstruktion. Sie verbindet starke, emotional provozierende und gleichzeitig zum Nachdenken anregende Fotografien, Bilder und Texte zu Montagen, Installationen und auch Videos. Diese sind zugleich als Kommentar zu verstehen. Bewusst hat sich Rosler die einfachen gestalterischen Strategien der Ästhetik der Demonstration angeeignet. Sie war auch selbst Teil der Women‘s Liberation Front, also politisch aktiv. Dies macht ihre Arbeit zu einem Medium des Protests, einem Werkzeug zur Aufklärung und zur Dokumentation des demokratischen Widerstands gegen Ungerechtigkeit. Zudem hat Rosler jahrelang gelehrt – u.a. in Frankfurt an der Städelschule. Hier und auch durch die Radikalität ihrer künstlerischen Haltung konnte sie viele zeitgenössische Künstler*innen prägen.
Künstlerische Arbeit verstehe ich auch als bildungspolitische Arbeit, und Rosler bringt dies ziemlich gut auf den Punkt.
3. Und was hat Sie dazu bewogen, Roslers Kunst gerade jetzt in der SCHIRN zu zeigen?
Martha Rosler beobachtet seit mehr als 60 Jahren das Verhältnis von Kunst zu unserer Gesellschaft. Ihr Fokus liegt dabei ausgehend von den USA auf den weltpolitischen Zusammenhängen. Mit klarem, analytischem Blick, poetisch und zugleich dekonstruierend, bearbeitet Rosler gesellschaftliche Fragen und Themen, die aktuell waren und es immer noch sind – und das macht sie als Künstlerin für unsere kriegs- und krisengeprägte Gegenwart für mich so relevant. Für die SCHIRN haben Martha Rosler, meine Co-Kuratorin Luise Leyer und ich Arbeiten ausgewählt, die an militärische Konflikte im 20. Jahrhundert erinnern und deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen. Rosler widmet sich aber auch den stereotypen Rollenbildern von Frauen in unserer Gesellschaft sowie den urbanen Veränderungen, die beispielsweise den Einzelhandel und die gesellschaftliche Struktur von ganzen Stadtvierteln betreffen. Sie hält etwa den Wandel in ihrer Umgebung, in Greenpoint New York in fotografischen Serien fest – ein Thema, das in Frankfurt gleichermaßen virulent ist.
4. Können Sie uns einen Vorgeschmack auf die Ausstellung geben – welche Themen und Werke erwarten uns?
Luise Leyer und ich geben in der Ausstellung einen konzentrierten Überblick über Roslers Schaffen seit den 1960er-Jahren, in verschiedenen Medien wie Fotomontage, Video, Fotografie, Text und raumgreifende Installationen. Zentral für diese Werkauswahl sind drei ikonische Serien, darunter ihre gesellschaftskritischen Fotomontagen in „House Beautiful: Bringing the War Home“ zum Vietnamkrieg und „Body Beautiful, or Beauty Knows No Pain” sowie ihr einflussreiches Werk „The Bowery in two inadequate descriptive systems”. Der konzentrierte Rundgang orientiert sich davon ausgehend an drei Themenfeldern: der Ikonografie des Krieges, der Bedeutung der patriarchalen Perspektive für die Konstitution von Geschlecht sowie Roslers Beobachtung des sozialen und wirtschaftlichen Wandels in ihrem Umfeld.
5. Gibt es ein Werk, das Sie unseren Besuchenden abschließend besonders ans Herz legen möchten – z.B. ein Werk, über das Sie noch immer nachdenken?
Mich bewegt die Fortsetzung der Reihe „House Beautiful“, die Rosler zwischen 2003 und 2008 in Reaktion auf die US-Militärinterventionen in Afghanistan und im Irak erstellte. In diesem Kontext mindestens genauso relevant ist für mich aber auch die große Installation „Theatre of Drones“ aus dem Jahr 2013, für die sich Rosler mit der Entwicklung und Verwendung von Drohnen zur Überwachung und Kriegsführung befasst hat. Dieses Werk zeigen wir im öffentlichen Raum der Rotunde der SCHIRN – es hat im Hinblick auf aktuelle Kriege wie den Angriff Russlands auf die Ukraine wieder eine unheimliche Brisanz.