MAN MUSS VOODOO FÜHLEN
Elektronische Beats, ein Spiel mit der Mode und politischer Aktivismus: Für diese Mischung steht das Pop-Performance-Kollektiv Voodoo Chanel. Ein Interview auf dem SCHIRN MAG
Von Alexander Jürgs„Chicks on Speed ist ein Kunstprojekt, das weit über die Kunstwelt hinausreicht“, sagt Melissa Logan. Gemeinsam mit Alex Murray-Leslie und Kiki Moorse hat sie das Kollektiv 1997 an der Münchener Kunstakademie gegründet. Damals ging es auch darum, sich von der eingefahrenen Kunstszene abzugrenzen. Der Dadaismus und Guy Debords Situationistische Internationale waren wichtige Einflüsse, die „Seppi Bar“ wurde ins Leben gerufen, Partys und Performances standen gleichberechtigt nebeneinander. Bekannt wurden die Chicks On Speed aber eben auch als Pop-Phänomen, ihr Malaria-Cover „Kaltes Klares Wasser“ war einer der Clubhits der Nuller-Jahre. Sechs Alben sind mittlerweile erschienen. Logan und Murray-Leslie bilden weiter den Kern des Kollektivs, die Künstler, mit denen sie zusammenarbeiten, wechseln. Entstanden sind aber auch Nebenprojekte – so wie Voodoo Chanel. Zur Eröffnung der Ausstellung „[¶£“ werden sie nun der SCHIRN auftreten. Ihre Live-Performances beschreiben Voodoo Chanel mit den Begriffen „Neue Welten Electronica“, „Altered States“, „Tranceformance“ und „Ancient Futurism“. Auf der Bühne stehen Alexis Johnson, Melissa Logan, Mission Changdarc, Nelly Ellinor und Jesseline Preach. Ein Gespräch über Voodoo, Pop, Mode und Religion.
Schirn Magazin: Wie kam es zur Gründung von Voodoo Chanel? Ist es ein Nebenprojekt zu Chicks On Speed?
Melissa Logan: Es gibt einige Satellitenprojekte von Chicks On Speed. Das jüngste ist die „University of Craft Action Thought“, die Anfang Februar in der Akademie der Bildenden Künste in München gegründet wurde. Auch die Chicks On Speed sind dort, am Ende der 1990er-Jahre, entstanden. Voodoo Chanel ist eine unabhängige Formation, die Teil von Chicks-On-Speed-Projekten sein kann, aber auch allein auftritt. So haben wir zum Beispiel auch unser eigenes Voodoofesto.
Gegründet wurde Voodoo Chanel in Abidjan, der Hauptstadt der Elfenbeinküste. Wie kam es dazu?
Melissa Logan: Das war 2010. Nadine Jessen vom Hamburger Kampnagel Theater und der ivorische Popstar Shaggy Sharoof waren damals involviert. Die Gründung passierte im Rahmen eines Projekts der Theaterregisseure Gintersdorfer/Klaßen, viele Künstler wurden damals nach Abidjan eingeladen. Wir arbeiteten mit sehr talentierten Musikproduzenten und performten häufig genug, so dass wir in der Stadt bald bekannt waren. Das Symbol von Voodoo Chanel, ein Graffiti, haben wir auf einem Markt entdeckt. Es war auf eine Wand gemalt, nicht gesprayt. Wir haben es für uns gekapert.
Ist kulturelle Vielfalt wichtig für das Projekt?
Mission Changdarc: Vielfältige kulturelle Wurzeln sind nur ein Nebeneffekt, sie sind Zufall, basierend auf einer gemeinsamen geistigen Chemie: der „gleichen“ Leidenschaft für die Musik, der „gleichen“ Haltung bei der Suche einer Identität, aber „unterschiedlichen“ Geschichten von Rebellion.
Voodoo ist eine Form der Religion. Deshalb die Frage: Ist Mode selbst auch eine Religion?
Alexis Johnson: Voodoo ist eine dynamische Religion, aber auch eine Antwort auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Dominanz. Voodoo Chanel ist eine neue Strategie der Selbstdarstellung, hinter der keine Marke steckt.
Nelly Ellinor: Voodoo ist ein Zustand des Seins. Man muss Voodoo fühlen und daran glauben, dass es die Macht hat, dich und deine Umgebung zu beeinflussen. Ist das der Fall, denn fühlt man sich mächtig oder sogar transzendent – so gesehen sind Voodoo und Mode sich sehr gleich.
Jesseline Preach: Ich würde sagen, Mode ist ein Teil jeder Religion, also auch von Voodoo, aber eher als Geisteshaltung. Mode und Voodoo sind Inspirationen, die sich gut kombinieren lassen. Mode ist Voodoo.
Melissa Logan: Der Glaube ist Teil des Menschen, ganz unabhängig davon, ob man nun tatsächlich gläubig ist oder nicht. Die Mode funktioniert ähnlich. Man kann sich der Mode zwar verweigern, trotzdem bleibt sie immer ein Teil des Lebens.
Voodoo Chanel steht unter anderem für „Neue Welten Electronica“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Alexis Johnson: Es geht um elektronische Beats, die das kreative Unterbewusstsein öffnen, die dich auf eine Reise zu analogen Melodien von Saxofon, Klavier, Ukulele und anderen traditionellen Instrumente mitnehmen.
Warum ist es dabei wichtig, dass Popkultur und Kunst zusammenkommen?
Alexis Johnson: Das ist notwendig, um den aktuellen Prozess der Kunst-Globalisierung zu verstehen. Und es ist ein gutes Mittel, um den unterdrückten Erzählungen von Menschen, die unter der Kolonialisierung leiden, eine Stimme zu geben und zu repräsentieren.