Begehren und Gewalt, Erotik und Sadismus, Reales und Imaginiertes: Das Weibliche im Werk von René Magritte.
„Sie ist immer nackt. In anekdotenhaften Szenen behalten einige gerade noch ihr Kleid an.“ Dies schreibt der Maler und Kunsthistoriker René Passeron. Währen der Mann, mit Anzug und Melone, „von Kopf bis Fuß in den Panzer seiner Respektabilität gekleidet ist“, so ist die Frau in Magrittes Werken mysteriös, statuenhaft und tatsächlich meist nackt.
Ihr Blick ist leer, abgewandt, das Gesicht in einem milden Lächeln erstarrt oder gänzlich verdeckt, ihre Haut ebenmäßig und glatt. Die Blöße wird oft noch durch ein abgelegtes Kleidungsstück betont. Der weibliche Körper wird fragmentiert, vervielfacht oder verfremdet, er begegnet uns als unbeweglicher Rumpf, nackte Brüste ragen aus einem Nachthemd, Unterleiber und Beine wachsen aus Fischkörpern. Zwar ist die Frau nackt und somit potentiell bedroht, verletzlich, doch im letzten Moment entzieht sie sich dem Zugriff und dem Blick des Betrachters.
Gewaltvoll, unheimlich und unangenehm
„Es ist das Gesicht einer Frau, das aus einem Teil ihres Körpers besteht. Die Brüste sind die Augen, der Nabel ist die Nase, und das Geschlecht ersetzt den Mund.“ So beschrieb Magritte „Le Viol“ 1938 in seinem Vortrag „Die Lebenslinie I“. Eine erste Skizze des Werks erschien 1934 auf dem Titel von André Bretons Publikation „Qu’est-ce que le Surréalisme?“, wurde anschließend als Motiv weiterentwickelt und gilt als exemplarisch für surrealistische Bildstrategien und Themen.
„Le Viol“ („Die Vergewaltigung“), von 1945 zeigt das Gesicht einer Frau gerahmt von goldblonden, geschwungenen Haaren, hinter ihr ein Strudel aus Pastellfarben. Sie scheint uns anzublicken, ihr Gesicht hat Ausdruck. Doch auch hier werden Augen, Nase und Mund durch Brust, Nabel und Unterleib ersetzt. Das Motiv der Frau, die durch die anatomische Umgestaltung ihrer Sinne beraubt wurde und deren Körper den Blicken ausgesetzt ist, erscheint zunächst gewaltvoll, unheimlich und auf eine unangenehme Weise provozierend. Doch der Akt der Vergewaltigung gestaltet sich bei Magritte durchaus komplexer.
Die sexuelle Fantasie läuft ins Leere
Nach der Autorin und Frauenforscherin Susan Gubar wird die Frau in „Le Viol“ einerseits zum sichtbaren Konstrukt des männlichen Begehrens, ihr Körper ist ausgeliefert, unterworfen und bietet sich einer Vergewaltigung, dem Titel des Bildes folgend, geradezu an. Doch gleichzeitig scheint die Frau als „Instrument des Begehrens“ völlig ungeeignet. Denn indem Gesicht und Körper verschmelzen, verläuft die sexuelle Fantasie des Mannes ins Leere und unterwandert sich somit quasi selbst.
Martha Wolfenstein schlägt wiederum eine biographische Interpretation des Bildes vor. In „Le Viol“ sieht die amerikanische Autorin und Psychoanalytikerin die Verarbeitung eines Traumas. Magritte sah als Kind den toten Körper seiner Mutter, die sich in einem Fluss ertränkte. Als sie geborgen wurde, war sie nackt, das Gesicht wurde von ihrem Nachthemd verdeckt, das sich um ihren Kopf gewickelt hatte. Auch deshalb sei das Thema der Vergewaltigung ein wiederkehrendes in Magrittes Werk.
Nackt und trotzig
So auch in „Les jours gigantesques“ („Die gigantischen Tage“) von 1928. Der dunkelblau-changierende Hintergrund suggeriert eine nächtliche Szenerie. Mit Schrecken blickt eine Frau auf die Hände, die ihre Hüfte und ihr Bein umfassen. Ihr Körper ist nackt, muskulös. Mit einer Hand wehrt sie den Mann ab, der sich ihr nähert. Der Angreifer ist jedoch nur innerhalb der Silhouette der Frau zu sehen, seine schattenhafte Präsenz kann die ihres kräftigen Körpers nicht bezwingen.
In Magrittes Werken fallen Reales und Imaginiertes, Begehren und Gewalt, Erotik und Sadismus zusammen. So führen sie uns letztlich auch zu der Frage, wie die Frau und der weibliche Körper – nicht nur in der Kunst – gesehen und wahrgenommen wird: als stumme Muse, als schöne Geliebte, als Sexualobjekt? Ist der Blick auf ihren nackten Körper bereits eine Form der Vergewaltigung? Die blonde Dame in „Le Viol“ jedenfalls hält den Blicken trotzig ihre Nacktheit entgegen.