Über Lyonel Feininger weiß die kunsthistorische Forschung einiges zu berichten, doch wer war Julia Feininger und welches Erbe hat sie der Kunstwelt hinterlassen?

Die künstlerische Karriere Lyonel Feiningers wäre ohne seine Weggefährtin, Ehefrau und Seelenverwandte kaum denkbar gewesen. Julia Feininger, die zu Beginn ihrer Partnerschaft selbst als Künstlerin tätig war, inspirierte Lyonel Feininger dazu, mit neuen Medien wie der Lithografie oder Ölmalerei zu experimentieren und letztendlich selbst ein Meister dieser Techniken zu werden. Während er immer erfolgreicher wurde, zog sie sich jedoch zusehends aus ihrer künstlerischen Praxis zurück. Wer also war Julia Feininger und welches Erbe hat sie der Kunstwelt hinterlassen?

Künstlerische Ausbildung und erste Ehe

Über das Werk der einstigen Künstlerin ist heute nicht viel bekannt, es befinden sich zwar vereinzelt Werke in Sammlungen wie der Klassik Stiftung im Bauhaus-Archiv in Weimar, von den meisten Arbeiten zeugen heute jedoch nur noch die Fotografien von Lyonel Feininger. Nicht weiter verwunderlich, beschränken sich somit auch die Forschungsbeiträge zu ihrem künstlerischen Werdegang auf wenige Stimmen, unter denen die Kunsthistorikerin Lina Aßmann sowie Gloria Köpnick, die ehemalige Museumsdirektorin der Lyonel-Feininger-Galerie in Quedlinburg, besonders hervorzuheben sind.

Portraits von Lyonel und Julia Feininger, ca. 1906, Image via moellerfineart.com

Als Tochter von Bernhard Lilienfeld und seiner Ehefrau Jeanette Zuntz wurde Julia Lilienfeld am 23. November 1880 in eine wohlhabende jüdische Kaufmannsfamilie hineingeboren. Im Alter von 15 Jahren beendete sie die höhere Mädchenschule und absolvierte von 1896 bis 1900 eine künstlerische Ausbildung im Damenatelier bei Adolf Meyer. Bis ins darauffolgende Jahr nahm sie Unterricht im „Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen“, einer Vereinigung, die angehende Künstlerinnen förderte und ihnen ermöglichte, auf akademischem Niveau Zeichenunterricht zu nehmen. Das künstlerische Aktstudium erlernte sie von dem Symbolisten Martin Brandenburg.

Ihre Karriere als Künstlerin kam jedoch kurze Zeit später zum Stillstand, als sie im Jahr 1903 den Arzt Walter Berg heiratete. Es ist davon auszugehen, dass Julia Berg während dieser Ehe die künstlerische Arbeit niederlegte und sich hauptsächlich den häuslichen Pflichten widmete. Ihr Leben veränderte sich drastisch, als sie 1905 zufällig – während einer Zugreise nach Graal an die Ostsee – auf den neun Jahre älteren Lyonel Feininger traf. Es war eine schicksalhafte Begegnung, in deren Folge sich Julia Berg nur kurze Zeit darauf von ihrem damaligen Ehemann trennte. Eine Ausnahmeerscheinung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die aus heutiger Perspektive sehr progressiv und mutig erscheint.

Lucia Moholy: Julia Feininger, 1926, Image via artic.edu

Zwischen Liebe und Selbstverwirklichung

Die Bekanntschaft mit Lyonel Feininger beflügelte Julia Berg darin, sich wieder ihrer künstlerischen Arbeit zu zuwenden. Feininger zeigt sich von Anfang an als ihr geistiger Unterstützer und bestärkte sie darin, am 20. Oktober 1905 das Studium der Malerei an der Großherzog-Sächsischen Kunstschule Weimar in der Klasse des Malers und Graphikers Otto Rasch aufzunehmen, woraufhin die angehende Künstlerin nach Weimar zog. Während ihrer Zeit an der Akademie setzte sich Julia Berg mit Lithografien und Aktzeichnungen auseinander und experimentierte als Malerin. Davon zeugt ein von ihr gemaltes, nachdenkliches Porträt ihrer Kommilitonin Susanne Hornbostel aus dem Jahr 1905/06. Das Ölgemälde entstand demnach kurz bevor Lyonel Feininger 1906 das erste Mal selbst zum Pinsel griff. Feininger war zu dieser Zeit noch hauptberuflich als Karikaturist tätig und fertigte in seiner Freizeit zunächst nur Zeichnungen, die so genannten „Natur-Notizen“ an.

 Regninief [Julia Berg], Beuglants [Kabarettisten], 1908 [veröffentlicht in: Le Témoin 10, 3. Jg.,vom 7. März, 1908, S. 11]. Bibliothèque nationale de France, département Littérature et art, FOL-Z-1020.Image via gallica.bnf.fr

Interessant ist, dass das Paar zu Beginn ihrer Beziehung eine kreative Arbeitsgemeinschaft bildete, zeichnerische Werke gemeinsam signierte und sich gegenseitig im Prozess der Selbstverwirklichung unterstützte. Gerade in ihren ersten Jahren ist diese gegenseitige künstlerische Einflussnahme und Inspiration deutlich sichtbar. Davon zeugt einerseits die Studie eines Baumstumpfes aus dem Jahr 1905, die von beiden mit „Berg und Feininger“ unterzeichnet wurde, andererseits ein Briefwechsel der beiden Künstler*innen, in dem sie sich über die technischen Probleme und Herausforderungen der Darstellung von Bäumen austauschen. Zugleich wurde der Baum, so hebt Dietlinde Hamburger 2023 in „Findetage – Ritbnitz im Leben und Werk von Lyonel Feininger“ hervor, zu einem Sinnbild für Julia Bergs künstlerische Entwicklung, wie sie selbst in einem Brief an Lyonel Feininger am 6. Oktober 1905 schrieb: „(…) aber nein, ich wurde beschnitten und gebunden und gepfropft und sollte ein ganz anderer Baum werden als ich von Natur aus war. Ja, und wohin hat es geführt? Der Gärtner klagt jetzt über den wildgewordenen Baum.“ Die Zeilen legen nahe, dass ihre künstlerische Praxis unter dem häuslichen Leben der ersten Ehe litt und sich erst durch die Bekanntschaft mit Lyonel Feininger neu entfalten konnte.

(…) aber nein, ich wurde beschnit­ten und gebun­den und gepfropft und sollte ein ganz ande­rer Baum werden als ich von Natur aus war. Ja, und wohin hat es geführt? Der Gärt­ner klagt jetzt über den wild­ge­wor­de­nen Baum.

Julia Feininger

Im Jahr 1906 zog das Paar nach Paris, wo sie zusammen an der Académie Colarossi Zeichenunterricht nahmen. Lyonel Feininger publizierte in dieser Zeit seine Karikaturen, so etwa in der Satire-Zeitschrift Le Témoin. Der kreative Austausch und die gegenseitigen Einflüsse führten dazu, dass auch Julia Berg anfing, erste Karikaturen anzufertigen. So veröffentlichte sie gegen Ende des Jahres 1907 bis Mai 1908 unter dem Namen „Regningief“, einem Ananym von Feininger, selbst mehrere Karikaturen im Le Témoin. Diese Karikaturen verdeutlichen Julia Bergs Gespür für Bildkomposition und Farben. Die in Rot, Schwarz und Weiß gehaltene Karikatur „Pénible Nécessité – Je suis en retard d’une heure et démie, il va falloir que je lui fasse une scène“ zeigt, wie spielerisch und humorvoll sie die verspäteten Damen im Vordergrund den zwei Männern im Hintergrund gegenüberstellt. Dennoch ist der positive Einfluss, den Julia Berg auf Lyonel Feininger ausübte von ebenso großer Bedeutung: Während des Aufenthalts in Paris bestärkte sie ihren Partner darin, sich in der Malerei auszuprobieren und leitete damit zugleich das Ende ihrer eigenen Karriere ein. Das Paar heiratete kurz nach ihrer Paris-Reise im Jahr 1908 und bekam drei Söhne, die ihrerseits ebenfalls künstlerische Berufe wählten.

 


 

Regninief [Julia Berg], Pénible Nécessité [Schmerzhafte Tatsache], 1907 [veröffentlicht in: Le Témoin 47, 2. Jg., vom 7. Dezember, 1907, S. 11]. Bibliothèque nationale de France, département Littérature et art, FOL-Z-1020.
Von der Familienpause zur Managerin eines Lebenswerks

Obwohl Lyonel Feininger seine Frau stets darin unterstützte, die Arbeit wieder aufzunehmen, dauerte es bis ins Jahr 1912, als sie mit zehn Arbeiten an der „Ausstellung moderner geschnittener Silhouetten“ im Hohenzollern Kunstgewerbehaus in Berlin teilnahm. Als die Feiningers einige Jahre später, 1919, an das Bauhaus in Weimar zogen, nahm Julia Feininger sowohl am gesellschaftlichen als auch am studentischen Leben teil und nutzte die Möglichkeiten mit neuen Materialien zu experimentieren. Es entstanden nicht nur Keramiken in der Töpferwerkstatt, sie schrieb sich auch in die Naturklasse und Abendakt-Kurse ihres Ehemannes ein und wurde schließlich als vollwertige Studentin des Bauhauses aufgenommen. Heute befinden sich einige dieser Keramiken in Privatbesitz. Zudem gestaltete Julia Feininger Puppen - darunter Prinz und Prinzessin, einen Wesir, Zauberer und weitere Figuren - zu „Märchen aus 1001 Nacht“, das Stück wurde jedoch nicht aufgeführt. Als Lyonel Feininger immer erfolgreicher wurde und seine künstlerische Karriere an Fahrt aufnahm, agierte Julia Feininger mehr und mehr im Hintergrund. Wie so viele Künstlerinnen ihrer Zeit verzichtete sie darauf, ihren eigenen künstlerischen Ambitionen kompromisslos nachzugehen und nahm stattdessen die Rolle der Unterstützerin, Förderin und Vermittlerin für das Werk ihres Mannes ein. Wie sehr das Paar einander brauchte, auf Augenhöhe agierte und wie stark Julias Einfluss auf Lyonels Denken und Arbeit war, belegen die zahlreichen Briefe an Julia, die auch publiziert sind.

Julia Feininger, Puppen zu zu „Märchen aus 1001 Nacht“

Nach Lyonel Feiningers Tod 1956 in New York bewahrte Julia Feininger sein Lebenswerk. Sie arbeitete zusammen mit Hans Hess an der Fertigstellung des Werkverzeichnisses der Gemälde, übersetzte Briefe und setzte sich für Ausstellungsprojekte und die Gründung des Feininger Archivs an der Harvard University ein. Ihr kunsthistorisches Erbe umfasst damit nicht nur ihr eigenes Werk, sondern auch das ihres Mannes, das in Gestalt der Lyonel-Feininger-Sammlung in den Harvard Art Museums aufbewahrt wird und in Form von Ausstellungsleihgaben Kunstliebhaber*innen auf der ganzen Welt erfreut.

LYONEL FEININ­GER. RETRO­SPEK­TIVE

27. Oktober 2023 – 18. Februar 2024

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