Was vermögen die gemalten Selbstbildnisse von Lyonel Feininger über den Charakter und das Empfinden des großen Künstlers auszusagen? Feininger-Experte Andreas Platthaus findet in der Auseinandersetzung mit zwei seiner Selbstporträts bemerkenswerte Antworten.
Lyonel Feininger war ein spätberufener Maler, obwohl er früh Erfolg als Zeichner hatte. Bereits als Mittzwanziger zählte der 1871 in New York City geborene Amerikaner zu den bekanntesten und meistgefragten Karikaturisten von Berlin, seiner Wahlheimatstadt seit 1888. Dort hatte er an der Königlichen Akademie Kunst studiert, und dort war sein Talent als Karikaturist erkannt worden – im Zentrum der Medienlandschaft des deutschen Kaiserreichs stieß Feininger damit auf großes Interesse bei den Redaktionen, aber auch auf Konkurrenz. Dass er sich durchgesetzt hatte, war ihm Anlass zu Stolz und auch zu einer gewissen Selbstzufriedenheit, die erst durch die Partnerschaft mit Julia Berg wieder in Frage gestellt wurde.
Die um neun Jahre jüngere Kunststudentin lernte Feininger 1905 kennen, im Jahr vor einem Auftrag, der ihm zeitweilig finanzielle Unabhängigkeit sicherte: Die „Chicago Tribune“ engagierte ihn für die Anfertigung von zwei Comicserien, und obwohl die das Publikum der amerikanischen Tageszeitung überforderten und enttäuschten, weshalb sie schon bald wieder eingestellt wurden, brachte diese Arbeit Feininger doch so viel ein, dass er mit Julia Berg nach Paris gehen konnte, ohne weiterhin auf seine bisherigen deutschen Kund*innen angewiesen zu sein. Die neugewonnene Freiheit nutzte er, um in der damaligen Welthauptstadt der Kunst Malkurse zu belegen und seine ersten Bilder anzufertigen. Ohne den Comiczeichner Feininger hätte es den Maler nicht gegeben.
Doch als die amerikanischen Einkünfte verbraucht waren, musste das Paar mit seinem in Paris geborenen Sohn Andreas zurück nach Berlin, wo Lyonel Feininger seine alte Tätigkeit als Karikaturist noch einmal aufnahm, bis er dann von 1910 an nur noch als Maler tätig sein wollte. Die Berliner Kunstkritik ließ indes kein gutes Haar an den noch stark am karikaturesken Stil orientierten Bildern, in denen Feininger bisweilen auch sich selbst in Szene gesetzt hatte: namentlich im 1907 entstandenen Gemälde „Der weiße Mann“, dessen Titelfigur die unverkennbare Physiognomie des Künstlers zeigt.
Aus der Enttäuschung dieser Anfangsphase als freier Künstler resultierten zwei Charakteristika des späteren Schaffens: der „Prismaismus“ (Feininger) als eine ganz eigene Interpretation kubistischer Strategien, die keine Verwandtschaft mit seinen Humorzeichnungen aufwies, und der weitgehende Verzicht auf Porträts und Selbstbildnisse, denn sie wären an seinen populären Personalkarikaturen gemessen worden. Obwohl es gerade in den beiden Jahren nach der Rückkehr aus Paris eine intensive zeichnerische Beschäftigung Feiningers mit dem eigenen Konterfei gegeben hatte, sind heute nur zwei Gemälde seiner Selbst bekannt. Das frühere davon verdankt sein Überleben einem Glücksfall.
Unangepasst, uneingepasst und amerikanisch
Dabei war das „Selbstbildnis mit Tonpfeife" im November 1910 auf einem Höhepunkt der Unzufriedenheit des Künstlers entstanden, nachdem er kurz zuvor das Pressezeichnen aufgegeben, aber noch keine Resonanz als Maler gefunden hatte. Das Gemälde setzt auf die Schockwirkung der für Feininger damals typischen Farbkontraste, die sich immer noch seinen Erfahrungen mit lithographierten Karikaturen verdankten: Giftgrün des Gesichts trifft auf Lachsrosa der Krawatte.
Am auffälligsten aber ist die Kleidung, vor allem der breite Hut – viel eher ein amerikanischer Stetson als ein zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland gängiges Accessoire. Feininger stilisierte sich auf dem Gemälde weitaus plakativer als in den gezeichneten Selbstporträts zum Amerikaner in Berlin, zum Fremdkörper im buchstäblichen Sinne, dem nicht einmal ein ausgefertigter Hintergrund gegönnt wird – ein Unangepasster und Uneingepasster. Einziger sichtbarer Verweis auf seine deutsche Umgebung ist die dünne Tonpfeife als Relikt des damaligen karikaturesken Klischeebilds dekadenter Jugendlichkeit. Ein mittlerweile dreifacher Familienvater ist es jedenfalls nicht, der uns da anblickt, vielmehr ein als diabolisch Porträtierter, dessen Verteufelung aber im Auge der Betrachtenden liegt.
Das zweite gemalte Selbstporträt Feiningers entstand fünf Jahre später, und es sollte nicht nur einen ganz anderen Duktus, sondern auch ein ganz anderes Selbstbewusstsein aufweisen. Das glühende Grün des Vorläufers allerdings setzte sich in den Augen des späteren Bildes fort. Feininger hatte sich, ausgelöst durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, den er als Amerikaner ganz deutschnational beurteilte, noch einmal als politischer Karikaturist reaktivieren lassen. Doch das Pflichtgefühl seinem Gastland gegenüber empfand er als Hemmnis für die eigene Kunst, die seit 1913 auf günstigere Aufnahme gestoßen war. Der Entschluss, seine Tätigkeit als Karikaturist in der zweiten Jahreshälfte 1915 wieder einzustellen, ging einher mit der Anfertigung des zweiten Selbstporträts – eine erstaunliche Parallele zur Entstehung des ersten.
Ein deutscher Eremit in der Kunst?
Die für ihn offensichtlich unvermeidliche Notwendigkeit einer abermaligen unmittelbaren Beschäftigung mit sich selbst kündet von der Ambivalenz des Jahres 1915, aber auch diesmal fiel das Resultat in der Aussage eindeutig aus: War das Selbstporträt des Jahres 1910 noch eine Selbstbehauptung des Amerikaners in Berlin gewesen, wurde das von 1915 nun zur Bekräftigung von Feiningers gewandelter Identität. In dem Gemälde artikuliert sich der Wille zum Deutschsein, nachdem er nun fast zwei Drittel seines Lebens in Berlin verbracht hatte.
Feiningers Orientierung bei seinem den Betrachte*innen zugewendeten Dreiviertelporträt an Bildnistypen der deutschen Renaissance (und da vor allem Dürers) ist ebenso eindeutig wie der Rekurs der Bogenarchitektur im Hintergrund auf die seinerzeit als exemplarisch deutsch geltende Gotik. Aber Feiningers Selbstporträt ist kein Manifest der Gegenwartsverweigerung: In die Gesichtszüge sind die Prinzipien des von ihm 1913 proklamierten „Prismaismus“ eingezeichnet. Das Gemälde ist deshalb geradezu das Musterbeispiel für eine spätere Feststellung von Alfred H. Barr, der ein entscheidendes Charakteristikum Feiningers in dessen Jahrhunderte überspannender Hybridkunst sah: „Feiningers Bezug auf die deutsche Tradition – seine Verschmelzung von kubistischen Formen mit dem hochromantischen Gefühl von Weite, Distanz, der See, gotischen Häusern und Kirchen etc. – übertragen gesprochen eine Art Verschmelzung von Braque und Caspar David Friedrich, selbstverständlich mit vielen originellen und persönlichen Elementen.“
Feiningers Selbstporträt bietet jedoch nicht die analytische Multiperspektivität des Kubismus, sondern eine synthetische Konstruktion, die Irritation nicht über die Form, sondern durch die Farbe erzeugt: ein fahlgelber Hautton und die funkelnden pupillenlosen grünen Augen. Porträtähnlichkeit ist im Gegensatz zum Gemälde von 1910 nicht mehr Feiningers Ziel; er inszeniert einen Typus, der dank schlichtem Kittel und kalottenartiger Kappe überhaupt nichts Amerikanisches mehr hat, sondern einen mönchischen Eindruck vermittelt – einen Eremiten der Kunst.
Ein Selbstporträt voller Selbstironie
In der klar identifizierbaren Vorlage für den Kopf, einer Pastellzeichnung aus dem Jahr 1908, hatte Feininger seinen Blick bereits ähnlich skeptisch festgehalten, aber sieben Jahre später inszenierte er sich als unnahbar. Die Pose vermittelt den Stolz eines Eigenbrötlers, doch der Maler selbst beschrieb das Bild, als er es zwei Jahre nach der Fertigstellung erstmals ausstellte, als Gegenteil eines „scheenen Ideal-Selbstportraits“. Er fragte: „Was ist nun vorzuziehen? Selbst-Ironie, doch entschieden. Das Incognito einer ‚Maske‘, (wie vor 200 Jahren, wo es noch Kultur gab in Europa,) vor der neugierigen Menge.“
Was Feininger mit dem Bild betrieb, war also die Übertragung des Maskenspiels der „Mummenschanz-Bilder“, wie er die an seine Karikaturen angelehnten Gemälde nannte, auf ein monumentales Porträt – gleichsam Höhepunkt und Abschluss seines Karikaturenwerks, ausgeführt im Bildnis seiner selbst, also auf eigene Kosten. Kein Wunder, dass er seinen Spaß an der Irritation des Publikums angesichts dieses Porträts hatte. Doch glich dieser Spaß dem kafkaschen Lachen beim Vortrag des eigenen Werks, dessen selbstironische Qualität von anderen Leser*innen übersehen und als Ausdruck größter Verzweiflung umgedeutet wurde.